Prozess in Koblenz 26 mutmaßliche Neonazis vor Gericht - Anklageschrift mit 926 Seiten

KOBLENZ · Der Neonazi-Mammutprozesses in Koblenz hat mit Befangenheitsanträgen der Verteidigung begonnen. Das Gebäude des Koblenzer Landgerichts war am Montag von schwer bewaffneten Polizeikräften umstellt. Besucher und Journalisten mussten sich am Eingang einer Leibesvisitation unterziehen, um kurz darauf erneut eine Sicherheitsschleuse zum Saal 128 zu passieren.

 In Handschellen betreten die Angeklagten den Gerichtssaal in Koblenz.

In Handschellen betreten die Angeklagten den Gerichtssaal in Koblenz.

Foto: ap

Personalausweise wurden kopiert, Mobiltelefone und Klapprechner, die für Bild- und Tonaufnahmen geeignet sind, waren vor Betreten des Sitzungssaals dem Sicherheitspersonal auszuhändigen. Unter verschärften Sicherheitsvorkehrungen hat am Montag vor der Staatsschutzkammer des Koblenzer Landgerichts der Prozess gegen 26 mutmaßliche Neonazis begonnen. 20 der Männer im Alter zwischen 19 und 54 Jahren sind unter anderem wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung angeklagt. Vier weiteren wirft die Staatsanwaltschaft vor, diese Vereinigung unterstützt und zwei Angeklagten, sich an Straftaten beteiligt zu haben, die von Angehörigen der kriminellen Vereinigung begangen worden sein sollen.

Bei der kriminellen Vereinigung handelt es sich um das "Aktionsbüro Mittelrhein", eine rechtsextreme Verbindung, die von der Staatsanwaltschaft als verfassungsfeindlich und rechtsextremistisch eingestuft wird und ihren Sitz im sogenannten Braunen Haus in Bad Neuenahr hatte. Die Zentrale des Aktionsbüros war im März ebenso Ziel einer länderübergreifenden Razzia der Polizei wie 29 andere Gebäude in Rheinland-Pfalz, Nordrhein-Westfalen, Thüringen und Baden-Württemberg. Sämtliche Angeklagte wurden im Zuge dieser Aktion festgenommen.

In Handschellen werden auch jene 17 Angeklagten in den Saal geführt, die bis heute in Untersuchungshaft sitzen. Unter ihnen der 27-jährige Christian H., ehemaliger Mieter des mittlerweile geräumten "Braunen Hauses" und einer der mutmaßlich "führenden Köpfe" des Aktionsbüros. Unter den Angeklagten befinden sich allerdings auch überregional bekannte Neonazis wie etwa der 29-jährige Axel Reitz, Sven Lobeck (35) und Alexander Herr.

Reitz hat als "Hitler von Köln" für Schlagzeilen gesorgt, während Herr als NPD-Vorsitzender im Kreis Ahrweiler geführt wurde. Lobeck ist Chef des NPD-Kreisverbandes Koblenz und hat sowohl 2006 bei den Landtagswahlen in Rheinland-Pfalz als auch bei der Bundestagswahl 2009 für die NPD kandidiert.

Selten dürfte der Begriff "Mammutprozess" angebrachter gewesen sein als am Montag. Denn mit 26 Angeklagten und insgesamt 52 Verteidigern drohte selbst der "Schwurgerichtssaal" - als größter seiner Art im Landgericht - aus allen Nähten zu platzen. Die hohe Zahl der Rechtsanwälte ist auf den Umstand zurückzuführen, dass jedem der Angeklagten - aus Gründen der Verfahrenssicherung - jeweils zwei Pflichtverteidiger zugestanden wurden. Gut zwei Dutzend Wachmänner halten sich während des Prozesses im Saal auf.

Allein die Hauptakten zum Verfahren umfassen insgesamt 40 Bände oder 12.000 Seiten. Die Anklageschrift umfasst 926 Seiten, von denen jedoch nur 60 verlesen werden sollen. Dazu kam es am Montag jedoch gar nicht erst. Denn zum Prozessauftakt hatten sich die Verteidiger ein juristisches Scharmützel mit dem Gericht geliefert.

Kaum hatte Oberstaatsanwalt Walter Schmengler zum Verlesen der Anklage angesetzt, wurde er durch eine Wortmeldung des Verteidigers Dirk Waldschmidt unterbrochen wurde. Der Rechtsanwalt, der einen von insgesamt drei aus Bonn stammenden Angeklagten verteidigt, stellte einen Antrag auf "Nichtverlesung der Anklage". Begründung: Sie sei fehlerhaft

Später schloss sich der ehemalige stellvertretende Landesvorsitzende der hessischen NPD, der von seiner Partei 2007 zudem bei der Bürgermeisterwahl in Butzbach (Hessen) ins Rennen geschickt worden war, auch einem Befangenheitsantrag gegen die drei Berufsrichter an. Gestellt hatte den von insgesamt rund einem Dutzend Verteidiger unterstützten Antrag Rechtsanwalt Ludwig Bock.

Er bemängelte, dass in dem seinen Mandanten betreffenden Haftfortdauerbeschluss die Rede davon sei, dass der von ihm vertreten Angeklagte "Angehöriger einer der rechten Szene zuzuordnenden kriminellen Vereinigung" sei. Dabei handele es sich jedoch um einen Hauptgegenstand des Verfahrens, den es erst noch zu beweisen gelte. Zudem hatte Bock eine gegen einen Ergänzungsrichter gerichtete "Besetzungsrüge" verlesen.

Weitere Anträge der Verteidigung hatten etwa für die Dauer der Anklageverlesung den Ausschluss der Öffentlichkeit zum Ziel. So befürchtete eine Verteidigerin, dass dabei Informationen zu den persönlichen Lebensverhältnissen ihres Mandanten zur Sprache kommen könnten, weshalb er eine Gefährdung für seine Familie sehe. Sämtlichen Anträgen gab das Gericht unter Vorsitz von Hans-Georg Göttgen jedoch nicht statt. Der Prozess wird heute fortgesetzt. Das Urteil wird voraussichtlich Mitte September gesprochen.

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