Interview „Wir dürfen die Opfer nicht alleinlassen“

Die Strafe sollte der Tat in geeigneten Fällen auf dem Fuße folgen, fordert NRW-Justizminister Peter Biesenbach (CDU). Zudem will er einen Opferbeauftragten berufen. Mit ihm sprachen Reinhard Kowalewsky, Henning Rasche und Thomas Reisener.

 Amtseid: Am 30. Juni wurde Peter Biesenbach als Justizminister von Nordrhein-Westfalen vereidigt.

Amtseid: Am 30. Juni wurde Peter Biesenbach als Justizminister von Nordrhein-Westfalen vereidigt.

Foto: picture alliance / Federico Gamb

Herr Biesenbach, in Hamburg waren Hunderte Bürger Opfer von Gewalttätern. Was für Schlüsse zieht NRW aus solchen Vorfällen?

Peter Biesenbach: Wir werden in NRW einen Opferbeauftragten berufen, an den sich die Opfer von Straftaten wenden können. Eine solche Einrichtung gibt es in dieser Form noch in keinem anderen Bundesland, in ähnlicher Form allerdings in Berlin. Der Opferbeauftragte des Landes NRW wird zentrale Anlaufstelle für Opfer sein. um ihnen zum Beispiel Informationen über ihre Rechte zu geben und um Hilfsangebote Dritter zu bündeln.

Wie viele Mitarbeiter wird der Opferbeauftragte haben?

Biesenbach: Ich denke, vier gut ausgebildete Mitarbeiter reichen für den Anfang. Aber diese Investition sollte uns die Unterstützung der Opfer von Straftaten wert sein. Es gibt viele Menschen und Organisationen, die Betroffenen von Straftaten helfen wollen und können – da kann es schon sehr hilfreich sein, wenn eine zentrale Stelle informiert und auch koordiniert. Ein Anruf bei der Hotline - und schon wird geholfen.

Die neue Stelle wird Geld kosten.

Biesenbach: Denken Sie daran: Wir haben einen Justizvollzugsbeauftragten, der sich um die Belange von inhaftierten Straftätern kümmert, was ich wichtig finde. Doch zuerst muss ich mich um die Opfer kümmern. Alles andere wären falsche Prioritäten. Wir dürfen die Opfer von Schlägern oder von Einbrechern nicht alleine lassen.

Brauchen wir auch höhere Entschädigungen für die Opfer von Straftaten?

Biesenbach: Wir müssen uns das nun 41 Jahre alte Opferentschädigungsgesetz genau anschauen. Wir müssen klarer machen, wer wann eine Entschädigung bekommt, wenn er wegen eines körperlichen Angriffs eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat. Aber das ist Sache des Bundesgesetzgebers.

Wie kann ein Justizminister für weniger Straftaten sorgen?

Biesenbach: Wir müssen gerade bei jungen Menschen einen höheren Respekt vor dem Rechtsstaat durchsetzen. In einigen Städten haben wir bereits „Häuser des Jugendrechtes“ eingerichtet, in denen Staatsanwälte, Richter oder auch Bewährungshelfer sich sehr eng austauschen. Schon bei vermeintlich kleinen Straftaten müssen wir schnell klarmachen, dass wir das nicht dulden. Darum will ich abseits der Großstädte auch deutlich mehr Staatsanwälte vor Ort.

Was meinen Sie damit?

Biesenbach: Die Staatsanwälte sollten in kleineren Orten wie beispielsweise Waldbröl oder Geldern direkt beim Amtsgericht sitzen, statt sich in einer zentralen Staatsanwaltschaft um den jeweiligen Ort zu kümmern. Die Staatsanwaltschaft bekommt so ein Gesicht vor Ort, und wir haben die entsprechenden Gruppen besser im Blick. Außerdem hilft dies, Verfahren auch auf dem Land zu beschleunigen.

Streben Sie insgesamt schnellere Verfahren an?

Biesenbach: Ja. In geeigneten Fällen sollte die Strafe der Tat unmittelbar auf dem Fuß folgen. Täter gestehen bei beschleunigten Verfahren überdurchschnittlich oft und verzichten zumeist auf Rechtsmittel. Sie wissen eben noch genau, was sie falsch gemacht haben. Das ist natürlich nur möglich, wenn ein Sachverhalt klar ist – also insbesondere, wenn Täter auf frischer Tat erwischt wurden und wenn es klare Beweise gibt.

Bisher ist das beschleunigte Verfahren nur bei Strafen bis zu einem Jahr möglich. Soll sich das ändern?

Biesenbach: Ja, ich werde mich dafür einsetzen, dass die beschleunigten Verfahren auch für Strafen von bis zu zwei Jahren angewendet werden können.

Urteilt die Justiz zu lasch?

Biesenbach: Die Frage ist mir zu pauschal! Aber die Justiz steht natürlich auch in der Pflicht, ihre Urteile gut zu erklären.

In manchen Kreisen werden Straftaten überhaupt nicht angezeigt. Ein Problem?

Biesenbach: Ja, wir müssen endlich gegen das Phänomen einer privaten Paralleljustiz vorgehen, ein in NRW bisher totgeschwiegenes Thema. Weder die Scharia noch die Mafia und auch nicht Moskau-Inkasso sprechen in Deutschland Recht, sondern alleine der Staat. Als ersten Schritt werden wir nun einen landesweiten Lageplan zur Paralleljustiz erarbeiten, also eine Analyse, welche Rolle sie wo im Land spielt. Und danach werden wir handeln. Bei diesem wichtigen Thema dürfen wir uns nicht wegducken.

Zu ihren Zielen gehören auch drogenfreie Gefängnisse. Wie wollen Sie das erreichen?

Biesenbach: Wir brauchen mehr Drogenspürhunde. Und wir müssen den Drogenhandel in den Gefängnissen unterbinden. Dafür nutzen die Täter ganz oft illegale Mobiltelefone. Wenn wir die aus den Gefängnissen herausbekommen, wird es in den Gefängnissen auch weniger Drogenhandel geben.

Gefängnisse sind auch Brutstätten der Radikalisierung. Was kann der Staat dagegen tun?

Biesenbach: Als die Gefängnisse noch Brutstätten der Mafia waren, haben wir die Leute auseinandergezogen. Mit einem geschickten Belegungsplan schränken wir auch die Versuche radikaler Islamisten ein, in Gefängnissen für Terror zu werben. Außerdem werde ich in den Gefängnissen Nordrhein-Westfalens keine Imame mehr dulden, die nicht bereit waren, sich vom Verfassungsschutz überprüfen zu lassen.

Sie haben viel vor. Wie viele neue Staatsanwälte und Richter braucht die Justiz in NRW?

Biesenbach: Das ist richtig, wir brauchen mehr Personal. Ich rechne damit, dass wir mittelfristig 500 neue Richter und Staatsanwälte brauchen. Die werden aber nicht auf einen Schlag kommen. Der Prozess wird sich über mehrere Jahre erstrecken.

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