Interview mit SPD-Vize Thorsten Schäfer-Gümbel „Pegida ist eine Hasssekte“

Die SPD ist die einzige Partei, die Solidarität in einer Gesellschaft vor Einzel- oder Partikularinteressen stellt“, sagt Thorsten Schäfer-Gümbel, Chef der hessischen Sozialdemokraten und stellvertretender SPD-Chef im Bund. Im Interview mit Tanja Brandes spricht er über Rassismus, Steuergerechtigkeit und den zukünftigen Kanzlerkandidaten.

 "Angst ist immer ein schlechter Ratgeber", glaubt der stellvertretende SPD-Chef Thorsten Schäfer-Gümbel.

"Angst ist immer ein schlechter Ratgeber", glaubt der stellvertretende SPD-Chef Thorsten Schäfer-Gümbel.

Foto: picture alliance / dpa

Herr Schäfer-Gümbel, Sie haben angekündigt, die SPD werde einen Wahlkampf über Steuergerechtigkeit führen. Wie soll das aussehen?

Thorsten Schäfer-Gümbel: Sowohl die Frage der Steuerhinterziehung als auch die der sogenannten „kreativen Steuergestaltung“ sind ein Riesenthema. Denn Steuerhinterziehung ist der größte Betrug an der Solidargemeinschaft: Es kann nicht sein, dass ein familiengeführtes Café an der Ecke mehr Steuern und Sozialabgaben zahlt als Starbucks. Ich habe in NRW-Finanzminister Norbert Walter-Borjans einen meiner engsten und stärksten Verbündeten. Mit seinen mutigen Schritten – wie der Entscheidung zum Ankauf von Steuer-CDs – hat er Maßstäbe gesetzt dahingehend, dass wir es ernst meinen, wenn wir sagen: Es kann nicht sein, dass der normale Steuerzahler und Arbeitnehmer die öffentlichen Aufgaben finanziert, während große Unternehmen oder Steuerhinterzieher versuchen, sich der Verantwortung zu entziehen.

Trotz hoher Steuereinnahmen beklagen alle die zunehmende Ungleichheit. Reicht es angesichts dieser Lage, die kleinen und mittleren Einkommen zu entlasten, wie es die SPD plant, oder muss doch eine Erhöhung des Spitzensteuersatzes her?

Schäfer-Gümbel: Im Moment sind auf der konservativen Seite einige unterwegs, die erzählen, dass hohe konjunkturell bedingte Steuereinnahmen zu strukturellen Entlastungen führen müssen. Das geht nicht. Strukturelle Mehrausgaben müssen finanziert werden durch strukturelle Einnahmen. Sonst wird das mit einem ausgeglichenen Haushalt auf Dauer nichts. Wenn man an der einen Stelle Entlastungen will, muss die Finanzierung aus anderen Bereichen kommen. Vermögen, hohe und höchste Einkommen müssen angemessen an der Finanzierung der Gesamtausgaben beteiligt werden. Ob das über eine erneut reformierte Erbschaftsteuer, eine Vermögenssteuer oder einen höheren Einkommensteuertarif führt – diese Frage ist abschließend noch nicht entschieden.

Mit wem wollen Sie Ihre Pläne denn nach der Bundestagswahl 2017 durchsetzen? Mit der Union? Oder haben Sie Rot-Rot-Grün im Blick?

Schäfer-Gümbel: Weder noch. Ich finde Koalitionsdebatten wirklich müßig. Ich sage seit Jahren, dass wir deutlich mehr darüber reden sollten, was wir wollen, und weniger darüber, mit wem wir können. Die SPD ist immer dann stark gewesen, wenn sie gesagt hat, für welche Ziele sie steht und dann für Mehrheiten gesorgt hat. Es geht darum zu definieren: Was ist das sozialdemokratische Alleinstellungsmerkmal? Die SPD ist die einzige Partei, die Solidarität in einer Gesellschaft vor Einzel- oder Partikularinteressen stellt. Alle anderen Parteien sind „Ich-Parteien“, die auf Einzelinteressen setzen. Die Summe aller Einzelinteressen ist aber eben nicht das Gemeinwohl. Am Ende werden die Bürgerinnen und Bürger entscheiden. Und dann suchen wir uns die Partner, mit denen wir am besten unsere sozialdemokratischen Ziele umsetzen können.

Die Kanzlerin wurde für ihre Entscheidungen in der Flüchtlingskrise scharf kritisiert. Sie haben ihr vorgeworfen, sie habe dem Wähler keinen Raum für Debatten gelassen. Angesichts der jüngsten rechtspopulistischen Proteste entsteht nicht der Eindruck, als seien die Wähler an Debatten interessiert...

Schäfer-Gümbel: Leute, die nicht an einem demokratischen Diskurs interessiert sind, die hat man für einen solchen erst mal verloren. Aber ich will darauf hinweisen, dass es sich bei denen, die zu Abgrenzung und sogar zu Gewalt neigen, zwar um eine lautstarke, aber um eine sehr kleine Minderheit handelt. Selbst dort, wo rechtspopulistische Parteien Erfolge erzielt haben, wollten die meisten Menschen etwas anderes als Rechtspopulismus. Das ändert nichts daran, dass die Kanzlerin keine Vorstellung davon hat, wie das umgesetzt werden soll, was sie mit ihrem „Wir schaffen das!“ als – aus meiner Sicht richtige – Botschaft gesetzt hat. Das war auch immer die Kritik der SPD. Wir haben immer wieder Pläne zur Integration, zum Zusammenhalt und zur Unterstützung der Kommunen vorgelegt, zu denen die Union immer erst mal „Nein“ gesagt hat. Zu sagen „Wir schaffen das“, ohne das Wie zu erklären, das hat phasenweise das Bild verstärkt, dass „die Politik“ die Situation insgesamt nicht im Griff hat. Wir sind für die Planlosigkeit der Union in Mitverantwortung genommen worden. Hier hat die Kanzlerin erhebliche Fehler gemacht. Das ändert nichts an der Grundhaltung, dass es richtig ist, Menschen zu helfen, die in Not sind.

Die – wie Sie sagen – Minderheit, die im Namen von Pegida auf die Straße geht, hat durch die AfD eine Plattform bekommen, die womöglich bald auch auf Bundesebene eine Rolle spielt.

Schäfer-Gümbel: Pegida ist eine Hasssekte. Es ist schwierig, dem mit Aufklärung entgegenzuwirken. Die Auseinandersetzung mit der AfD ist schon komplizierter. Diese Partei ist mit Leuten wie Björn Höcke, Alexander Gauland und Frauke Petry rechtspopulistisch bis rassistisch aufgestellt. Einer solchen Organisation kann man als Sozialdemokrat nur mit einer klaren Haltung entgegentreten. Diese rechten Hassprediger stehen für das Gegenteil von sozialem Zusammenhalt und Humanität. Da gibt es nichts Verbindendes. Man muss aber von der Partei einen Teil der Wählerschaft unterscheiden, der mit Blick auf die großen Aufgaben unserer Zeit wie zum Beispiel Globalisierung, Digitalisierung und Zuwanderung Fragen stellt und Orientierung sucht. Deshalb wollen wir die öffentliche und soziale Sicherheit verbessern, denn Angst ist immer ein schlechter Ratgeber. Wenn es eine strukturelle Schwäche der sogenannten etablierten Parteien gibt, dann die, darauf nicht hinreichend Antworten zu geben. Ich denke, die AfD ist morgen nicht einfach wieder weg. Die Auseinandersetzung mit Rassismus, mit Antimodernisierung ist eine immerwährende Aufgabe. Wir wissen seit Jahrzehnten, dass es ein Potenzial dafür gibt. Wir haben die Aufgabe, Fragen der Sicherheit – sozialer wie öffentlicher – klarer zu beantworten.

Sie haben eine frühe Entscheidung in der Frage der Kanzlerkandidatur gefordert. Sigmar Gabriel hat unlängst verkündet, die SPD stehe in dieser Frage nicht unter Druck. Wer wird es denn nun? Und wann erfahren wir das?

Schäfer-Gümbel: Die Entscheidung wird Anfang 2017 fallen. Der offizielle Nominierungsparteitag findet dann im Mai statt. Ich sehe keinen Grund, von dieser verabredeten Terminplanung abzuweichen. Und deswegen beteilige ich mich auch nicht an diesen etwas schrägen Debatten.

Und was sagen Sie zu Martin Schulz als möglichem Kanzlerkandidaten?

Schäfer-Gümbel: Wie gesagt, Anfang des Jahres werden wir eine Entscheidung treffen. Klar ist aber: Der Parteivorsitzende hat den ersten Zugriff. Das hat seit 154 Jahren Tradition in der deutschen Sozialdemokratie. Und mit Traditionen sollte man nicht brechen.

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