Digitalisierung und Wirtschaft Ex-Bundesverfassungsrichter Udo Di Fabio im Interview

BONN · Der Ex-Bundesverfassungsrichter und in Bonn lehrende Rechtswissenschaftler Udo Di Fabio spricht im GA-Interview über Chancen und Gefahren einer digitalisierten Welt, das Versagen der Dieselautohersteller und Aufgaben der nächsten Regierung.

Udo di Fabio.

Udo di Fabio.

Foto: picture alliance / Kay Nietfeld/

Die Digitalisierung macht vielen Angst. Dabei seien Horrorszenarien nicht angebracht, findet der frühere Bundesverfassungsrichter Udo Di Fabio. Mit ihm sprach Ulla Thiede.

Sie sind begeisterter Autofahrer. Können Sie sich vorstellen, dass ein automatisierter Pkw Sie künftig herumkutschiert?

Udo Di Fabio: Die Mitglieder der Ethikkommission automatisiertes Fahren hatten Gelegenheit, in einem vollautomatisierten Testfahrzeug zu fahren – in strömendem Regen auf einer Autobahn bei München. Nach anfänglichem Misstrauen, fand ich es durchaus entspannend, gefahren zu werden. Eine Technik, bei der ich entscheiden kann, wann ich das Steuer halte und in welchen Situationen eine ausgefeilte Technik übernimmt, die würde ich als Freiheitsgewinn ansehen.

Was ist das entscheidende Plus des automatisierten Fahrens?

Di Fabio: Das automatisierte und vernetzte Fahren steigert die Sicherheit auf unseren Straßen. Das klingt trivial, aber in Deutschland beklagen wir immer noch über 3000 Tote im Straßenverkehr pro Jahr. Wenn wir wissen, was hinter der Kurve passiert, weil entsprechende Daten an unser Fahrzeug übermittelt werden, dann ist das etwas, was auch der beste Fahrer und die beste Fahrerin nicht leisten können.

Digitalisierung macht aber vielen auch Angst.

Di Fabio: Man muss sich ein Stück weit präsent machen: Die moderne, westliche Gesellschaft ist zukunftsoffen, das heißt, sie erwartet eine bessere Zukunft. Der Westen ist technikaffin, das heißt, er will durch mehr Wissen und mehr Können eine menschlichere Welt schaffen. Das macht seine Stärke aus. Wir sehen zunächst deshalb die Chancen, danach müssen wir aber auch über die Risiken reden.

Und die liegen wo?

Di Fabio: Jedem fällt zuerst und durchaus zu Recht die Gefahr von Technikversagen oder von Hackerangriffen ein und wir fürchten bei den vielen Datenspuren das Ende jeder Anonymität. Hinter der smarten Technik lauert noch eine andere Gefahr. Die nächste technische Revolution mit autonomem Fahren, Smart Home, mit so vielfältigen Erleichterungen und intelligenten Gestaltungen des Lebensalltags: Erzieht uns das nicht allmählich zu bloßen Konsumenten, zu bestens versorgten Zuschauern unserer eigenen Existenz?

Die Experimente, die man mit Pflegerobotern in Japan gemacht hat, wo Demente mit den Robotern intensiv reden und eine personale Beziehung zu ihnen aufbauen, könnte auf eine Zukunft hindeuten, wo der Mensch durch künstliche Intelligenz den Menschen ersetzt. Gegen die Geduld und Dienstbereitschaft von lernenden Robotern hat der reale Mensch vielleicht irgendwann keine Chance mehr.

Nutzen Sie selbst Facebook und Co.?

Di Fabio: Meine Familie nutzt soziale Medien intensiv. Mir fehlt häufig schon Zeit, mich über Facebook und Twitter mitzuteilen. Zu Twitter hat mich mal ein Kollege überreden wollen, ein Freund aus der Digitalbranche hat mir empfohlen, ich solle Blogger werden. Doch solche Formate sind für Wissenschaftler schwierig. Ich bin hier einstweilen kein Akteur, sondern Beobachter.

Die Digitalisierung lässt auch viele Jobs wegfallen.

Di Fabio: Ja, gewiss, denn es geht eben nicht nur um eine neue Art der Kommunikation, sondern um den Ersatz intellektueller Fähigkeiten. Es kommen erste Forderungen, dass man Mediziner, Juristen, Richterinnen ersetzt durch künstliche Intelligenz. Und das wird zum Teil erprobt. Aber wollen wir Maschinenrichter und Pflegeroboter wirklich an die Stelle von Menschen setzen? Jenseits solcher Fragen erleben wir aber auch längst, dass gerade durch digitale Orientierung neue Chancen und neue Arbeitsplätze entstehen. Horrorszenarien sind nicht angebracht.

Hat die soziale Marktwirtschaft die Instrumente, um die Umwälzungen der Arbeitswelt zu bewältigen?

Wo steht die deutsche Wirtschaft bei der Digitalisierung?

Di Fabio: Deutsche Unternehmen, gerade auch der Mittelstand, haben die Bedeutung der Digitalisierung längst erkannt. Sie haben sich nicht nur globalisiert in einer sehr aktiven Weise, sondern sie nutzen inzwischen auch neue digitale Techniken. Nicht nur eine Firma wie Bosch hat alles Zeug dazu, auch in Zukunft Weltmarktführer zu sein.

Ich höre eher Klagen über eine gewisse Rückständigkeit der deutschen Unternehmen im Digitalen.

Di Fabio: Was heißt rückständig? Die Hidden Champions aus der deutschen Provinz erobern nicht den Weltmarkt mit veralteter Technik. Die deutsche Wirtschaft zeichnet sich seit 1949 dadurch aus, dass sie bodenständig ist, regional verwurzelt und gleichzeitig in weltwirtschaftlichen und innovativen Kategorien denkt. Wo das nicht gelang, als etwa ein so angesehenes Unternehmen wie Grundig in den 1970er Jahren neue Trends der Unterhaltungselektronik verschlief, hat der Markt sein hartes Urteil gesprochen. Unser Problem liegt bei Big Data, bei den großen Einflusskanälen der digitalen Wertschöpfung. Ganz Europa hat bei den digitalen Plattformen wie Google, Facebook, Amazon oder Apple nichts Gleichwertiges entgegenzusetzen.

Früher sagte man, die Deutschen verschlafen die Dienstleistungsgesellschaft!

Di Fabio: Das war in den 1960er Jahren. Später hieß es, wir setzten auf alte Industrien und bauten Autos, wo doch die Finanzindustrie das eigentlich Kreative sei. Nicht jede Mode muss auch nachhaltig sein. Ich sehe nicht, dass die deutsche Wirtschaft sich gegen Robotisierung sperrt. Dass sie vielleicht nicht im kalifornischen Gründergeist unterwegs ist, das hängt auch damit zusammen, dass sie aus realwirtschaftlichen Strukturen kommt und die nicht einfach abschütteln kann wie ein Elon Musk. Der fängt von null an, zieht Risikokapital an sich und kann dann als großer Schöpfer auftreten. Ob er einlösen kann, was er an Visionen bis hin zur Marsbesiedelung entwickelt, ist eine ganz andere Frage. Wir wünschen uns mehr Kreativität in Deutschland, und ich glaube, die entsteht auch. In der Start-up-Szene bewegt sich viel.

Im Dieselskandal zeigen die Autohersteller auf die Politik, die die Abgasgrenzwerte zu hoch angesetzt habe.

Di Fabio: Dieses Argument ist in einem Rechtsstaat nicht zulässig. Allerdings muss nachhaltige Umwelt- und Klimapolitik auch gesellschaftlich nachhaltig sein und darf nicht alle zwei Jahre ihre Richtung ändern. Noch vor Kurzem ging es nahezu allein um weniger Treibstoffverbrauch und um weniger CO2-Ausstoß. Staat und Autoindustrie sahen lange im Diesel das größte Sparpotenzial. Dann gelangten Themen wie Feinstaub- und Stickoxidbelastung der Ballungsräume in den Vordergrund und plötzlich wurde der Diesel zum Problem.

Also, was wird die nächste Kehrtwende sein?

Di Fabio: Man ahnt doch schon, dass die Ökobilanz von Elektroautos das Thema von morgen sein wird, wenn wir an Herstellungsbedingungen und Entsorgung denken. Ein vernünftiger Lobbyismus besteht darin, hier auch einmal dem Gesetzgeber zu sagen, was in welchem Zeitraum und unter Wettbewerbsbedingungen möglich ist und was nicht. Zu schweigen und heimlich die Software zu manipulieren – das geht gar nicht.

Was ist da passiert?

Di Fabio: Es herrschte eine Mentalität der absoluten Machbarkeit, sowohl in der Politik wie in der Industrie. Ein Konzern wie Volkswagen wollte das größte Automobilunternehmen der Welt werden. Manchem Akteur schien hier vielleicht jedes Mittel recht. Da hat man wohl ein bisschen die Bodenhaftung verloren.

Was ist die wichtigste Aufgabe der künftigen Bundesregierung?

Di Fabio: Unter europäischen und internationalisierten Bedingungen kommt es darauf an, eine vernünftige Koordinierung mit unseren Partnern hinzubekommen. Eine neue Regierung muss vor allem mit Frankreich, aber auch nicht gegen ost- oder südeuropäische Länder neue Wege zeigen, damit wir aus dem Krisengefühl herauskommen. Das Migrations- und Integrationsproblem bleibt drängend. Innere Sicherheit wird als Thema wichtiger. Ansonsten geht es in Deutschland um die Erneuerung einer manchmal maroden Infrastruktur. Es geht um unsere Straßen, Brücken und Schulen. Den Ländern und Städten fehlen häufig die finanziellen und rechtlichen Gestaltungsmittel für diese Aufgaben.

Und die Digitalisierung?

Di Fabio: Nicht alles hängt an digitalen Netzen, manches wie die Automatisierung und Vernetzung des Fahrens gelingt aber nur, wenn man leistungsfähige Netze hat.

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