Interview mit Generalleutnant Martin Schelleis „Ich bin sehr froh, dass wir üben können“

Bonn · Martin Schelleis, Inspekteur der Streitkräftebasis, stellt sich und die Truppe auf neue Gefahrenszenarien ein.

 Operation „Atlantic Resolve“: Mitte Januar sind 4000 US-Soldaten nach Osteuropa verlegt worden. An der deutsch-polnischen Grenze gab es eine Willkommenszeremonie für sie.

Operation „Atlantic Resolve“: Mitte Januar sind 4000 US-Soldaten nach Osteuropa verlegt worden. An der deutsch-polnischen Grenze gab es eine Willkommenszeremonie für sie.

Foto: AFP

Das Kommando Streitkräftebasis (SKB) hat geholfen, über 4000 US-Soldaten und Ausrüstung von Bremerhaven nach Polen zu bringen, um die Stabilität der osteuropäischen Nato-Länder zu sichern. Die Operation „Atlantic Resolve“ war die größte Truppenverlegung seit Ende des Kalten Krieges. Welcher Kräfteaufwand war dazu nötig?

Martin Schelleis: Wir sind für die erforderliche Unterstützung von Nato-Streitkräften in Deutschland als gastgebende Nation – zum Beispiel Transport, Unterkunft, Verpflegung, Gesundheitsversorgung, Betreuung, Absprachen mit Behörden, Landratsämtern und Polizeien – zuständig. 200 Angehörige der Streitkräftebasis haben die Transport- und Marschwege koordiniert, abgesprochen, wie die Masse des Materials mit der Bahn verlegt wird, wie die Straßentransporte laufen. Für die Marschsicherung waren Feldjäger eingesetzt. Im Falle von technischen Pannen, etwa an den US-Lkw, hätten wir auch US-Ausrüstung repariert.

Welches Resümee ziehen Sie?

Schelleis: In Zukunft werden solche Aufgaben quantitativ und qualitativ anspruchsvoller, da die Landes- und Bündnisverteidigung für die Bundeswehr nach langem Fokus auf Auslandseinsätze wieder mehr Gewicht bekommt. Die Verlegung war daher für uns eine gute Gelegenheit, zu sehen, wo wir stehen. Mein Resümee ist positiv: 25 Jahre lang haben wir in der politischen Einschätzung, von Freunden umgeben zu sein, eine Verlegung von solcher Dimension nicht mehr geübt. Jetzt können wir sagen: Wir haben es nicht verlernt! Wenn Deutschland nun häufiger als Drehscheibe für die alliierten Verstärkungskräfte dient, müssen jedoch viele Strukturen ertüchtigt werden, die in den letzten Jahrzehnten abgebaut worden sind. Da sind wir auch auf die Unterstützung der gewerblichen Wirtschaft angewiesen, von der wir Leistungen zukaufen müssen – die Bahn mit ihren Gütertransportwagen ist ein Beispiel dafür.

Wie erklären Sie Laien, was die Streitkräftebasis mit Sitz in Bonn macht?

Schelleis: Wir sind der weltweit tätige Dienstleistungsbereich der Bundeswehr mit dem Schwerpunkt auf Sicherheit, Logistik und IT. Mit unseren rund 45 000 Mitarbeitern mit und ohne Uniform, davon 2000 vor Ort, passen wir – quasi wie als drittes Dax-Unternehmen – gut in die Bonner Gewerbestruktur.

Es wird viel über eine Europäisierung der Streitkräfte nachgedacht. Wie sehen Sie diese Entwicklung?

Schelleis: Eine Europäisierung ist ohne Alternative. Ganz wichtig: Am Ende sollte meiner Meinung nach nicht eine vergemeinschaftete Armee, sondern ein Streitkräfte-Verbund souveräner Nationen stehen.

Welche Rolle soll die Streitkräftebasis der Bundeswehr in dem Prozess spielen?

Schelleis: Wir wollen Prototyp in dieser Entwicklung sein und liegen innerhalb der Bundeswehr damit auch ziemlich weit vorn. Innerhalb des Rahmennationenkonzeptes der Nato bieten wir als leistungsstärkeres EU-Land kleineren die Teilhabe an Leistungen an, die sie nicht allein erhalten können. Unter dem Ressourcendruck ergeben sich deutlich bessere Möglichkeiten der Multinationalisierung – zum Beispiel bei Logistik, ABC-Abwehr oder Ausbildung. Wir wollen ganze Organisationselemente multinational anbieten, haben auch schon einige Verbindungsoffiziere anderer Nationen auf der Hardthöhe und arbeiten eng mit Niederländern, Tschechen, Polen und Slowaken zusammen. Wir wollen aber noch weitere Nationen animieren, mitzumachen.

Was heißt das für die Region – Abwanderung von Aufgaben und Jobs ins Ausland oder Gewinn?

Schelleis: Für die Region ist das ein Wachstumsfeld. Fakt ist, dass die Streitkräftebasis mit ihrem Kommando auf der Hardthöhe bleiben wird, dass sie multinationaler wird, und dass der nachgeordnete Bereich ebenfalls wachsen wird. Im Sommer wird der Umfang des Ganzen klarer werden. Man kann aber jetzt schon sagen, dass Bonn einer der bedeutendsten Bundeswehrstandorte ist und weiter gestärkt wird. Nicht zuletzt mit dem Aufbau des Kommandos Cyber- und Informationsraum dieses Jahr sind dann zwei von sechs militärischen Bereichen der Bundeswehr vor Ort angesiedelt.

Im März beteiligt sich die Bundeswehr an der ersten großen Anti-Terror-Übung von NRW und fünf anderen Bundesländern. Auch Behörden, Polizei und zivile Kräfte nehmen teil. Was soll geübt werden?

Schelleis: Ein Terroranschlag, den Polizei und Landesbehörden nicht mehr mit eigenen Kräften bewältigen können und bei dem die Bundeswehr möglicherweise helfen muss. Auch das würde in meinen Verantwortungsbereich als „Nationaler-Territorialer Befehlshaber“ fallen. Wir müssen uns auf Anschläge in neuer Dimension vorbereiten und ich bin sehr froh, dass wir das nun üben können. Denn ich bin Realist genug, zu sehen, dass die Bundeswehr um Unterstützung gerufen wird, wenn die Großschadenslage katastrophal ist und andere Mittel erschöpft sind. Aus meiner Sicht kann das auch nur die erste von weiteren Übungen sein. Wir lernen, wie die Verfahren zur Zusammenarbeit verbessert werden, aber auch, wo noch rechtliche Grauzonen ausgeleuchtet werden müssen. Es gibt Klärungsbedarf, wenn Soldaten hoheitliche Aufgaben wahrnehmen sollen – schon in banalen Situationen, etwa, wenn bei einem Terrorangriff ein Soldat den Zugang zum Hauptbahnhof sperrt. Was ist, wenn sich ein Passant nicht an dessen Anweisungen hält? Wie arbeitet der Soldat vor Ort mit der führenden Polizei zusammen? Ich gehe so etwas lieber in einem Übungsszenario durch, bevor uns solche Situationen in der Realität ereilen.

Der Einsatz der Bundeswehr bei Terrorangriffen im Inneren ist umstritten. Frustriert Sie die Diskussion?

Schelleis: Im Gegenteil, ich finde die öffentliche Debatte gut, weil sie zur Klärung offener Fragen beiträgt.

Macht Ihnen die geopolitische Lage mit Trump, Putin und Erdogan Sorge?

Schelleis: Manche von Trumps Äußerungen sind schon außergewöhnlich, aber in Bezug auf Außen- und Sicherheitspolitik sollte man schon auf die Zwischentöne hören. Man sollte jetzt abwarten, wie er tatsächlich als Präsident handelt. Er listet den Reformbedarf der Nato auf. Eine Möglichkeit zur Weiterentwicklung ist immer gegeben. Aber er sagt auch, dass sie ihm am Herzen liegt. Bedenklich ist eher, was im Krisenbogen Maghreb bis Baltikum so alles passiert, und da kann keiner sagen: Macht Euch keine Sorgen. Wir müssen uns schon mit dem auseinandersetzen, was auf uns zukommen könnte. Darum müssen wir uns kümmern.

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