Interview mit Polens Ex-Präsident Bronislaw Komorowski „Freiheit ist nicht auf ewig gegeben“

Bad Honnef · Im GA-Interview spricht der ehemalige polnische Präsident Bronislaw Komorowski über die Wandlung des deutsch-polnischen Verhältnis und die Krise der EU.

 Bronislaw Komorowski spricht in Adenauers Wohnhaus über das deutsch-polnische Verhältnis.

Bronislaw Komorowski spricht in Adenauers Wohnhaus über das deutsch-polnische Verhältnis.

Foto: Andreas Dyck

Zu Gast bei Konrad Adenauer: Der ehemalige Präsident Polens, Bronislaw Komorowski, besucht das Wohnhaus des ersten Bundeskanzlers in Rhöndorf. Zu kommunistischer Zeit galt der Altkanzler als Schreckgespenst und Deutschland als Reich des Bösen. Nun trifft der Ex-Präsident auf Adenauers Enkel und posiert vor einem Adenauerporträt. Ein Wunder sei es, wie sich das deutsch-polnische Verhältnis innerhalb einer Generation gedreht habe, sagt Komorowski. Mit ihm sprachen Andreas Dyck und Bernd Eyermann. Das Gespräch übersetzte Jerzy Czopik.

Herr Präsident, welche Bedeutung hat Konrad Adenauer für Sie?

Bronislaw Komorowski: Konrad Adenauer ist einer der Väter der europäischen Integration. Eines Prozesses, der zur Aussöhnung und Prosperität auf unserem Kontinent beigetragen hat.

Sie haben sich in Ihrer Amtszeit sehr stark für ein gutes Verhältnis zwischen Polen und Deutschland eingesetzt. Fühlen Sie sich hier zu Gast bei Freunden?

Komorowski: Definitiv ja. Ich bin sehr froh, dass ich zur Vertiefung der Freundschaft unserer Länder, zur Zusammenarbeit und auch zur Aussöhnung beitragen konnte. Ich finde oft bei meinen deutschen Freunden etwas, was woanders in Westeuropa schwer zu finden ist, nämlich ein besseres Verständnis für den Osten.

Was können die Deutschen von den Polen lernen?

Komorowski: Optimismus und Flexibilität. Wir hatten eine so tragische Geschichte, dass wir eigentlich alle Pessimisten sein müssten, doch in der Bevölkerung haben wir inzwischen den größten Rückhalt für die europäische Integration denn je. Etwa 80 Prozent der Bürger sind trotz der schwierigen Geschichte für die Versöhnung mit den Nachbarn. Abgucken könnten sich die Deutschen etwas von unserem Fleiß, denn nach einer Studie sind wir Polen das arbeitsamste Volk in Europa. Wir würden aber auch gern am effizientesten arbeiten. Deswegen sollten wir uns an der Arbeitseffektivität der Deutschen ein Beispiel nehmen.

Wie würden Sie das Verhältnis zwischen Polen und Deutschland beschreiben?

Komorowski: Wir sind wie gute Nachbarn, die aber auch im Wettbewerb stehen. Sie schauen sich über die Schulter und gucken, warum auf der anderen Seite die Tomaten besser wachsen.

Deutschland geht es wirtschaftlich gut – ist das Gewicht Deutschlands in der EU aus Sicht Polens zu stark?

Komorowski: Uns ist sehr wohl bewusst, dass wir ohne deutsche Zustimmung nie Mitglied der Europäischen Union und der Nato geworden wären. Deutschland schätzt zum Beispiel die Gefahren, die vom Osten her drohen, sehr gut ein. Daher habe ich kein Problem damit zu sagen, dass es für uns günstig wäre, wenn die deutsche Politik nach wie vor einen wesentlichen Einfluss auf die Politik der EU und der westlichen Welt ausüben würde.

Sie sind aber nicht mehr Präsident. Die nationalkonservative Partei besetzt die Schlüsselstellen in Ihrem Land. Das Verhältnis zu Deutschland scheint belastet.

Komorowski: Während meiner Präsidentschaft und der Regierungszeit der Bürgerplattform waren die Beziehungen sehr gut. Manchmal bekommt man den Eindruck, dass diese Etappe nun abgeschlossen sei und dass nun ein kalter Wind wehe. Für mich ist aber wichtig: Regierungen und Präsidenten kommen und gehen, die Völker aber bleiben. Das Wichtigste ist, dass das Volk eindeutig sagt: Wir möchten ein gutes Verhältnis zu Deutschland behalten, wir möchten Freundschaft und wir möchten eine gemeinsame Politik im Rahmen der Europäischen Union betreiben.

Sehen Sie im Kurs der jetzigen Regierung Gefahren für die polnische Demokratie?

Komorowski: Gegenfrage: Kennen Sie ein Land, in dem es keine Gefahren für die Demokratie gibt?

In Deutschland schauen viele mit Sorge darauf, wohin sich Polen rechtsstaatlich bewegt.

Komorowski: Wir schauen mit Sorge auf die AfD bei Ihnen. Wir haben mehr Angst vor den Radikalen in Deutschland als vor unseren eigenen Radikalen. Und gemeinsam schauen wir mit Sorge auf das, was in Frankreich, im Osten Europas und in den USA passiert. Man muss sich um die Demokratie immer wieder bemühen. Das ist wie mit der Freiheit. Die ist auch nicht auf ewig gegeben. Ich weiß, wovon ich spreche, weil ich in meinem Leben für diese Freiheit gekämpft habe.

Sie sprachen von Gefahren aus dem Osten. Wie groß ist die Sorge Polens vor Putins Russland?

Komorowski: Wir sind auch heute noch dankbar, dass die Nato in den 90er Jahren ihre Ostgrenze von der Oder zum Bug verlegt hat. Dadurch leben wir verhältnismäßig sicher. Dass Russland in dem Gebiet um Kaliningrad militärische – auch nukleare – Anlagen ausgebaut hat, betrachten wir mit Sorge. Mit Sorge sehen wir aber auch, dass viele Nato-Partner, darunter auch Deutschland, ihre Rüstungsausgaben heruntergefahren haben.

Wie soll denn der Westen mit Russland umgehen?

Komorowski: Es gibt wohl kaum ein anderes Land wie Polen, das so viel Wert auf ein gutes Verhältnis mit Russland legt. Leider modernisiert sich Russland nicht. Im Gegenteil: Das Land rüstet auf, es versucht, sein Einflussgebiet auszuweiten. Ich bin aber überzeugt, dass Russland reifen und sich modernisieren wird. Russland hatte seine große Chance mit den Erlösen aus den hohen Erdöl- und Gaspreisen, hat dieses Geld aber nicht für den Wohlstand der eigenen Bürger oder für die wirtschaftliche Entwicklung ausgegeben, sondern für den Krieg mit der Ukraine und die Modernisierung der Armee. Man muss die Politik der Sanktionen aufrechterhalten, aber gleichzeitig zeigen, dass man willens ist, mit Russland zusammenzuarbeiten und einen echten Demokratisierungsprozess zu fördern.

Warum glauben Sie, dass sich Russland modernisieren wird?

Komorowski: Zu Beginn meiner Amtszeit 2010 hat mich der damalige Präsident Dmitri Medwedew besucht. Ich war sehr beeindruckt von seinem tiefen Verständnis von unserer Modernisierung. Er hat gefragt: Wie habt Ihr das geschafft? Ganz einfach, habe ich gesagt: Den Staat dezentralisiert, eine starke kommunale Selbstverwaltung aufgebaut und auf mittelständische Privatunternehmen gesetzt. Das hat übrigens dazu geführt, dass wir keine Oligarchen in Polen haben. Wir haben damals vereinbart, an Beispielen zu zeigen, wie ein Staat modernisiert werden kann. Adenauer hat schon davon gesprochen, dass man in der Politik Geduld haben und abwarten muss. Darauf sollten wir setzen.

Wie kommt die EU aus der Krise?

Komorowski: Wir haben das Problem, dass wir mehrere Krisen gleichzeitig haben. Die Wirtschaftskrise ist nicht bewältigt, aber zumindest beherrscht. Das gleiche gilt für die Krise, die mit dem aggressiven Verhalten Russlands zusammenhängt. Am schwierigsten zu lösen ist die Flüchtlingskrise. Ich weiß nicht, ob diese Krise beherrschbar ist. Der Unterschied zwischen dem reichen Europa und vielen anderen Ländern in der Welt bleibt erst mal bestehen.

Ihre Partei hat auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise Präsidentschafts- und Parlamentswahl verloren.

Komorowski: In der Zeit des Wahlkampfs gab es immer wieder Äußerungen, dass man die Flüchtlinge nach Europa eingeladen hat. Manchmal muss man, bevor man etwas sagt, sich umschauen, welche Folgen das bei mir zu Hause genauso wie bei den Nachbarn hat. Wir haben versucht, die öffentliche Meinung davon zu überzeugen, dass es die gemeinsame Verantwortung und Teil unserer Solidarität ist, Menschen in Not aufzunehmen. Aber wir haben die Wahlen verloren. Heute müssen wir einen Mittelweg finden aus Solidarität, wirtschaftlicher Vernunft und gesellschaftlicher Zustimmung.

Zum Schluss: Wie gefällt Ihnen Bonn?

Komorowski: Ich habe noch nicht viel von Bonn gesehen, aber die Umgebung ist wunderschön. Für mich und meine Generation war Bonn, trotz der kommunistischen Propaganda, ein Sinnbild für einen anderen, einen demokratischen und freiheitlichen deutschen Staat.

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