Interview mit Sicherheitsexperte Conrad Schetter „Allein über Gewalt lässt sich der Konflikt nicht lösen“

Bonn · Der internationalen Gemeinschaft fehlt eine Vision für Afghanistan, bemängelt Conrad Schetter. Mit dem Direktor des BICC sprach Daniela Greulich.

 Conrad Schetter.

Conrad Schetter.

Foto: Privat

Herr Schetter, wie bewerten Sie die momentane Sicherheitslage in Afghanistan?

Conrad Schetter: Sie wird von Jahr zu Jahr schlechter. Es gibt dort eine komplexe Konfliktsituation, die die Menschen hoffnungslos macht. Nicht einmal der Staat kann für Sicherheit sorgen. Auf der lokalen Ebene gibt es überwiegend eine Gemengelage aus korrupten Polizisten, Warlords und ideologischen Kämpfern, die ein Gebiet beherrschen. Ein einfacher Afghane muss immer genau schauen, wer die aktuellen Gewaltakteure sind, und sich denen dann unterordnen.

Wie groß ist denn das Gebiet, das die ideologischen Kämpfer, also die radikal-islamischen Taliban oder die „Daesh“, wie die Terrormiliz Islamischer Staat auch genannt wird, kontrollieren?

Schetter: In Zahlen ist das schwer zu beziffern. Die Dynamik ist groß, tagsüber stellt sich die Lage anders dar als nachts. Die staatlichen Sicherheitskräfte, die oftmals selbst eher zur Unsicherheit beitragen, sind nur noch in den Provinzstädten und der Hauptstadt Kabul vor Ort. Der Großteil der ländlichen Regionen wird von Warlords, Taliban oder dem IS kontrolliert.

Gerade im Norden Afghanistans, wo auch die Bundeswehr stationiert ist, ist die Sicherheitslage prekär. Was können die Soldaten dort bewirken?

Schetter: Die Bundeswehr konzentriert sich auf die Ausbildung von Soldaten. Das ist insofern sinnvoll, weil man in den ersten Jahren viel zu wenig Energie in die Ausbildung der Sicherheitskräfte gesteckt hat. Auf der anderen Seite ist der Sicherheitssektor dermaßen korrupt, dass die Ausbildung nur ein Tropfen auf dem heißen Stein sein kann. Man sollte sich lieber fragen, was die Afghanen wollen und was für sie Sicherheit bedeutet.

US-Präsident Donald Trump will die Truppen aufstocken. Auch Deutschland denkt über eine Vergrößerung des Bundeswehrkontingents von bislang bis zu 980 Soldaten nach. Ist das der richtige Weg?

Schetter: Die Truppenaufstockungen zeigen einen Aktionismus, der wenig zielgerichtet ist. Die USA sollten in den vergangenen 40 Jahren des Krieges in Afghanistan gelernt haben, dass eine alleinige Militärstrategie nicht erfolgversprechend ist. Die zivilen Komponenten werden viel zu wenig berücksichtigt. Eine bessere Polizeiausbildung wäre sinnvoller als andauernd nach dem Militär zu rufen. Allein über Gewalt lässt sich der Konflikt nicht lösen, sondern dies trägt eher zu seiner Verlängerung bei.

Wie könnte denn eine Lösung aussehen?

Schetter: Man muss dem Land einfach mal ein bisschen mehr Zeit lassen. Wir denken in Vier- bis Fünf-Jahres-Rhythmen und verstehen nicht, dass ein Land wie Afghanistan Generationen benötigt. Außerdem sollte man Afghanistan weitaus weniger als den Austragungsort der eigenen ideologischen Konflikte – sprich: Westen versus Islam – sehen, sondern dem Land mehr Eigenständigkeit, auch in seiner Politikführung, zugestehen.

Kann man Afghanistan als sicheres Herkunftsland einstufen?

Schetter: Nein, auf keinen Fall. Die derzeitige deutsche Strategie versucht, das Land in Subregionen zu unterteilen. Man sagt: Kabul ist für die eine Bevölkerungsgruppe vielleicht noch sicher, Bamiyan für die andere. Das ist aber sehr gefährlich, weil man damit mehr oder weniger eine Ghettoisierung Afghanistans betreibt und ignoriert, dass Konflikte von einem Ort auf den anderen schnell übergreifen können.

Deutschland hat Mitte September die Abschiebungen aber wieder aufgenommen.

Schetter: Ich denke, dass diese Abschiebungen auch weitergehen werden. Das hat aber mehr einen innerpolitischen deutschen Hintergrund und wenig zu tun mit Afghanistan. Es wird sich nur sehr wenig darum bemüht, die Sicherheitslage in Afghanistan detailliert zu beurteilen und Auffangmöglichkeiten für die Abgeschobenen zu schaffen. Das zeigt eine enorm starke Ignoranz der deutschen Politik gegenüber den Afghanen.

Das heißt, Sie halten die Afghanistan-Politik der vergangenen 16 Jahre für gescheitert?

Schetter: Am Anfang hat man viel über Demokratie, Staatsaufbau, Kampf gegen den Drogenanbau oder den Aufbau der Wirtschaft gesprochen. Mittlerweile will die internationale Gemeinschaft nur noch eine irgendwie geartete Stabilität erreichen, damit die Afghanen ihr Land nicht mehr verlassen. Für das Land selbst hat man keine Vision mehr. Das lässt das Schlimmste befürchten, nämlich dass die internationale Gemeinschaft eigentlich froh wäre, wenn sie das Land irgendwie wieder hinter dem Hindukusch verschwinden lassen könnte. Sie misst ihm keine politische Bedeutung mehr bei. Das ist dasselbe, was wir in Afghanistan in den 1980er Jahren schon erlebt haben, und was sich im Nachhinein als enorm schädlich erwiesen hat.

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