"Tatort" aus Münster Unterwegs mit Tatort-Darsteller Axel Prahl

BONN/MÜNSTER · An diesem Sonntag zeigt die ARD den nächsten "Tatort" aus Münster. In der westfälischen Bilderbuchstadt können Besucher geführte Touren auf den Spuren der TV-Ermittler buchen. Der GA war exklusiv mit Schauspieler Axel Prahl unterwegs.

Auch Münster hat seine Wetterregel. "Entweder es regnet oder die Glocken läuten - fällt beides zusammen, ist Sonntag". Wie aus der Dienstpistole geschossen kommt Axel Prahl der Spruch über die Lippen. Der Mann hat seine Erfahrungen: Gerade beim Fundort einer Frauenleiche am innerstädtischen Flüsschen Aa eingetroffen, musste der knurrige Kommissar im Jahr 2009 den Dreh zur "Tatort"-Folge "Hinkebein" abbrechen und inmitten immer neuer Wolkenbrüche einen halben Tag lang warten bis zur nächsten Klappe.

Heute, beim "Lokaltermin" an den Schauplätzen des erfolgreichsten ARD-Sonntagskrimis, hat Prahl mehr Glück. "Los, erst mal auf den Prinzipalmarkt", sagt er und schlendert deutlich bedächtiger als der stets etwas kurzbeinig-hektische Thiel. Und steckt sich erst mal eine an.

"Münster hat was von Lübeck", nuschelt er zwischen Zigarette und Rauchwolke hervor - mit Blick auf die Treppengiebel der Kaufmannshäuser. "Fühl? mich sehr wohl seit dem ersten Münster-Tatort 2002, aber leben könnt? ich hier nicht - zu wenig Wasser.", sagt Prahl knapp. Der Aa-See ist ihm "zu lütt", Restaurants und Bars am Binnenhafen beeindrucken den Ostholsteiner Küstenjung nicht recht. Die Münsteraner dafür umso mehr: Prahl zeigt ein selbst gedrehtes Handy-Video: "Guck, Tausende bei unserem Dreh, trotzdem hörste ?ne Stecknadel fallen, so still sind die Leute auf dem Prinzipalmarkt!"

Münsters Kopfsteinpflaster-Boulevard, einst Schauplatz des Westfälischen Friedens, ist heute vor allem Schaufenster von alteingesessenen Kaufleuten. Osthues, Zumnorde, Oeding-Erdel prangt golden an den Arkaden: das ideale Lokalkolorit für Kamerafahrten im ARD-Krimi, wenn Assistentin Nadeshda dem Kommissar im Auto den aktuellen Fahndungsstand verklickert.

Heute gibt Axel Prahl hier nicht den Thiel, eher den Bogart: Jackenkragen hoch, Hut tief in die Stirn gezogen. Noch ein wenig zerknautscht morgens um neun, möchte der untersetzte Mann mit Günther-Netzer-Scheitel und Kugelbäuchlein nicht gleich erkannt werden. Seine Tarnung hält keine fünf Minuten. "Moinsen, Herr Thiel", ruft ihm ein Mann zu. Es ist der vom St.-Pauli-Fan Thiel im Münster-"Tatort" eingeführte, norddeutsche Gruß. Mitten im Herzen Westfalens, wo die Leute "Tach" sagen oder "Wohlsein".

Ein paar Meter weiter an der Lamberti-Kirche strahlen Prahls himmelblaue Augen nach oben, zu drei Käfigen am Turm: "Da drin möcht? ich mal aufwachen nach durchzechter Nacht - natürlich nur im Tatort", schiebt er mit Schelm-Grinsen hinterher. Das gerinnt ihm in den Mundwinkeln, als er vom Zweck der Käfige hört: Fürstbischof Franz ließ darin die Leichen von drei radikalen Predigern verwesen. Sie hatten Vielweiberei und Straßentaufe per Wassereimer propagiert, im zweijährigen Wiedertäuferregime. Ein Mittelalter-"Tatort", Jahrgang 1536.

Vor dem wuchtigen Dom bummelt der 55-jährige Schauspieler gerne über den Wochenmarkt zwischen westfälischen Gemüsebauern und henna-haarigen Bio-Wolle-Verkäuferinnen. Solche Aussteiger gehören zu Münster wie Thiels kiffender "Vadder" zum "Tatort". Kein Wunder bei 50 000 Studenten in einer 300 000 Einwohner-Stadt. Doch auf der Suche nach passenden Etiketten landet man immer wieder in der bürgerlichen Mitte: Besenrein wirkt die Stadt - Tauben und Hunde gibt's, aber partout keinen Dreck.

Eine ideale TV-Kulisse, in der ein Mord jedes Mal für gehörig Aufruhr sorgt im Milieu hornbebrillter Honoratioren mit Einstecktuch und Schmiss. Das hat man nicht im Ersten, sondern dem Zweiten Deutschen Fernsehen zuerst erkannt: Dort ermittelt Thiels ZDF-Kollege Wilsberg schon länger in seinem kleinen Buchladen - in der Realität das Antiquariat Solder unterhalb des Domplatzes. Vor der Tür erklärt Dagmar Brandt bei ihrer Führung "Krimistadt Münster" gerade, wie mit Privatdetektiv Wilsberg alles begann und dass Professor Bernd Brinkmann, der langjährige Leiter der echten Rechtsmedizin, Pate stand für Thiels Partner Boerne - stets blasiert gespielt von Jan Josef Liefers.

Axel Prahl hat jetzt Durst und ein Ziel - das Pinkulus am Rosenplatz. Nein, nicht Pinkus Müller, die Altbier-Legende, sondern die winzige Eckkneipe gegenüber - wie gemalt für Kommissar Thiel: St.-Pauli-Wimpel und Totenkopf-Schal hängen an der Wand. Prahl fläzt sich hin zum munteren Pointen-Pingpong mit Vladi, dem Hamburger Wirt im Westfalen-Exil, und lacht nach sieben weiteren Zigaretten so rasselnd wie Thiels Staatsanwältin Klemm.

Weiter geht's, vorbei an riesigen Kirschen auf einer Säule, einem bunten Kronleuchter im öffentlichen WC und durch ein gestreiftes Tor: Drei von rund 60 öffentlichen Installationen, entstanden im Rahmen des Festivals "Skulpturen Projekte". Axel Prahl zeigt "seine" Skulptur am Servatiiplatz - einen 3,50 Meter großen, grauen Mann, in einer Litfaß-Säule steckend. Paul Wulf, ein von den Nazis verfolgter Münsteraner. "Nach der Errichtung 2007 sollte das Mahnmal eingemottet werden - aus Geldmangel", erzählt Prahl. "Da hab ich gespendet und auch Kollegen dazu animiert."

An der Grün-Promenade zeigt die "lebenswerteste Stadt der Welt" (UN-Preis 2004) unerwartet ihre anarchistische Ader: quietschende Bremsen, Hupen und Klingeln. Doch nicht Boerne rauscht im Porsche herbei, sondern ein Schwarm Fahrräder. 500.000 soll es in Münster geben, gerade mal 3300 finden Platz in Deutschlands größtem Fahrradparkhaus - einem gläsernen Kuchenstück, das vor dem Bahnhof aufragt. Alle übrigen Zweiräder bilden, zumeist wild geparkt, einen Hindernisparcours für Fußgänger. Jedoch nicht im "Tatort". Kommissar Thiel hat auf dem Rennrad stets freie Bahn und doch einen Beinahe-Crash in Erinnerung: "Mit Kuchen im Mund sollte man eben keine Verfolgungsjagd proben", sagt Axel Prahl.

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