PJ Harvey Sängerin nimmt im Somerset House ihr neues Album auf

LONDON · Nicht das fertige Kunstwerk steht hier in der Vitrine, sondern Künstler bei der Arbeit: Die britische Sängerin und Songwriterin PJ Harvey nimmt ihr neues Album derzeit im Angesicht der Öffentlichkeit auf und nennt das Projekt "Recording in Process".

 Der Prozess ist das Erlebnis: Popstar PJ Harvey macht auch mit Saxofon eine gute Figur.

Der Prozess ist das Erlebnis: Popstar PJ Harvey macht auch mit Saxofon eine gute Figur.

Foto: Seamus Murphy

Dafür steigt sie fast täglich tief hinab in den Keller des Somerset House in London: Ein alter, majestätischer Kultur- und Ausstellungsort im Herzen Londons, der einst als königliche Residenz diente und später verschiedene, öffentliche Verwaltungs- und Regierungsämter beherbergte. Vielleicht fühlte PJ Harvey sich durch den Ort zu Songtiteln wie "A Dog Called Money" und "The Ministry Of Social Affairs" inspiriert, die auf einem großen Papierbogen an der Wand zu lesen sind.

In den Kellerraum ließ sie sich eine großflächige, verglaste, weiße Box bauen, die von zwei Seiten von außen für die Besucher einsehbar, doch von innen verspiegelt ist. Die Musiker bewegen sich in diesem aquarium-haften Äquivalent eines Aufnahmestudios mit einer Vielzahl von Instrumenten, von denen aber nur wenige genutzt wurden, darunter ein altes Klavier, Saxofon und Geige.

Die Künstlerin, schön, ätherisch und immer ganz in Schwarz, steht im Mittelpunkt, obwohl sie am leisesten spricht, die zarteste Präsenz besitzt und ihr nicht immer jemand zuhört. Sie ist die einzige Frau im Raum. Die Besucher werden an bestimmten Tagen in kleinen Gruppen von etwa 20 Menschen zugelassen und dürfen jeweils 45 Minuten lang zusehen und zuhören.

Was da passiert, ist spektakulär unspektakulär. In der Vitrine wird geprobt, zugehört, gewartet, diskutiert, überlegt. Hoch her geht es da nicht. Kein einziges Stück wurde bei meinem Besuch ganz durchgespielt, gesungen wurde auch nicht.

Bei dieser Unternehmung, die sich als Installation versteht, geht es nicht um das fertige Ergebnis - es ist auch nicht der erste Versuch dieser Art, man denke unter anderem an die Schauspielerin Tilda Swinton, die ihren Schlaf in einem Glaskasten im MoMA in New York zum öffentlichen Spektakel machte.

Bei PJ Harveys Unternehmung ist der Prozess das Erlebnis - und die Erinnerung daran, dass das Experiment spannender sein kann als das Resultat. Die Zuschauer, die plaudernd den Kellerraum betreten hatten, verstummten bald fasziniert, obwohl sich doch scheinbar so wenig ereignete.

Man konnte die alte Weisheit auf sich wirken lassen, dass Kunst schön ist, aber viel Arbeit macht. Man hörte, wie in der Glasvitrine immer wieder kleine ästhetische Entscheidungen getroffen wurden, aber man sah auch leichtes Genervtsein und Frustration. Am Ende der Session stand die Sängerin auf, zog die Schultern hoch und bedeckte ihr Gesicht mit den Händen.

Da hatten die meisten Zuschauer- und Zuhörer schon den Raum verlassen. Das war offenbar nicht so gut gelaufen. Auch das gehört dazu. Der Perfektionismus durfte bei diesem Projekt, das so elegant zwischen Leben und Kunst angesiedelt ist, auch mal eine Pause machen. Es ist mutig, das zuzulassen - vor allen Leuten.

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