Konzertbericht Philipp Poisel wird im ausverkauften Kölner Gloria gefeiert

Köln · Hat er in jener Zeit, als er sein Geld als Straßenmusiker mit Liedern von John Denver und Bob Dylan verdiente, jemals an das geglaubt, was ihm heute geschieht?

 Ein Hoch von Kirchentag: Philipp Poisel trifft den Nerv seines Publikums.

Ein Hoch von Kirchentag: Philipp Poisel trifft den Nerv seines Publikums.

Foto: Thomas Brill

Als Philipp Poisel (Poasel ausgesprochen - darauf legt er Wert) die Bühne des ausverkauften Gloria betritt, wird er mit frenetischem Jubel begrüßt, als würde Coldplay ein Clubkonzert geben. Rundes Gesicht, nach vorne gekämmte Haare, der heute 31-jährige wirkt, als hätte er sich gerade an der Uni eingeschrieben, so jung, so unschuldig, so begeisterungsfähig und auch ein wenig naiv erscheint er. Er ist der Typ Knuddelbär, den Frauen in den Arm nehmen wollen.

Wenn er sich über den Beifall des Publikums wie ein kleiner Junge freut, dann nimmt man ihm den Gefühlsausbruch ab. Ehrlichkeit ist das Erfolgsgeheimnis in einem Lebensentwurf, der den großen Erfolg wahrscheinlich gar nicht im Programm hatte.

Zunächst steht er alleine mit Akustikgitarre auf der Bühne. Später wird seine Band hinzukommen und für notwendige Akzente sorgen. Sein erstes Stück "Froh dabei zu sein" führt in das Lebensgefühl des Philipp Poisel. "Auch wenn das Leben manchmal traurig ist, ich bin so froh dabei zu sein." Die schönste Zeile des Stücks erinnert an seinen Mentor Herbert Grönemeyer: "Ich habe furchtbar Angst vor dem Tod, ich hoff', wir sind dort nicht allein."

Seine Stimme ist dünn, brüchig, weinerlich. Melancholie und Empfindsamkeit tropfen aus jeder Zeile. Seine Stimme ist im klassischen Sinne nicht schön, aber sie trifft exakt ins Herz, wenn auch nicht jeden Ton. Man ahnt, warum man seinen Gesang im Chor seiner Jugendzeit kritisiert hat.

Für den, dem Chris Martins jammernder Vortrag ein Gräuel ist, muss sein Gesang wie kaum zu ertragendes Wimmern erscheinen. Aber dieses Gefühl teilt niemand im Gloria. Wer das Glück hatte, Karten für dieses Clubkonzert vor seiner kommenden Open-Air-Tour zu bekommen, geht auf in der Welt des Philipp Poisel, die auf radikale Innerlichkeit gebaut ist.

In ihr zählt nur die Liebe, die kommt, festgehalten werden will, sich abwendet, von der man aber nicht lassen will. "Ich zeig dir, dass ich dich nicht brauche und dass ich gehen kann, wann ich will. Weißt du eigentlich wie viel ich rauche seitdem du weg bist?" singt er in "Ich will nur".

Mit einer Überdosis Romantik trifft er die Befindlichkeit des Publikums. Andächtig und textsicher singt man seine Lieder mit. Als eine Frau ergriffen "du bewegst!" ruft, erntet sie begeisterte Zustimmung. Das hat etwas von Kirchentag. Man vergewissert sich gegenseitig, Romantiker in diesen undurchschaubaren Zeiten zu sein.

Über den Rock-Troubadour Peter Maffay witzelte man, er sei ein "Ledermann für jedermann". Philipp Poisel könnte man bissig als "Schmerzensmann für jedermann" bezeichnen. Aber wird dieses Urteil ihm auch gerecht? Man muss seinen Mut loben, mit dem er zu sich steht. Für die Momente des kleinen und großen Glücks- und Unglücks kann er ein guter Wegbegleiter sein. Für die Zukunft vielleicht zu wenig. Ein Stück wie "Herr Reimer" kann in die Zukunft weisen. Hier zeigt sich Poisel als einfühlsamer und lakonischer Porträtist: "Seit zwanzig Jahren steht er schon an der Maschine, und ich fall schon nach zwei Wochen um!"

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