Xavier Naidoo darf nicht zum ESC

Hamburg · Deutschland sucht wieder einen Sänger für den Grand Prix: Xavier Naidoo darf nach einem Sturm der Entrüstung doch nicht beim Eurovision Song Contest (ESC) im nächsten Jahr antreten.

"Es war klar, dass er polarisiert, aber die Wucht der Reaktionen hat uns überrascht. Wir haben das falsch eingeschätzt", erklärte ARD-Unterhaltungskoordinator Thomas Schreiber am Wochenende mit Blick auf die zunächst ausgesprochene Nominierung des Sängers.

Naidoo, der bei der Fußball-WM 2006 für seinen Hit "Dieser Weg" gefeiert worden war, gilt inzwischen wegen politischen Äußerungen als umstritten. Erst am Donnerstag hatte ihn der Norddeutsche Rundfunk (NDR) als deutschen Vertreter für den ESC gesetzt, die Nominierung aber schon am Samstag zurückgezogen. So schnell wie möglich solle nun entschieden werden, wie der deutsche Beitrag für den Musikwettbewerb gefunden wird, kündigte Schreiber an.

Die Art der Nominierung stieß auch in der ARD auf Kritik. Naidoo habe "mehrfach Äußerungen getätigt, die man nicht gutheißen kann und missbilligen muss", sagte Programmdirektor Volker Herres der "Welt am Sonntag". Ob ihn das für eine ESC-Teilnahme disqualifiziere, sei eine Frage, "die man kontrovers diskutieren kann und muss". "Ich hätte es begrüßt, wenn diese Diskussion ARD-intern hätte geführt werden können, bevor mit der Nominierung Fakten geschaffen wurden", kritisierte Herres.

Das nächste Finale des ESC, der als weltgrößte Live-Musikshow gilt, findet im Mai 2016 in Stockholm statt, nachdem der Schwede Måns Zelmerlöw dieses Jahr mit seinem Song "Heroes" in Wien gewonnen hatte. Der NDR, der in der ARD für den Grand Prix verantwortlich ist, wollte Naidoo ursprünglich dort für Deutschland singen lassen, ohne dass sich der Mannheimer in einem Vorentscheid gegen andere Kandidaten hätte durchsetzen müssen.

Rasch regte sich vor allem in sozialen Netzwerken heftiger Widerstand, mehrere Petitionen wurden gegen die ARD-Pläne gestartet. Der Lesben- und Schwulenverband (LSVD) bezeichnete die Nominierung als "äußerst kritisch". Auch von einigen Politikern kamen ablehnende Reaktionen.

Naidoo selbst gab sich nach der Absage kämpferisch. "Meine Leidenschaft für die Musik und mein Einsatz für Liebe, Freiheit, Toleranz und Miteinander wird hierdurch nicht gebremst", beteuerte er in einer schriftlichen Stellungnahme. Der Entschluss, die Nominierung zurückzuziehen, sei einseitig vom NDR gefasst worden, betonte er.

Das Publikum habe deutlich gezeigt, dass es den ESC-Repräsentanten selbst wählen wolle, sagte Komponist und Produzent Ralph Siegel (70) dem Nachrichtenportal "Focus Online". Der NDR solle nun einen Vorentscheid mit Publikumsabstimmung und geeigneten Künstlern organisieren. Er selbst zum Beispiel würde gern wieder einmal für Deutschland ins ESC-Rennen gehen, erklärte Siegel. Er ist Komponist von "Ein bißchen Frieden", mit dem die Sängerin Nicole 1982 den ersten Sieg Deutschlands beim Grand Prix errungen hatte.

Naidoo, Mannheimer mit indischen und afrikanischen Wurzeln, hat seine Alben in Deutschland millionenfach verkauft. In den vergangenen Jahren hatte er jedoch mehrfach Diskussionen ausgelöst - etwa, als er am Tag der Deutschen Einheit 2014 vor Rechtspopulisten namens "Reichsbürgern" sprach, die Deutschland nicht als souveränen Staat anerkennen. 2012 rief der Text des Liedes "Wo sind sie jetzt" von Naidoo und Kool Savas Ärger hervor. Dort geht es in vulgärer Sprache um Kindermorde - Passagen wurden als schwulenfeindlich kritisiert, Homosexuelle würden mit Pädophilen gleichgesetzt.

Unterstützung bekam der Sänger in den vergangenen Tagen von vielen Künstlerkollegen. "Xavier Naidoo ist ein sensationell guter Musiker und Freund. Er ist einer der besten Sänger und Songwriter den es in Deutschland gibt - ein großartiger Künstler", postete Pur-Sänger Hartmut Engler auf Facebook stellvertretend für seine Band. Einige Zitate Naidoos würden "einfach willkürlich aus verschiedenen Jahren und jeweils aus jeglichem Zusammenhang gerissen", monierte Komiker Michael Mittermeier. Es sei erschütternd, wie mit einem der größten deutschen Sänger, "der auch als Mensch einer der liebsten, lustigsten und gutmütigsten Menschen im Showbusiness ist", umgegangen werde, schrieb Schauspieler Til Schweiger bei Facebook.

Auch der Konzertveranstalter Marek Lieberberg ("Rock am Ring") stellte sich mit deutlichen Worten hinter den Sänger: "Ich bin zutiefst erschüttert über die unglaubliche Hetze, die widerliche Heuchelei und den blinden Hass, für die es keinerlei Berechtigung gibt!" Er habe in mehr als 20 Jahren nie das Gefühl gehabt, dass bei Naidoo "auch nur der Hauch eines antisemitischen, rassistischen, xenophobischen oder nationalistischen Sentiments existiert".

Mehrere Politiker begrüßten den Rückzug der Nominierung. SPD-Parteivorstand Niels Annen erklärte auf Twitter: "Richtige Entscheidung. Fehler passieren, gut wenn sie schnell korrigiert werden." Der Grüne Volker Beck schrieb: "Jetzt gilt: alles kann besser werden!"

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort