"UN/SICHTBAR": Foto-Ausstellung porträtiert Säureopfer

München · Es war ein Morgen im Jahr 2009 in Muzaffargarh im Südwesten von Pakistan, als Nusrat ihr Gesicht verlor. Sie war mit ihrem Mann allein im Zimmer, als er sie mit Säure überschüttete.

 Sokneang aus Kambodscha, fotografiert von Ann-Christine Woehrl. Foto: Sven Hoppe

Sokneang aus Kambodscha, fotografiert von Ann-Christine Woehrl. Foto: Sven Hoppe

Foto: DPA

"Meine Kleider fielen mir vom Leib", erinnert sie sich. "Mein Körper brannte." Als sie aus dem Zimmer rannte, stand dort ihr Schwager, der sie ebenfalls mit Säure attackierte. Den Nachbarn erzählte er, Nusrat habe sich selbst verletzt.

"Während ich im Krankenhaus lag, wurde mein Foto in den Zeitungen abgedruckt. Mein Gesicht war schrecklich entstellt", sagt sie. "Meine Schwiegerfamilie zeigte die Fotos oft meinen Kindern und erzählte ihnen, dass ihre Mutter sich in ein Monster verwandelt habe." Der Grund für den brutalen Angriff: Nusrats Bruder hatte sich geweigert, die Schwester ihres Mannes zu heiraten. Und Nusrat hatte ihm geholfen, das Mädchen zu heiraten, das er liebt.

Die 32 Jahre alte Nusrat ist eine der Frauen, die die Fotografin Ann-Christine Woehrl für die Ausstellung "UN/SICHTBAR. Frauen Überleben Säure" im Münchner Völkerkundemuseum porträtiert hat. Sie zeigt Säure- und Brandopfer aus Indien, Pakistan, Uganda, Nepal, Bangladesch und Kambodscha und lässt sie in Interviews zu Wort kommen. "Es geht mir darum, die Frauen, die in ihren Kulturen unsichtbar geworden sind, wieder sichtbar zu machen", sagt Woehrl, die viel Zeit mit den porträtierten Frauen verbrachte und ihre Stärke bewundert.

Nach Angaben der Hilfsorganisation Acid Survivors Trust International (ASTI), die sich um Säureopfer kümmert, werden weltweit pro Jahr rund 1500 Säureattacken auf Frauen gemeldet. "Die Zahl ist aber völlig unrealistisch", sagte der geschäftsführende Direktor von ASTI in London, Jaf Shah, der Nachrichtenagentur dpa. Die Organisation geht von einer Dunkelziffer aus, die mindestens doppelt so hoch ist. Allein in Indien würden schätzungsweise 1000 Frauen pro Jahr mit Säure angegriffen. Wie die Frauenrechtsorganisation Terre des Femmes mitteilte, kommen neun von zehn Säureattentätern nicht vor Gericht. Oft sind es stattdessen die Frauen, die stigmatisiert werden.

"Ich treffe ungern Menschen", sagt Farida aus Bangladesch in einem Interview. Ihr Mann attackierte sie, weil sie ihn wegen seiner Drogen- und Spielsucht verlassen wollte. "Wenn sie erfahren, dass mein Mann mich mit Säure überschüttet hat, dann nehmen sie gleich an, dass ich ein schlechter Mensch bin. Die Gesellschaft ist so grausam." Dabei seien es oft andere Frauen, die die Opfer mit Häme überschütten - oder beispielsweise aus Eifersucht selbst zu Säure-Attentäterinnen werden.

"Es ist nicht nur Mann gegen Frau, sondern auch Frau gegen Frau", sagt die Direktorin des Völkerkundemuseums, Christine Stelzig. Nach Angaben von ASTI ist allerdings die überwiegende Zahl der Täter männlich, handelt oft aus verletzter Eitelkeit.

Säure wird oft zum Tatwerkzeug, weil sie dem Opfer das Gesicht nimmt - und oft auch das Augenlicht. 20 bis 30 Prozent der Säureopfer erblinden, sagt ASTI-Chef Shah. Ein weiterer Grund ist nach Angaben von Terre des Femmes auch, dass Säure in vielen Ländern oft problemlos und vor allem günstig zu haben ist. "In Bangladesch kostet eine kleine Flasche umgerechnet etwa zwölf Cent", sagt Organisationssprecherin Astrid Bracht.

Seit 2002 allerdings gibt es in dem Land ein Gesetz zur Kontrolle des Verkaufs von Säure, das nach Einschätzung von ASTI viel gebracht hat. 2002 wurden noch 496 Säure-Anschläge gemeldet, 2012 waren es mit 72 deutlich weniger, sagt Shah. Viele andere Länder seien noch nicht so weit.

Nusrat aus Pakistan wohnt inzwischen bei ihrer Mutter. Am Anfang habe sie nicht mehr leben wollen. "Als ich mich das erste Mal in einem Autospiegel sah, bin ich in Ohnmacht gefallen", sagt sie. "Menschen, die zu Besuch kamen, sagten, ich würde sowieso bald sterben. Sie hatten Angst vor mir." Geholfen haben ihr dann Treffen mit anderen Überlebenden der brutalen Attacken, die noch schlimmer verstümmelt waren als Nusrat selbst. "Ich war so wahnsinnig dankbar. Ich kann essen und die Welt sehen." Nusrat arbeitet heute in einem Kosmetiksalon, in dem sie die Menschen, die ihr beigestanden haben, noch schöner machen will. Sie sagt: "Ich spüre keine Angst mehr in meinem Herzen."

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