Pianist Igor Levit spielt für Flüchtlinge

Hannover · Es sind nicht nur Til Schweiger und Udo Lindenberg: In Deutschland engagieren sich zahlreiche Künstler für Flüchtlinge.

 Igor Levit gehen vor allem die Schicksale der Kinder nah. Foto: Jens Büttner

Igor Levit gehen vor allem die Schicksale der Kinder nah. Foto: Jens Büttner

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Der weltweit gefeierte Pianist Igor Levit begann Anfang November sein Konzert in der Düsseldorfer Tonhalle mit einer kurzen Ansprache. Er möchte diesen Beethoven-Zyklus den Menschen widmen, "die unverschuldet ohne Hab und Gut gezwungen wurden, ihre Freiheit aufzugeben, ihr Leben aufzugeben, ihr Haus aufzugeben, ihre Heimat aufzugeben", sagte der 28-Jährige.

Der Musiker mit russisch-jüdischen Wurzeln appellierte an die 1600 Zuhörer, Neuankömmlinge und ihre ehrenamtlichen Helfer zu unterstützen und sich gegen "die gefährlichen, unmenschlichen, faschistoiden, radikalen Rattenfänger und deren Mitläufer" zu wehren.

Am Samstag spielt der Klassik-Shootingstar, der im Oktober seine dritte CD herausgebracht hat, bei einem vom NDR organisierten Begegnungskonzert in seiner Heimatstadt Hannover in Niedersachsen. Die Hälfte der gut 300 Karten ging an Flüchtlingsfamilien, die mit Bussen von ihren Unterkünften zum Konzertsaal gebracht werden. Auf dem Programm steht Camille Saint-Saëns "Karneval der Tiere".

Für Levit ist das Konzert eine Geste, um den Menschen das Gefühl zu geben: "Ihr gehört dazu". Das Wort Flüchtlinge mag er nicht. "Dabei vergessen wir leicht, dass es Menschen sind. Jeder hat ein individuelles Schicksal", sagt der Pianist in seinem Lieblingscafé im Zooviertel der Landeshauptstadt.

Vor allem die Schicksale der Kinder gehen ihm nah. Liegt dies daran, dass er selbst Migrant ist? "Wir sind 1995 als jüdische Familie über das Flüchtlingskontingent nach Deutschland gekommen, aber mit dem Flugzeug und einer unbefristeten Aufenthaltsgenehmigung", sagt Levit. "Wir sind nicht Tausende von Kilometern zu Fuß gegangen, haben uns nicht in ein Boot über das Mittelmeer setzen müssen."

Geboren in Gorki, dem heutigen Nischni Nowgorod, gab der dunkelhaarige Junge schon im Vorschulalter Konzerte. Die Wahl der neuen Heimat hatte auch mit seinem musikalischen Talent zu tun. Der bekannte Klavierpädagoge Wladimir Krainew, damals Professor an der Musikhochschule Hannover, hatte ein Video von Igors Spiel gesehen und ihm Unterricht angeboten.

Auf seinem neuen Album stellt der Pianist Bachs "Goldberg-Variationen" und Beethovens "Diabelli-Variationen" neben eine zeitgenössische Komposition. "The People United Will Never Be Defeated!" des US-Amerikaners Frederic Rzewski ist ein politisches Proteststück. "Er ist unglaublich neugierig und überrascht in seinen Programmen", beschreibt der Intendant der Düsseldorfer Tonhalle, Michael Becker, den 28-Jährigen.

Der Manager der NDR Radiophilharmonie, Matthias Ilkenhans, sieht das Begegnungskonzert für Flüchtlinge in Hannover durch Levits Teilnahme aufgewertet: "Was ihn als Pianist ausmacht, ist die perfekte Mischung von Kopf und Bauch."

Am 1. und 22. Dezember stehen weitere Auftritte in Düsseldorf an. Außerdem tritt Levit in New York gemeinsam mit der berühmten Performancekünstlerin Marina Abramovi\x{0107} auf. Kritiker feiern den 28-Jährigen als Klaviervirtuosen, Weltklasse-Pianisten oder gar Jahrhundertkünstler. "Der Titel-Weltklasse-Pianist geht mir ins rechte Ohr rein und ins linke wieder raus", meint Levit dazu. Dann verabschiedet er sich, tritt aus dem Café in die Dunkelheit und steigt auf sein Fahrrad. In seiner Altbauwohnung wartet der Konzertflügel. "Ich muss jetzt noch ein bisschen arbeiten", sagt er.

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