Nepals Kulturerbe ist in Gefahr

Kathmandu · Immer wieder läuft Rajesh Suwal die Stufen des Swayambhunath-Tempels am Stadtrand von Kathmandu auf und ab. "Ich bin etwas verloren. Ich weiß einfach nicht, wo ich anfangen soll", sagt der Nepalese.

 Nur noch ein Trümmerhaufen ist vom Hindutempel von Machchhindranath in Bungmati, Nepal, übrig geblieben. Foto: Subel Bhandari

Nur noch ein Trümmerhaufen ist vom Hindutempel von Machchhindranath in Bungmati, Nepal, übrig geblieben. Foto: Subel Bhandari

Foto: DPA

Das verheerende Erdbeben hat 27 Pagoden und andere Gebäude im Tempelareal zerstört. Soll er zuerst den Schutt wegräumen oder das Areal absichern? Eine Inventur machen und alles, was nicht zerstört ist, in Sicherheit bringen? Oder doch Essen an die obdachlose Bevölkerung verteilen?

Hunderte Statuen, Glocken, Götterbilder und andere Kunstgegenstände liegen auf dem Boden des kleinen buddhistischen Tempels aus dem 5. Jahrhundert. Das Reiterstandbild des Hindu-Gotts Mahankal ist kaputt, der Gott liegt auf dem Boden, von einer Pfauenstatue aus Metall ist außer den Beinen nichts mehr zu sehen.

Mehr als 7600 Menschen kamen bei dem Himalaya-Beben vom Samstag vergangener Woche ums Leben. Neben Tausenden Häusern wurden auch viele Tempel und andere historisch wichtige Gebäude beschädigt oder zerstört. Die Auswirkungen des Bebens auf das kulturelle Erbe Nepals seien absolut dramatisch gewesen, meint der Unesco-Repräsentant in Kathmandu, der Deutsche Christian Manhart. "Hier im Tal von Kathmandu sind etwa drei Viertel des Erbes schwer beschädigt." Außerhalb der Hauptstadt ist die Lage ebenfalls wenig ermutigend, wie er sagt.

Die Tempelanlagen seien extrem wichtig für die Identität der Nepalesen, weil sie mit der Götterwelt verbunden sind, sagt Joanna Pfaff-Czarnecka, Professorin für Sozialanthropologie an der Universität Bielefeld: "Die Kulturgüter sind ein Teil der Topographie des Landes."

Besonders schwer getroffen wurde der Durbar-Platz im Zentrum Kathmandus. Laut Manhart sind 80 Prozent der Tempel eingestürzt. Dort standen Gebäude vor allem aus dem 17. Jahrhundert. Für patriotische Nepalesen ist dieser Ort besonders wichtig, erklärt Michael J. Hutt, Direktor des Südasien-Instituts der University of London. "Ihn zerstört zu sehen, hat einen enormen emotionalen Effekt."

Im Kloster Karma Raja Mahavihar starren Mönche auf die Trümmer von Gebetsmühlen und zerstörte religiöse Texte. Edelsteine und andere wertvolle Kunstgegenstände haben sie im Haus von Kloster-Sekretär Rajendra Lal Manandhar zwischengelagert. Einiges dürfte in den ersten Tagen nach dem Beben gestohlen worden sein, vermutet dieser. Außer zwei Sicherheitsleuten habe es keine Wachleute gegeben. Jetzt schützen etwa ein Dutzend Polizisten die Klosterruine.

Auch Suwal meint, die Versuchung für Plünderer sei jetzt groß. "Ein nettes Paar kam am dritten Tag nach dem Beben, um zu beten", erzählt er. Doch dann hätten die beiden zwei kleine Götterbilder geklaut. "Zum Glück haben unsere freiwilligen Helfer sie erwischt."

Überall gibt es Berichte über Diebstahl aus Tempelruinen. Sogar Regierungsbeamte sollen nepalesischen Medien zufolge zu den Langfingern gehören.

Noch größer ist aber die Gefahr für das Kulturerbe durch Zerstörungen bei Rettungsarbeiten. Mancherorts kamen die Ersthelfer mit Bulldozern und trugen die Trümmer ab - damit wollten sie Leben retten, aber Archäologen zufolge richteten sie dabei unwiderrufliche Schäden an. "Als wir davon gehört haben, haben wir sofort versucht, das zu verhindern. Es war sehr schwer, die Behörden zu überzeugen. Sie waren unter Druck, Leben zu retten", sagt Manhart.

Mit all den Toten und Verletzten ist der Schutz von Nepals Kulturerbe für viele von geringerer Wichtigkeit. Aber auch dies muss rasch geschehen, bevor viele Schätze endgültig verloren sind. Das kostet Geld, die Unesco hat dafür in einem Eilverfahren zu Spenden aufgerufen. Ministerpräsident Sushil Koirala hat versprochen, dass alle Gebäude von historischer, religiöser oder archäologischer Bedeutung wieder aufgebaut werden sollen.

Keine andere Naturkatastrophe in der jüngeren Vergangenheit hat dem kulturellen Erbe eines Landes mehr Schaden zugefügt, als dieses Beben, sagt Manhart.

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Unesco Kathmandu

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