Salzburger Festspiele Juwelen des Gesangs

Salzburg · Zwar scheint es angesichts ihres Niveaus unmöglich, doch erinnern Festspiele ein bisschen an Pyramiden. Es gibt dort fast nur hochrangige Aufführungen; sie sind indes das Fundament, auf dem sich alles nach oben steigern lässt.

 Perlenketten aus Koloraturen: Cecilia Bartoli als Bellinis Norma in Salzburg.

Perlenketten aus Koloraturen: Cecilia Bartoli als Bellinis Norma in Salzburg.

Foto: HANS JÖRG MICHEL

Man findet Abende mit noch höherem Glanz, noch mehr Opulenz. Zudem gibt es ein geheimes Ranking, wann die Extravaganz der Garderobe erneut gesteigert werden muss. Gradmesser sind die Kartenpreise und die Dynamik des Schwarzmarktes. Je mehr eine Karte kostet, desto mehr scheint die Veranstaltung wert. Da möchte sich niemand unwürdig erweisen.

Damit wären wir bei der Salzburger Premiere von Bellinis Oper "Norma". Willkommen auf dem Gipfel der Pyramide: Die Titelpartie singt Cecilia Bartoli. "Norma" spielt vom Rang her einige Ligen unter Mozart und Verdi, aber das ist dem Publikum egal, denn hier singt eine Primadonna, es winkt ein Freischein auf Koloraturen, Spitzentöne und weibliche Hysterie. Außerdem gibt es eine berühmte Arie namens "Casta Diva", in der sich eine singende Soprangöttin und eine besungene Mondgöttin auf feierlicher Augenhöhe begegnen. Mit Bartoli könnte nur Anna Netrebko konkurrieren, doch die ist stimmlich in einem anderen Fachbereich beschäftigt.

Niemand im Auditorium interessiert sich ernstlich dafür, dass in John Osborn als Pollione ein großartiger Tenor mitwirkt, der sich nur auf die Zehenspitzen zu stellen braucht, um das hohe C vom Baum zu pflücken. Niemanden juckt es, dass Rebeca Olvera eine verschattete Adalgisa ist, deren schmale Stimme nicht geeignet scheint, einer Priesterin (Norma) den Geliebten (Pollione) auszuspannen. Kaum jemand fragt auch nach dem tieferen Sinn der Regie von Moshe Leiser und Patrice Caurier, die das mythologische Umfeld der Oper in eine vage Moderne umsiedeln. Eine offensivere Inszenierung würde zeigen, dass Normas Psychosen eine Gefahr für die Umwelt darstellen und eine Unterbringung in der Geschlossenen erfordern.

Nein, im Zentrum der Neugier steht einzig Cecilia Bartoli, die ihre Tugenden abermals wie Girlanden aufhängt: Perlenketten aus Koloraturen, Flüge ins Dreigestrichene, unendliches Legato, Inbrunst des Ausdrucks. Um sie schwebt ein Spiralnebel der Einzigartigkeit, weswegen der Einwand wie allzu nüchterne Inventur wirkt, dass ihr Vibrato in der Höhe zuweilen den Zielton verunklart; sie schießt dann aus Begeisterung übers Ziel hinaus. Giovanni Antonini am Pult des Orchestra La Scintilla tut alles, um Bellini aufzuwerten. Er schneidet die Akkorde ruppig zu, aquarelliert den Sound, stiftet heilige Ruhe, rührt Farben an. Trotzdem wirkt das Einerlei der Musik wie klare Brühe mit ein paar Markklößchen drin. Doch wenn eine Priesterin wie Bartoli das Serviermädchen gibt, wird auch aus einer Terrine reiner Luxus. - Unbeschreiblicher Jubel.

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