Geschlechtertausch bei "Clavigo" in Salzburg

Salzburg · Auch der olle Goethe war mal jung. Im zarten Alter von 24 Jahren schrieb er in einem Schaffensrausch von nur acht Tagen sein Trauerspiel "Clavigo". Das war im Jahr 1774.

 Susanne Wolff (l.) als Clavigo und Marcel Kohler as Marie Beaumarchais in Salzburg. Foto: Barbara Grindl. BARBARA GINDL

Susanne Wolff (l.) als Clavigo und Marcel Kohler as Marie Beaumarchais in Salzburg. Foto: Barbara Grindl. BARBARA GINDL

Foto: DPA

Der Text wurde schon drei Monate später uraufgeführt. Goethe, der Shootingstar. Seiner künftigen Bedeutung als Dichterfürst muss sich Johann Wolfgang schon bewusst gewesen sein. Held des Dramas ist ein erfolgreicher Literat, der es mit der privaten Moral nicht allzu ernst nimmt und seine Liebe der Karriere opfert.

Es ist verdienstvoll, wenn die Salzburger Festspiele das selten gespielte Frühwerk, das es nie wirklich ins klassische Repertoire geschafft hat, zur Eröffnung ihres diesjährigen Schauspielprogramms auf den Spielplan setzen. Für die Neuinszenierung im Salzburger Landestheater zeichnete der 1959 geborene, vielfach ausgezeichnete Regisseur Stephan Kimmig verantwortlich. Er machte aus dem Klassiker eine kunterbunte Revue, die besser auf die Bühne eines Kinder- und Jugendtheaters gepasst hätte und am Montagabend vom Publikum sehr zwiespältig aufgenommen wurde.

Um den Schinken zeitgeistmäßig aufzupeppen, hatte Kimmig die tragenden Rollen geschlechtermäßig ausgetauscht. Gender muss heute sein. Clavigo ist eine Frau und wird von Susanne Wolff verkörpert, seine Braut Marie ein Mann, gespielt von Marcel Kohler. Maries Bruder Beaumarchais ist mit Kathleen Morgeneyer wieder eine Frau. Alle gehören zum Ensemble des Deutschen Theaters Berlin, wo das Stück ab dem 13. November zu sehen ist.

Der Sinn dieses Gender-Experiments, das immer wieder zu Verwirrung führt, weil man bald nicht mehr weiß, wer Männlein oder Weiblein ist, wird bis zum Ende nicht ganz klar. Kimmig hatte in einem Interview gesagt, er wolle eine Lanze für die Frauen brechen. "Die Männer müssen lernen, dass sie nicht so wichtig und allermeistens sowieso dümmer als Frauen sind." Diskriminierung, einmal andersherum.

Es geht los mit einer Art Pantomime vor einem sich blähenden Vorhang aus bunter Ballonseide. Die Protagonisten sind zum Teil als Transen verkleidet und tragen rote Clownsnasen. Dazu prusten und lallen sie ins Mikrofon. Die unförmigste dieser merkwürdigen Figuren entpuppt sich als Clavigo, der junge Mann im Spitzentütü als sein Freund Carlos, der schlaksige, tätowierte Junge mit dem verschatteten Blick als Marie. Und die junge Frau mit der Punkfrisur ist Beaumarchais, Maries Bruder.

So kunterbunt und schrill und ein bisschen oberflächlich geht es weiter. Es gibt längliche Videoeinspielungen und reichlich vom Techno inspirierte Bühnenmusik von einer Künstlerin namens Pollyester. Dazwischen immer mal wieder Goethe-Schnipsel. Nicht nur Clavigo, sondern auch andere frühe Texte des Dichterfürsten wie eine recht deftige Hanswurstiade ("Hanswursts Hochzeit"), dargeboten von Beaumarchais im Wiener-Würstel-Röckchen. Die zotigen Verse erinnern daran, dass Goethe nicht von Anfang an der Arkadier war.

Aus dem Seidenvorhang wird ein schlaff am Boden liegender Heißluftballon, der als eine Art Zelt und Liebeshöhle dient. Angestachelt von seinem Freund Carlos, der sich selbst für ein Genie hält, trennt sich Clavigo gleich zweimal von seiner ihm zwar seelenverwandten, aber offenbar nicht standesgemäßen Braut. Die stirbt an Kummer und Verrat des Geliebten und wird von Bruder Beaumarchais gerächt. So jedenfalls Goethes Version.

Bei Kimmig geht das alles etwas durcheinander. Aber das ist auch nicht so wichtig, weil ja die Show im Vordergrund steht. Völlig deplatziert wirkt die Ansprache einer unbekannten Frau aus dem Erzgebirge, wieder Beaumarchais. Sie zitiert den unvermeidlichen Globalisierungskritiker Jean Ziegler, der mal zur Eröffnung der Festspiele sprechen sollte, aber angeblich ausgeladen wurde.

Am Ende wird der Heißluftballon zur Himmelsfähre, mit der Marie, die sich mit einer Plastiktüte über dem Kopf das Leben genommen hat, ins Nirwana entschwebt. Für die Berliner Schulklassen, die noch nie von einem Dichter namens Goethe gehört haben, ist das sicher ein toller Spaß. Festspielwürdig ist es nicht.

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