Das geistliche Oberhaupt der Tibeter wird 80 Der Dalai Lama denkt über seine Nachfolge nach

BONN · Achtzig Jahre und keine Spur von Müdigkeit. Noch immer reist der Dalai Lama, der am Montag Geburtstag feiert, um die Welt und Tausende strömen zusammen, um ihn zu hören. Wenn jemand achtzig Jahre alt wird, ist es erlaubt zu fragen, was nach ihm kommt und wie er sein Erbe organisiert hat. Seine Heimat ist seit 1950 von der Volksrepublik China besetzt.

 "Lehrer des Weltmeeres" bedeutet der Titel Dalai Lama. Am Montag wird er 80 Jahre alt.

"Lehrer des Weltmeeres" bedeutet der Titel Dalai Lama. Am Montag wird er 80 Jahre alt.

Foto: DPA

1959 musste er fliehen, seitdem lebt er im Exil im indischen Dharamsala. Die Zurückgebliebenen traf der ganze Zorn der Besatzer. Insgesamt etwa 1,2 Millionen Menschen - jeder fünfte Bewohner - sind Hunger, Terror und Exekutionen zum Opfer gefallen.

Die Kommunistische Partei betrachtet den Dalai Lama seitdem als Staatsfeind Nummer eins. Eine politische Veränderung, die seine Rückkehr ermöglichen würde, ist nicht in Sicht. Deshalb hat er deutlich gemacht, dass eine Wiedergeburt im chinesischen Machtbereich nicht in Frage kommt; und sogar eine höchst ungewohnte Variante hat er ins Spiel gebracht: Es könnte seine letzte Inkarnation als Dalai Lama sein.

Damit reagiert er auf die Einflussnahme der chinesischen Kommunisten. Sie hegen offenbar den Plan, einen eigenen Dalai Lama zu präsentieren. Wenn der Amtsinhaber vor seinem Tode klarmachen würde, dass die Inkarnationsreihe der Dalai Lamas mit ihm endet, hätte China keine Legitimation, einen eigenen Kandidaten aufzufinden, so seine Hoffnung.

Ob er die Kommunistische Partei damit beeindrucken wird, erscheint jedoch fraglich. In der ihr eigenen Regulierungswut, hat sie bereits Vorschriften für die Inkarnation hoher Geistlicher erlassen; ein absurder Vorgang, bildet doch der Atheismus eine wichtige Grundlage der kommunistischen Ideologie. Gleichwohl verabschiedete die Partei im August 2007 eine Bestimmung über die "Verwaltung von Reinkarnationen lebender Buddhas im tibetischen Buddhismus." Demnach dürfen wichtige Inkarnationen nur innerhalb der Grenzen der Volksrepublik gefunden werden. Beobachter reagierten mit Spott: "Nach Einführung der Geburtenkontrolle gibt es in China nun auch die Wiedergeburtenkontrolle."

[kein Linktext vorhanden]Die Tibeter werden einen Dalai Lama von Chinas Gnaden niemals anerkennen, doch er kann für Verwirrung sorgen. Nicht auszuschließen, dass Regierungen in Ost und West der Kommunistischen Partei folgen werden, um ihre Chancen auf dem chinesischen Markt zu verbessern.

Der Dalai Lama wird 80
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Um eine Radikalisierung zu verhindern und Kontinuität zu gewährleisten, hat der Dalai Lama im weltlichen Bereich bereits Vorbereitungen getroffen. 2011 hat er sein Amt als politisches Oberhaupt der Tibeter an einen gewählten Ministerpräsidenten abgegeben, den 47-jährigen Lobsang Sangay.

Die Tibeter hoffen zudem auf eine Lösung der Tibetfrage noch zu Lebzeiten des Dalai Lama. Längst hat er die Forderung nach Unabhängigkeit aufgegeben, doch das wird in Peking als "unehrlich" abgetan. Offenbar will die Volksrepublik das Tibet-Problem aussitzen. Wenn jedoch keine einvernehmliche Lösung gefunden wird, bleibt Tibet ein Konfliktherd für Jahrzehnte. Und es bedarf einer großen moralischen Autorität, um am friedlichen Widerstand festzuhalten. Der Dalai Lama und andere hohe Geistliche setzen dabei auf den Karmapa. Der 28-Jährige ist das Oberhaupt der Karma-Kagyü-Schule des tibetischen Buddhismus, und er gilt als sehr charismatisch. Ursprünglich stand diese Schule eher in Konkurrenz zum Dalai Lama, der den Gelugpa angehört; vergleichbar Katholiken und Protestanten. Im Exil jedoch sind sie sich näher gekommen.

Und es gibt noch ein Vakuum, das der Dalai Lama hinterlässt. In der letzten Zeit bewegt ihn vor allem die Frage, wie es eine Ethik geben kann, die von der Mehrzahl der Menschen als Basis für ein friedliches Miteinander akzeptiert wird - unabhängig von ihrer religiösen oder weltanschaulichen Überzeugung.

Die Brücke zu den Nicht-Gläubigen ist die säkulare Ethik. Begründet wird sie nicht durch die moralischen Gebote einer höheren Instanz, sondern durch den Anspruch eines jeden einzelnen auf Glück und materielle Sicherheit. Für dieses Ziel reist der Dalai Lama auch in seinem hohen Alter durch die Welt, sucht den interreligiösen Dialog und setzt sich nachdrücklich für religiös Verfolgte ein.

Die Wurzeln des Dalai Lama

Im 14. Jahrhundert wurde Tibet von rivalisierenden Orden beherrscht. Dagegen wandte sich der Reformator Tsongkhapa mit der Botschaft "Zurück zu den buddhistischen Wurzeln"! Auf dieser Basis gründete er "die Schule der Tugendhaften", auf tibetisch Gelugpa, die großen Zulauf verzeichnete.

Die Erfolge der Gelugpa veranlassten die Mongolen, den Abt Sonam Gyatso zu sich zu rufen, um den Buddhismus zu verbreiten. Da die Mission sehr erfolgreich war, erhielt der Abt den Titel Dalai Lama, was "Lehrer des Weltmeeres" bedeutet. Manchmal wird es auch mit "Ozean der Weisheit" übersetzt. Nach buddhistischer Tradition wird der Dalai Lama immer wieder geboren (inkarniert), bis alle Menschen Erleuchtung erlangt haben. Mit Hilfe der Mongolen eroberte der 5. Dalai Lama im 17. Jahrhundert die Macht über Tibet. Seitdem gilt er als geistliches und weltliches Oberhaupt der Tibeter.

1989 erhielt der 14. Dalai Lama für sein Bemühen um eine gewaltlose Lösung des Tibetproblems den Friedensnobelpreis.

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