Salzburger Festspiele Blasmusik und Kanonendonner

Salzburg · Wozu dienen Festspiele, wenn sie nichts Außergewöhnliches wagen? Wenn sie nicht Produktionen ermöglichen, die den Rahmen von Stadttheatern sprengen? Ein solches Großprojekt hat sich Salzburg nun mit Karl Kraus' "Die Letzten Tage der Menschheit" vorgenommen, die als unaufführbar gelten.

 Mit harten Bandagen: Dörte Lyssewski und Christoph Krutzler auf der Bühne.

Mit harten Bandagen: Dörte Lyssewski und Christoph Krutzler auf der Bühne.

Foto: dpa

Ambitioniert war diese Koproduktion zwischen Salzburg und dem Wiener Burgtheater von Anfang an. Das Konvolut von 800 Seiten, in dem der Wiener Satiriker und Lyriker Kraus ein Figuren-Kabinett aus dem Ersten Weltkrieg paradieren lässt, galt es auf einen packenden Theaterabend zu kürzen. Der garstige Spott und die beißende Ironie, mit der hier Wiener und Berliner Majestäten ebenso wie Offiziere, Meinungsmacher und "einfache Leut'" vorgeführt werden, bieten genug Stoff für eine deftige Österreich-Revue.

Doch da hatte Regisseur Georg Schmiedleitner im Voraus abgewunken. Ihm, der erst im Frühjahr für den davongejagten Burgtheater-Chef Matthias Hartmann eingesprungen war, und seinem Ausstatter geht es weniger um Milieu und Kolorit von 1914-1918. Vielmehr um existenzielle Probleme der Menschen, denen Militärs und Wissenschaftler durch die Schlagkraft von Massenvernichtungswaffen den Boden unter den Füßen weggezogen haben.

Klar, dass die Festspiele das Gedenkjahr 2014 dazu nutzen, auch im Sprechtheater die Frage zu stellen, wer die Verantwortung trägt für die Millionen von sinnlos getöteten Menschen. In Salzburg fühlt man eine historische Verpflichtung: Denn 1920, zwei Jahre nach Kriegsende, verstanden die Gründer ihre Festspiele als Friedenswerk.

So folgt nach Kraus noch die amerikanische Starregisseurin Katie Mitchell, die sich in "Forbidden Zone" mit dem Chemiker-Ehepaar Clara Immerwahr und Fritz Haber beschäftigt. Haber gilt als Erfinder von Kunstdünger und Giftgas, dessen Einsatz im Ersten Weltkrieg verheerende Wirkungen zeitigte. Einen Tag später feiert Ernst Tollers expressionistisches Drama "Hinkemann" Premiere. In dieser Koproduktion mit Düsseldorfs Schauspielhaus geht es um einen versehrten Kriegsheimkehrer, dem man im Schützengraben die Genitalien weggeschossen hatte.

Überwiegend ernst geht es während der knapp viereinhalb Stunden im plüschig barocken Landestheater Salzburg zu. So lange dauert die neue Fassung der "Letzten Tage der Menschheit". 13 Mimen der ersten Burg-Garde schlüpfen in 56 Rollen und bieten ein wahres Fest an Schauspielkunst, Kabarett, Kabinettstücken und satirischen Couplets. Übertönt werden Kriegsgräuel und Untergang der Donaumonarchie von Militärmärschen und reichlich Tschingderassassa Bum: Auf kreisender Bühne fährt die Blaskapelle der Postmusik Salzburg rauf und runter, manchmal unterbrochen von Kanonendonner.

Ansonsten: nur wenig Requisiten. Auf kahler Bühne führt Schmiedleitner eine Collage der Kraus'schen Archetypen vor. Die Reihenfolge der Szenen wirkt beliebig, lediglich die Kriegschronologie dient als roter Faden. Anfangs ziehen fast alle an einem Strang, übertreffen sich in Vaterlandsliebe und Kriegsbegeisterung, bis dann die Kriegswirklichkeit zu Not, Elend und Hass auf die Monarchen führt. Keifende Wiener Hausfrauen, schimpfende Metzger, Lehrer (Elisabeth Orth), die das Kriegs-Einmaleins pauken lassen, deutsche Industrielle, deren Kinder Weltkrieg spielen... Dann schenkt Ludwig Ganghofer in Janker dem deutschen Kaiser (dümmlich naiv: Bernd Birkhahn) ein Kriegsfeuilleton. Kaiser Franz Joseph (urkomisch: Peter Matic) indes fällt vom Sterbebett und singt, dass ihm nichts erspart bleibt. Miniaturen dieser Art erinnern an Volkstheater und Komödienstadl. Zumindest zündet das Tempo in den ersten zweieinhalb Stunden, nach der Pause quälen sich die Szenen und Kraus' Figurenwelt verblasst.

Als Korsett fungieren drei Rollen: die Kriegsreporterin Alice Schalek, die Kraus zutiefst verachtete (überspitzt spitzzüngig gespielt von Dörte Lyssewski), der kriegsbejahende Optimist, der meint "Eine große Zeit ist angebrochen" - seifig, ölig und mit bleckenden Zähnen gemimt von Gregor Bloéb. Und der ewige Nörgler (temperamentvoll, aufgeregt und engagiert: Dietmar König). Wenn er auch als Mahner und Visionär den Untergang und Horror der Urkatastrophe voraussagte, hat das letzte Wort der Optimist. "Kopf hoch!" muntert er den Zuschauer auf. Sein Blick fällt dabei auf das Haupt eines getöteten Feindes.

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