Künstler Joseph Beuys Beuys-Fettecke wird zu Schnaps

DÜSSELDORF · Die bildende Kunst hat ihr Sommertheater 2014: Ein Trio habe quasi unter den Augen eines Düsseldorfer Museumschefs und unter tätiger Hilfe eines Beuys-Vertrauten aus einer Fettecke von Joseph Beuys ein Gebräu hergestellt, das 50 Prozent stark sei und auf der Zunge eine leichte Parmesan-Note hinterlasse - das berichteten wir in der vergangenen Woche.

 Der Schnaps des Anstoßes: Destillat mit Fettecken-Etikett im Museum Kunstpalast.

Der Schnaps des Anstoßes: Destillat mit Fettecken-Etikett im Museum Kunstpalast.

Foto: dpa

Die Witwe des 1986 gestorbenen Schamanen sieht - "unglaubliche Unverschämtheit" - das Urheberrecht verletzt, reagierte entrüstet angesichts der "Farce, gegen die mein Mann sich nicht mehr wehren kann" und will über den Berliner Prominentenanwalt Peter Raue Klage einreichen. Gut denkbar, dass aus dem Düsseldorfer Einakter noch große Oper wird. Ein Skandal.

Brisant war es schon beim ersten Fettecken-Fall vor bald 30 Jahren: Nach Beuys' Tod hatte der Hausmeister der Düsseldorfer Kunstakademie eine aus fünf Kilo Winterbutter bestehende Fettecke von der Decke von Beuys' Atelier "Raum 3" entfernt. Johannes Stüttgen, Schüler des Kunstschamanen, entdeckte den Butterklumpen in einem Putzeimer, konservierte ihn als "Reste einer staatlich zerstörten Fettecke". Den folgenden Prozess - nicht der erste wegen weggeputzter Beuys-Kunst - verlor das Land NRW. In zweiter Instanz kam es zum Vergleich: Das Land zahlte 40 000 Euro Schadensersatz. Das Fettecken-Relikt landete in Stüttgens Keller.

Und von dort gelangte es nun in die Hände dreier Künstler, die den Fettrest in Schnaps verwandelten. Wie, das ist nicht ganz geklärt. Jedenfalls lässt sich aus Fett kein Alkohol brennen, so wie man auch aus Blei kein Gold machen kann. Selbst in einer Alchimie-Ausstellung wie die im Düsseldorfer Kunstpalast, in der nun das Schnaps-Fläschchen mit Beuys-Etikett steht, geht das nicht. Der Fall wirft Fragen auf.

Ist die Butter in Stüttgens Keller mit Beuys' Fettecke gleichzusetzen? Handelt es sich um einen Fetisch? Ist das, was die Künstler Markus Löffler, Andree Korpys und Dieter Schmal aus dem Klumpen machten, Sachbeschädigung, Urheberrechtsverletzung oder Kunst? Es ist Kunst. Man habe sich keinen Spaß erlaubt, betonte Korpys. Vielmehr ordne man sich in den Kontext von Beuys ein. Beuys, der von der Magie von Energie- und Wärmeflüssen überzeugt war, ließ etwa 1982 die originalgetreue Kopie der Zarenkrone von Iwan dem Schrecklichen einschmelzen und in die Form des Hasen, eines Friedenssymbols, gießen.

Und wie verhält es sich nun mit dem als Hommage an Beuys klassifizierten Düsseldorfer Kunst-Fusel? Wir bewegen uns da offenbar in Sphären, die in anderen Künsten etwas klarer definiert sind: In der Musik gibt es in Abgrenzung zum Plagiat das Covern oder Sampeln, das dem Interpreten Freiheiten gibt, mit dem Material eines Dritten umzugehen; die Videokunst kennt etwa das Phänomen des "Found Footage", bei dem filmisches Fremdmaterial kompiliert wird. In der Konzept-Kunst schließlich gibt es die "Appropriation Art", eine Art künstlerischer Aneignung, die wie bei Elaine Sturtevant bis zur exakten Kopie oder wie bei Richard Pettibone zur radikalen Verbesserung gehen kann. Pettibones Warhol-Bilder sind "besser" als die des Meisters selbst: "Ich bin ein sorgfältiger Handwerker, er ist ein Schlamper."

Noch näher an unserem Fettecken-Fall ist ein radikaler Vorgang, der sich 1953 in New York ereignete. Der 28-jährige Heißsporn Robert Rauschenberg besuchte, ausgestattet mit einer Flasche Whisky, das Atelier des fast 50-jährigen Malerkollegen Willem de Kooning, Vaterfigur der Abstrakten Expressionisten. Rauschenbergs unverschämter Wunsch: Er wollte eine Zeichnung von seinem Idol - um sie auszuradieren. Zerstörung sei nicht sein Ziel, versicherte er dem Kollegen.

Der Begriff bald, machte es dem jungen Maler nicht leicht und suchte ein Blatt aus, das ihm, de Kooning, am Herzen lag. Rauschenberg nahm sich mit dem Ausradieren Wochen Zeit. Das Blatt "Erased de Kooning Drawing" wurde erst zehn Jahre später öffentlich gezeigt. 2009 wurde es untersucht. Man fand de Koonings Spuren. Noch heute umweht das Blatt eine Aura zwischen Mystik und Vandalismus-Skandal. Der Unterschied zum Fettecken-Fall: Die US-Künstler konnten miteinander reden.

Die Düsseldorfer Destillekünstler müssen sich mit dem Glauben begnügen, in Beuys' Sinne gehandelt zu haben. Die vielleicht größte Schwäche der Aktion. Ihre Stärke: Sie bringt den Schamanen, der durch eigene krasse Lebens-Retuschen ins Abseits geraten war, wieder ins Kunst-Gespräch. Ausgerechnet der von Beuys kolportierte Initiationsmythos mit Fett und Filz 1944 in der Krim habe so nicht stattgefunden, fand 2013 ein Biograf heraus. Die Geschichte der Fettecke muss neu geschrieben werden. Jetzt erst recht.

Große Kunstskandale

  • Zu viele Nackte im Vatikan: Der päpstliche Zeremonienmeister Biagio da Cesena kritisierte an Michelangelos Ausmalung der Sixtinischen Kapelle, "dass die vielen nackten Körper, die ihre Scham zur Schau stellten, für einen so ehrwürdigen Ort wie die Papstkapelle unschicklich und eher für eine Badestube oder ein Wirtshaus geeignet seien". Auf dem Trienter Konzil wird 1564 beschlossen, Körper zu verhüllen. Michelangelo-Schüler Daniele da Volterra malt Nackten Unterhosen an und heißt hinfort "Braghettone" (Hosenmaler).
  • Jesus mit Gasmaske: George Grosz zeigt in der Zeichnung "Maul halten und weiter dienen" einen Christus am Kreuz mit Gasmaske. Das Blatt bringt ihm 1927 eine Anklage wegen Gotteslästerung ein, die erst nach fünf Instanzen 1930 mit einem Freispruch endet.
  • Porno in Venedig: Anfang der 90er Jahre zeigt Jeff Koons auf der Kunstbiennale überlebensgroße Schnitzereien, die ihn mit der Pornodarstellerin Ilona Staller (Cicciolina) in sexueller Aktion zeigen. Die Kunstwelt ist entsetzt.
  • Der Meister-Fälscher: Unter Mithilfe von Auktionshäusern, Galerien und Gutachtern schleust Kunstfälscher Wolfgang Beltracchi nachempfundene Expressionistenwerke in den Kunstmarkt. 2011 wird er zu sechs Jahren Haft verurteilt.
  • Hitler lässt grüßen: Am Rande der documenta tritt Jonathan Meese bei der Veranstaltung "Größenwahn in der Kunstwelt" mit Hitlergruß auf. 2013 muss er vor Gericht, das ihn schließlich freispricht.
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