Andrew Manze über "Musik für das heutige Publikum"

Hannover · Der britische Geiger und Dirigent Andrew Manze, Experte für historische Aufführungspraxis, will die Musik zu den Menschen von heute sprechen lassen. "Die Idee authentischer Aufführungen ist nicht sehr relevant für die heutige Zeit", sagte der neue Chefdirigent der NDR-Radiophilharmonie in Hannover.

 Chefdirigent Andrew Manze sieht in konventionellen Sinfonieorchestern statt Alte-Musik-Ensembles die Zukunft. Foto: Ole Spata

Chefdirigent Andrew Manze sieht in konventionellen Sinfonieorchestern statt Alte-Musik-Ensembles die Zukunft. Foto: Ole Spata

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Im Interview der Deutschen Presse-Agentur erklärt er, warum auch moderne Orchester der Alten Musik gewachsen sind.

Frage: Was bedeutet Musik für Sie?

Antwort: Je älter ich werde, desto mehr empfinde ich, dass Musik für mich wesentlich im Leben ist. Sie ist wie eine Medizin, die das Leben besser macht. Ich meine nicht nur klassische Musik, sondern Musik allgemein. Oft sieht man Menschen mit Kopfhörern, es ist, als ob sie in einer anderen Welt sind.

Frage: Sie haben mit ganz anderen Dingen angefangen - warum?

Antwort: Ich bin froh, dass ich Latein und Griechisch studiert habe. Es war ein guter Rat meiner Lehrer in der Schule. Sie wussten, wie interessiert an Musik ich war, aber sie rieten mir, etwas anderes zu studieren, weil Musik auch Unsicherheit bedeuten kann. Es gibt keine Erfolgsgarantie. Sie sagten, studiere etwas, was dir wirklich gefällt. Das tat ich - und traf andere Studenten, die Musik machten. Sie zeigten mir musikalische Richtungen, die ich andernfalls vielleicht nie eingeschlagen hätte.

Frage: Sie sind Experte für Alte Musik - jetzt sind Sie Chefdirigent eines konventionellen Orchesters. Ist das schwierig für Sie?

Antwort: Eigentlich nicht, denn bevor ich mich mit der Alten Musik befasste, spielte ich ganz normal die Geige im Orchester. Meine erste Liebe waren Beethoven und Brahms. Aber bei jedem Musikstück, das ich spiele, stelle ich die gleichen Fragen: Wofür ist diese Musik bestimmt, was versucht der Komponist zu sagen - und wie können wir die Musik so gut wie möglich für die heutigen Zuhörer spielen? Entscheidend ist: Wir machen Musik für das heutige Publikum, die Idee authentischer Aufführungen ist nicht sehr relevant für die heutige Zeit. Wir versuchen, die Musik zu den Menschen von heute sprechen zu lassen. In der Hinsicht unterscheidet sich die Herangehensweise nicht - egal, ob es sich um ein Stück von Händel oder von Brahms handelt. Die Unterschiede sind mehr in unseren Köpfen als in der Musik.

Frage: Vor diesem Hintergrund - brauchen wir überhaupt den Originalklang?

Antwort: Nein, ich denke nicht. Ich habe es geliebt, auf meiner Barock-Geige zu spielen, man fühlt, dass man sich den Grenzen der Instrumente nähert. Das gilt vor allem für Komponisten wie Bach. Aber das ist nicht wesentlich, ich höre jeden Musiker gerne Bach spielen, wenn er etwas Besonderes in die Musik bringt.

Frage: Sind dann die Alte-Musik-Ensembles überhaupt notwendig?

Antwort: Das ist eine gute Frage. Dahinter steckt eine noch schwierigere Frage: Ist der Level, sind die technischen Fähigkeiten in der Welt der Alten Musik gut genug? Es gibt dort exzellente Musiker, aber es wird auch oft auf mittelmäßige Weise Musik gemacht, technisch und musikalisch, was ich frustrierend finde. Der technische Level der Musiker der Radiophilharmonie in Hannover ist extrem hoch. Um es deutlich zu sagen: Viele Musiker aus der Welt der Alten Musik würden beim Vorspielen für die Radiophilharmonie keinen Erfolg haben. So einfach ist das. Das musikalische und technische Niveau sind in der Welt der normalen Orchester völlig anders. Viele dieser Orchester verändern ihren Stil, um Barockmusik auf sehr elegante Weise spielen zu können. Die Instrumente selber sind dabei nicht so wichtig.

Frage: Sowohl Publikum als auch Ihre Musiker erwarten eine Menge von Ihnen - haben Sie Lampenfieber vor den Auftritten?

Antwort: Ich bin nervös vor Konzerten, aber nicht mehr, wenn ich auf der Bühne bin - vorher fragt man sich, ob man gut genug vorbereitet ist, aber auf der Bühne macht es einfach Spaß.

ZUR PERSON: Der 49 Jahre alte Brite Andrew Manze ist Geigenvirtuose und Dirigent - und einer der führenden Spezialisten auf dem Gebiet der historischen Aufführungspraxis. Seit 2006 war er Chefdirigent des schwedischen Helsingborg Symphony Orchestra, seit der Saison 2014/2015 ist er Chefdirigent der NDR Radiophilharmonie in Hannover.

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