Weihnachten Zwischen Tradition und Umsatz

Bonn · Die westliche Art Weihnachten zu feiern, ist ein Exportschlager des Christentums geworden. Einige Anmerkungen zum stillen Fest von Moritz Rosenkranz

 Dass der Weihnachtsmann ganz China erobert hat, wäre eine übertriebene Aussage. Aber er macht Boden gut, von Jahr zu Jahr mehr. Auch in Peking. Insbesondere Kindern, wie der kleinen Chinesin auf dem Bild, geht das Herz auf, wenn sie den alten, gutmütig erscheinenden Mann mit dem weißen Rauschebart erblicken

Dass der Weihnachtsmann ganz China erobert hat, wäre eine übertriebene Aussage. Aber er macht Boden gut, von Jahr zu Jahr mehr. Auch in Peking. Insbesondere Kindern, wie der kleinen Chinesin auf dem Bild, geht das Herz auf, wenn sie den alten, gutmütig erscheinenden Mann mit dem weißen Rauschebart erblicken

Foto: AFP

"Weihnachten ohne Jesus Christus ist wie eine Geldbörse ohne Geld (ohne Inhalt)." - Der fromme Spruch findet sich derzeit oft auf schlichten Plakaten in vielen Städten, meist etwas abseits vom großen Trubel, etwa an Eisenbahnunterführungen oder Stromkästen. Nun ist schon oft Kritisches über Weihnachten angemerkt worden, weil die Warenwelt in dröhnenden Einkaufsstraßen tatsächlich eines suggeriert: An Weihnachten wird geschenkt - und vorher gefälligst gekauft.

Umgekehrt freut sich der Handel auf - klingeling! - Umsatz. Das Warum spielt längst keine Rolle mehr. Dabei liefert die Jetzt-Zeit Anlass genug, sich zumindest auf einen viel zitierten christlichen Wert zu besinnen: Nächstenliebe. Doch wer in den vergangenen Tagen in einer beliebigen Innenstadt unterwegs war, spürte, wie sehr die Menschen von Weihnachtseinkäufen gestresst sind. Mehr jedenfalls als von der Flüchtlingssituation.

Es ist schon paradox: Sehr viele Menschen glauben nicht (mehr) an Gott, feiern aber in schöner Regelmäßigkeit die Geburt seines Sohnes. Das Fest und der Anlauf dazu werden inzwischen perfekt zelebriert, öffentlich illuminiert und - natürlich - durch und durch kommerzialisiert. So perfekt, dass Weihnachten sich geradezu zum Exportschlager des Christentums entwickelt hat. Nur ohne Christentum. Die Strahlkraft des Schenkens zu diesem Datum und dem damit verbundenen Event ist längst auch in anderen Kulturkreisen als umsatzfördernder Reiz angekommen. Sogar in Abu Dhabi, wo man aber aus religiösen Gründen nur Lametta und anderes Glitzerzeug toleriert und biblische Motive weglässt.

Oder in Fernost: Obwohl nur rund zwei Prozent der Chinesen Christen sind, punktet Weihnachten immer spürbarer als Event. Das zeigt einmal mehr, dass dieses bei uns auf dem Christentum fußende Weihnachtenfeiern - vollends abgekoppelt von seinem Ursprung - große Wirkung entfaltet. Sie speist sich aus gegenseitigem Beschenken, opulenter Dekoration und (insbesondere in China) dem aktuellen Mainstream, dass alles, was da aus dem Westen kommt, als modern und wertig gilt, kulturell anzieht und zur Nachahmung provoziert.

Zurückhaltende Geschenkphilosophie

Nicht dass sich bei uns das traditionelle Weihnachten vollends verflüchtigt hätte. Vielerorts regieren weiter Besinnlichkeit, Gedanken an Menschen, denen es gerade nicht so gut geht, und eine durchaus zurückhaltende Geschenkphilosophie. Doch die gefühlte Mehrheit zieht Kraft und Identität zum Fest zunehmend aus materiellen Motiven.

Zentral ist vor allem die Figur des Weihnachtsmannes. Je nach Sichtweise entweder als Symbol des gütigen, weißbärtigen Gabenbringers, oder eben in der Gestalt des Kommerzonkels des Brausekonzerns Coca-Cola, der ja angeblich den Weihnachtsmann in Rot-Weiß erfunden haben soll - glauben viele Menschen, entspricht aber kaum der halben Wahrheit. "Der Weihnachtsmann ist als Figur stark angelehnt an den heiligen Nikolaus. Diese historische Wurzel wurde aber im Laufe der Zeit immer mehr gekappt. Mittlerweile ist er eine Art Folk-lore, irgendwo zwischen Karneval und Gartenzwerg", sagt Reinhard Schmidt-Rost, Professor für evangelische Theologie an der Universität Bonn.

Während Coca-Cola erst 1886 gegründet wurde, ist der Weihnachtsmann deutlich älter. Das Lied "Morgen kommt der Weihnachtsmann" von Hoffmann von Fallersleben etwa stammt von 1837: Dieses Jahr symbolisiert auch den Aufstieg der Figur des Weihnachtsmannes. "Er hat den Nikolaus ab- und dadurch einen Säkularisierungsschub ausgelöst", sagt Schmidt-Rost. Mit anderen Worten: 1837 steht als Beginn für das Zurückdrängen des Religiösen beim Weihnachtsfest.

Text-Änderung beim Weihnachtslied

Während die Originalversion des Liedes noch allerlei militärisches Vokabular enthielt, wurde der Text Mitte des 20. Jahrhunderts angepasst. Die zweite Strophe lautete fortan: "Bring uns, lieber Weihnachtsmann, bring auch morgen, bringe eine schöne Eisenbahn, Bauernhof mit Huhn und Hahn, einen Pfefferkuchenmann, lauter schöne Dinge." Für Schmidt-Rost markiert das Lied die Übertragung von Weihnachten aus der kirchlichen in die allgemeine Kultur.

Der Weihnachtsmann wird zur Projektionsfigur für Wünsche, auch in der Urversion des Textes. Da liegt die ökonomische Kultur nicht weit weg. "Der Weihnachtsmann symbolisiert die Transzendenz des Schenkens", sagt Schmidt-Rost. Einfach ausgedrückt: Die Figur hat noch immer eine gewisse Mystik in sich und verkörpert die große Sehnsucht. Noch einfacher: Die Situation, in der sich der Sechsjährige vor der Bescherung fragt, ob ihm der Weihnachtsmann wirklich eine Playstation unter den Baum gelegt hat.

Was hat nun der Brausekonzern Coca-Cola damit zu tun? Vor allem das Heimelige, Bodenständige der Figur hat seine Wurzeln in der Werbewelt. Die Erscheinung des Weihnachtsmanns, wie wir sie heute kennen, ist tatsächlich maßgeblich von dem Konzern geprägt worden. Genauer: von Haddon Sundblom. Der Zeichner soll sich 1931 für eine Werbekampagne am Aussehen des lange ergrauten Coca-Cola-Fahrers und Freundes Lou Prentiss bedient haben.

Nach dessen Tod hat Sundblom dann sein eigenes Gesicht und vor allem historische Motive aus Skandinavien verarbeitet, wo schon Jahrhunderte zuvor eine ähnliche Gestalt bekannt war. Bis in die 60er Jahre zeichnete Sundblom jedes Jahr einen neuen Weihnachtsmann für die Coca-Cola-Werbung - und trug so maßgeblich zum heutigen Bild der Figur bei.

Der "Belzenickel" als Vorlage

Das rot-weiße Gewand hatte sich allerdings schon vor Sundblom durchgesetzt: Der Zeichner Thomas Nast, Einwanderer aus der Pfalz, orientierte sich am weihnachtsmannähnlichen, pfälzischen "Belzenickel" und kolorierte ihn rot-weiß. 1923 erschien der in einer Werbeanzeige des Getränkeherstellers White Rock Beverages. Bald schrieb die New York Times vom "standardisierten Santa Claus (...) Größe, Gewicht, Statur sind ebenso vereinheitlicht wie das rote Gewand, die Mütze und der weiße Bart."

Also alles nur eine amerikanische Kommerzidee? Oder entsprach sie zufällig und unbewusst einem Ideal, mit dem sich später so viele Menschen identifizieren konnten? Die Amerikaner haben inzwischen ohnehin ganz andere Weihnachtsprobleme. Bei ihnen ist die Figur des Santa Claus noch deutlich ausgeschmückter als in Europa. Er zieht auf einem von Rentieren, die Dasher, Dancer oder Comet heißen, gezogenen Schlitten durch die Luft von Haus zu Haus und bringt die Geschenke nachts durch den Kamin. Und: Er wohnt irgendwo am eiskalten Nordpol - und dort taut die globale Erwärmung gerade das vermeintlich ewige Eis weg.

Möglicherweise bekommen die Amerikaner mit ihrer Version deshalb jetzt ein Glaubwürdigkeitsproblem, vor allem bei vielen Drei- bis Achtjährigen. Vielleicht motiviert die bedrohte Heimat von Santa Claus jetzt aber auch die Amerikaner, den Klimawandel ernst zu nehmen. Bald bräuchte er weder Schlitten noch Rentiere, vielleicht eher ein Boot mit freundlichen Kleinwalen. Schließlich wäre Weihnachten ohne einen Weihnachtsmann, der aus dem Eis kommt, nun wirklich wie eine Geldbörse ohne Geld.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort