Wenn Senioren umziehen Wie verpackt man Erinnerungen?

In den USA helfen die sogenannten „Senior Move Manager“ älteren Menschen dabei, ihren Hausstand zu verkleinern und in eine altersgerechte Wohnung oder in ein Heim umzuziehen. Eine höchst emotionale Herausforderung für beide Seiten.

 Senioren mit Rollator beim Tanzabend in Mainz. Im Alter sind häufig Umstellungen im Lebensalltag nötig; beispielsweise eine räumliche Veränderung, etwa vom großen Haus in ein kleines, barrierefreies Apartment oder in einespezielle Seniorenresidenz. In den USA haben sich Dienstleister darauf spezialisiert, Senioren dabei zu helfen, sich zu verkleinern.

Senioren mit Rollator beim Tanzabend in Mainz. Im Alter sind häufig Umstellungen im Lebensalltag nötig; beispielsweise eine räumliche Veränderung, etwa vom großen Haus in ein kleines, barrierefreies Apartment oder in einespezielle Seniorenresidenz. In den USA haben sich Dienstleister darauf spezialisiert, Senioren dabei zu helfen, sich zu verkleinern.

Foto: picture alliance / dpa

Ann Smith erinnert sich noch gut an diesen Einschnitt in ihrem Leben: „Am schwersten ist es mir gefallen, mich von meinem Porzellan und Silber zu trennen.“ Vor gut einem Jahr hatte sich die 81-Jährige entschlossen, von ihrem Fünf-Zimmer-Haus in Atlanta im US-Bundesstaat Georgia in ein Zwei-Zimmer-Apartment zu ziehen. Das Haus, in dem sie seit den 70er Jahren gelebt und ihre drei Kinder großgezogen hatte, war für die mittlerweile allein lebende ehemalige Lehrerin einfach zu groß geworden; aber vor dem Aussortieren und Umziehen graute es ihr gewaltig.

Ann Smith setzte sich daraufhin mit Terri Stephens von der Firma „Real Order“ in Verbindung, die eine in den USA noch relativ junge Dienstleistung anbietet, deren Nachfrage stetig steigt: Einen professionellen Umzugsservice speziell für ältere Menschen, die sich verkleinern wollen oder müssen.

„Senior Move Manager“ heißt dieser neue Berufsstand, der sich von der Planung des neuen Heims über die Organisation des Aussortierens bis zum Auspacken in der neuen Wohnung um die speziellen Bedürfnisse älterer Menschen kümmert.

„Mit den Babyboomern, von denen jetzt die erste Gruppe die Siebzig überschreitet, erreicht eine Generation dieses Alter, die schon zuvor das Auslagern von Dienstleistungen gewohnt war“, erklärt Jennifer Pickett, Direktorin der National Association of Senior Move Managers, kurz NASMM geannt. „Und genau wie Dienstleistungen von der Reinigung bis zum Rasenmäherdienst wird jetzt auch Hilfe bei diesem Thema in Anspruch genommen“, sagt Pickett.

Was sich unter anderem an der wachsenden Zahl der NASMM-Mitglieder zeigt: 2002 als Gruppe mit zwei Dutzend Mitgliedern gegründet, gibt es inzwischen mehr als 1000 Unternehmen in den USA, aber auch in Kanada, Australien und Großbritannien, die der Organisation angehören. Sie verstehen sich Berater, die entweder von den Kunden selbst oder deren erwachsenen Kindern angeheuert werden, um einen organisatorisch wie emotional schwierigen Prozess zu begleiten.

Dies geschieht aus den unterschiedlichsten Gründen: So wollten einige der Kinder die aus beruflichen oder familiären Gründen begrenzte Zeit, die sie mit ihren Eltern verbringen können, lieber für andere, angenehmere Unternehmungen mit den Müttern oder Vätern nutzen; anderen wiederum fehle komplett die Zeit oder aber die nötige geografische Nähe. „Viele der erwachsenen Kinder unserer Kunden haben selbst Kinder oder sind beruflich sehr eingespannt oder leben in einem anderen Bundesstaat“, berichtet Linda Kaplan über die Hintergründe.

Zumal das Aussortieren eines ganzen Lebens nicht mal eben in 48 Stunden erledigt ist und manche Kinder von der Größe der Aufgabe schlicht erschlagen werden: „Viele haben anfangs nicht die geringste Vorstellung, auf was sie sich einlassen, wenn es darum geht, den Hausstand der Eltern zu verkleinern“, betont Pickett. Wobei bei allem Verständnis für die Nöte der Kinder sichergestellt werde, dass der Kunde und Entscheidungsträger am Ende stets der begleitete Senior ist – auch dann, wenn es zu Kontroversen zwischen den Generationen kommt und die Jüngeren die zahlenden Auftraggeber sind.

Gerade weil dies so ein komplexer Prozess ist, tun sich neutrale Dritte oft leichter als die Angehörigen, die Betroffenen zu motivieren, ihre Lebensgeschichte auszusortieren. Denn mit zunehmendem Alter wird es nicht eben leichter, sich von liebgewonnen Dingen zu trennen, wie David J. Ekerdt, Professor für Soziologie und Gerontologie der Universität von Kansas, in einem kürzlich in der New York Times erschienenen Artikel über Senior Move Managers erklärt: Schon ab 50 schrumpfe die Fähigkeit der Menschen, sich von ihren Besitztümern zu trennen, mit jeder Dekade. „Das ist eine hochemotionale Aufgabe, und es ist schwer quantifizierbar, wie stark die Bindung einzelner Menschen an bestimmte Dinge ist“, so der Professor.

So wie es bei Ann Smith das Silber und das Porzellan war, sind es für andere Kunden besondere Möbelstücke, Reisemitbringsel oder ausgefallene Sammlungen, an denen das Herz hängt. Oft ist es aber auch die angesammelte Garderobe: „Gerade die Kleidung ist häufig ein Symbol dafür, was unsere Klienten einmal waren, wie beispielsweise die Business-Anzüge aus der aktiven und erfolgreichen Berufszeit vor dem Ruhestand“, berichten Holly Mitchell und Linda Kaplan. Die beiden betreiben in Atlanta mit „Changing Spaces“ einen Senior Move Service.

Und Terri Stephens erinnert sich an einen älteren Herrn, der von einem großzügigen Haus in ein kleines Apartment umziehen musste und sich kaum von seinen mehr als 100 Golf-Shirts trennen konnte, weil diese sichtbarer Ausdruck seiner körperlichen Blütezeit waren.

„Dann geht es darum, sich Zeit zu nehmen, aufmerksam zuzuhören und Lösungen anzubieten“, sagt Stephens. „Und nicht den ganzen Besitz mitzunehmen, sondern Stichworte zu geben“, so Mitchell. Das könne statt des großen Kaffee-Services eine Tasse und eine Untertasse als Erinnerung sein, oder eben die fünf schönsten Golf-Shirts.

Für die Fotografien als Dokumente eines langen Lebens lässt sich heute durch die Möglichkeiten der Digitalisierung leichter eine Lösung finden; besonders beliebt sind dabei digitale Bilderrahmen oder Online-Fotobücher.

Und manchmal entstehen aus den gemeinsamen Überlegungen heraus neue Lieblingsstücke: „Wir hatten einen Kunden, der mehr als 1000 Bierflaschen auf der ganzen Welt gesammelt und damit sein Büro dekoriert hatte“, erinnert sich Holly Mitchell. „Dafür war aber beim besten Willen kein Platz in der zukünftigen Wohnung.“ Weswegen die Movers den stolzen Besitzer mit jeder einzelnen Flasche fotografierten und aus seinen 15 Favoriten eine zwei Quadratmeter große Collage machten, die fortan hinter seinem Schreibtisch hing.

„Grundsätzlich geht es darum, mit den Kunden in einer schwierigen Phase ihres Lebens einen Weg zu finden, sich von den Besitztümern, aber nicht von den Erinnerungen zu trennen“, fasst es Pickett zusammen.

Aber auch um die Dinge, die es nicht ins neue Heim schaffen, kümmern sich die Senior Move Manager: Sie haben Kontakte zu Auktionshäusern oder Charity-Organisationen, sie sorgen dafür, dass Erbstücke zu den erwachsenen Kindern verschifft werden, wenn diese weit entfernt wohnen, sie helfen bei der Klärung von rechtlichen Fragen oder vermitteln zwischen den Klienten und den Betreibern von Seniorenresidenzen. Und sie organisieren schließlich auch den physischen Umzug von A nach B, wobei das Hauptaugenmerk darauf liegt, ein langfristig sicheres und seniorengerechtes Umfeld ohne Stolperfallen, Barrieren oder schlecht ausgeleuchtete Ecken zu konzipieren.

Ist das gefunden und die Planung mit den Kunden abgeschlossen, kommt vor allem dem Auspacken große Bedeutung zu: Da wird dafür gesorgt, dass die Gewürze genauso wie in den vergangenen 40 Jahren wieder rechts vom Herd stehen und sich in der Nachttischschublade jene Medikamente finden, die dort gefühlt auch hingehören.

Manchmal muss auch ganz unkonventionell auf spezielle Bedürfnisse der Kunden reagiert werden: „Wir haben für eine Dame, die unter starker Osteoporose litt und entsprechend gebückt ging, einfach alle Bilder auf halber Höhe aufgehängt, damit sie ihre Bilder leichter anschauen konnte“, berichtet Kaplan über eine dieser Kleinigkeiten, die für viele bei der angstbesetzten Umstellung eine große Hilfe sind.

„Die Erleichterung unserer Kunden, wenn sie in ihrer neuen Wohnung so vieles Persönliches wiederfinden und feststellen, dass der Prozess, vor dem sie sich zuvor so sehr gefürchtet haben, ohne seelischen Schaden überstanden wurde, ist für mich emotional immer die größte Belohnung“, beschreibt Stephens ihre Motivation für die nicht immer leichte Arbeit.

Für einen Gotteslohn allein gibt es die Dienstleistung, die ja nach Größe des Hausstandes und Umfang der Beratung zwischen zwei Wochen und sechs Monaten in Anspruch nehmen kann, natürlich nicht. Je nach US-Bundesstaat liegen die Stundenlöhne der Senior Move Manager zwischen 60 und 125 US-Dollar (umgerechnet rund 54 bis 112 Euro), was sich für kleine Projekte auf 1500 bis 3000 Dollar summiert, bei großen aber auch schon einmal auf 10.000 bis 15.000 Dollar belaufen kann.

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