Mode aus Latex Wie eine zweite Haut

Der Stoff, aus dem so manche erotischen Träume sind – und jetzt auch salonfähige Mode. Atsuko Kudo entwirft Kleider aus Latex. Immer mehr prominente Frauen tragen ihre figurbetonten Kreationen.

 Aus der aktuellen Kollektion von Atsuko Kudo

Aus der aktuellen Kollektion von Atsuko Kudo

Foto: Christopher James

Ein tolles Fahrgestell. Wie übergossen mit blauer Latexfarbe wirkt das 500 SL Mercedes-Cabrio im Hintergrund. Doch der Blick richtet sich vor allem auf Topmodel Natasha Poly, die davor steht. Auch sie trägt wie das Auto Latex, knallblau, knalleng, und auch bei ihr zeichnet das Material jede Kurve detailgetreu nach. So angezogen und gleichzeitig so entblößend kann Mode sein, zumindest wenn sie aus Atsuko Kudos Atelier stammt. Die Japanerin mit Wohnsitz London entwirft Kleider aus Latex. Ihre Modelle sind derzeit das heißeste und auch coolste, was über die Laufstege der Modewelt getragen wird – und über die roten Teppiche der internationalen Events.

Was für ein Hingucker war es da, als der amerikanische Reality-TV-Star Kim Kardashian ihren ausladenden Hintern in eine schweinchenrosafarbene Kudo-Kreation gepresst hatte. Oder It-Girl Kylie Jenner ihren Körper im tomatenroten schulterfreien Etuikleid zur Schau stellte. Sängerin Rita Ora trug zu ihrer rosa Latexpelle sogar das passende Halsband, sexy verwegen, eine Anspielung auf Bondage-Spiele und reizvollen Fetisch, auf Zeiten, als dass Material noch ausschließlich in intimen Clubs seine Liebhaber fand. Atsuko Kudo hat es aus dieser Schmuddelecke herausgeholt und Latex so richtig salonfähig gemacht.

Der Latex, das ist eigentlich schlicht Gummi oder Naturkautschuk. Er ist dehnbar, wasserabweisend und recht widerstandsfähig. Und erst mal hat er so gar nichts Anrüchiges an sich, denn es werden vor allem Autoreifen, Schläuche, Dichtungen und Latexmatratzen daraus hergestellt. Ja, auch Kondome, aber es liegt wohl in der Natur der Sache, dass diese nur einen kleinen Teil der gesamten Latexproduktion für sich in Anspruch nehmen. Der Rohstoff wurde ursprünglich aus Kautschukbäumen gewonnen, heute wird jedoch überwiegend synthetischer Kautschuk verwendet. Der Begriff Gummi ist dabei etwas missverständlich. Viele meinen, dass Latex im Gegensatz zu Gummi immer aus Naturkautschuk besteht. Aber tatsächlich ist Latex lediglich Kautschuk in flüssiger Form, der zu Bahnen ausgewalzt oder in Tauchverfahren verarbeitet wird. Das heißt, Keramikformen werden in ein Bad aus flüssigem Latex getaucht und wieder herausgezogen. So entstehen beispielsweise Handschuhe und Strümpfe.

Atsuko Kudo entdeckte Latex für sich als Material, als sie noch Modedesign in Tokio studierte: „Wir sollten damals Materialrecherche betreiben. Alle anderen sind zu den großen Designhäusern gegangen – und ich in einen Fetischladen.“ Als sie das erste Mal etwas aus Latex probierte, fühlte sie sich wie „Superwoman“ und wollte auch anderen Frauen ein solches Gefühl vermitteln: „Ich möchte Frauen durch Latex stark machen.“

Wenn es nur so einfach gewesen wäre. Da stand sie nun mit schweren Latexrollen und hatte keine Ahnung, wie sie daraus Kleider machen könnte. Die Schnitte waren anspruchsvoller als für Samt und Seide, und vor allem die Nähte wirkten an Latex wie hässliche Wülste. Abhilfe sollte ein Studium für Kostümdesign in London schaffen – und ein Nebenjob in einem Fetisch-Shop, der sich auf Latexkleider spezialisiert hatte. Nicht nähen, sondern kleben – das stellte sich schließlich als die Lösung für Kudos Arbeit heraus. So bekommt sie die Nahtstellen ganz glatt hin, nur so sitzen die Kleider wie angegossen.

Auch ihre Schnitttechnik perfektionierte sie, so dass ihre Latexkleider heute nicht nur von Frauen mit perfekten Körpern getragen werden können. Sicher, wer sich ein Latexdress überzieht, will sich zeigen und nicht verstecken. Da bleibt kein Pölsterchen verborgen, aber, sagt Atsuko Kudo, immerhin wird die gesamte Silhouette in eine ansehnliche Form gebracht. Die Wirkung ihrer Kleider sei vergleichbar mit „Shapewear“, also körperformender Unterwäsche, wie sie darunter getragen wird.

Immerhin, verrutschen kann nichts, sei der Ausschnitt auch noch so gewagt. Eher ist es eine Kunst, hinein und wieder herauszukommen aus dem Gummistoff. Unterstützung ist dabei durchaus erwünscht oder sogar vonnöten. Für die Latex-Kampagne der Mercedes-Benz Fashion Week in Berlin hätte es bis zu drei Helfer gebraucht, um Model Natasha Poly in ihr Kleid zu befördern – oder andersherum: das Kleid über Natasha Poly zu kriegen. Eine Viertelstunde hätte es außerdem gedauert. „Ein Latex-Outfit erfordert immer ein bisschen mehr Zeit“, sagt Atsuko. Talkumpuder ist eine empfehlenswerte Anziehhilfe oder ein spezielles Gel, das den Körper quasi hineingleiten lässt in seine Hülle.

Atmungsaktiv ist der Stoff auch nicht unbedingt. Wer also die Nacht durchtanzen will, sollte mit einer schweißtreibenden Zeit rechnen. Aber bitte: wenig trinken, denn auf die Toilette zu gehen, könnte sich ebenfalls als schwierige Angelegenheit herausstellen. Immerhin ist das Kudo-Outfit erschwinglich: Um die 300 britische Pfund kostet ein Kleid.

Eine kleine Dosis Latex von Atsuko Kudo lässt sich dagegen viel leichter vertragen: ein breiter Latexgürtel beispielsweise überm ganz normalen Stoffkleid, Handschuhe, ein Halsband oder sexy Dessous. Auch Männer werden mit Krawatten oder Kummerbund im Shop fündig.

Für ihre neue Kollektion entwarf Kudo eine Art Latex-Schuppen-BH – viel zu schade, um unter einem Oberteil zu verschwinden – und einen Schuppen-Hüftgürtel. Für Wagemutige gibt es die passenden Latexstrümpfe dazu. Auch andere Designer arbeiten mit Kudo zusammen wie Vivienne Westwood, die Latexschuhe von ihr zu ihren Kleidern kombinierte. Oder Hussein Chalayan, der seine Models mit Kudos Latexleggins laufen ließ.

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