Wiederkehr der Wölfe in NRW Was ist uns der Wolf wert?

DÜSSELDORF · Mit der Rückkehr des Wolfs nach NRW brechen alte Konflikte wieder auf, genießt der Räuber doch einen zweifelhaften Ruf. Das Zusammenleben mit dem Wolf sei gratis nicht zu haben, sagen Experten. Eine Analyse.

Die Angst vor dem Wolf ist fest verwurzelt im kollektiven Gedächtnis und manifestiert in Mythen und Märchen. Der Wolf steht für das Böse, er frisst Rotkäppchens Großmutter und die sieben Geißlein, er ist grausam, gemein und listig. Kaum ein Raubtier wurde und wird mehr verteufelt als der Wolf – kaum eines wird aber auch mehr beklatscht, weil es sich seinen Platz in der Natur zurückerobert hat. Ist der Hass von einst doch bei vielen Menschen umgeschlagen in den Wunsch, die Natur wieder ins Gleichgewicht zu bringen und damit auch dem Wolf seine angestammte Rolle zuzugestehen. Nun breitet sich der Räuber aus, siedelt sich, wie gerade im Kreis Wesel, wieder an, und schert sich dabei nicht um menschliche Interessenlagen. So ist der Konflikt programmiert: Denn der Wolf ist vor allem dann erwünscht, wenn er sich nicht blicken lässt.

Einfach abtun lassen sich die Sorgen nicht, hat die Urangst vor der Bestie doch einen realen Ursprung. Laut Ulrich Wotschikowsky, Wildbiologe und renommierter Wolfsexperte, ist die Menschheitsgeschichte eng verknüpft mit der Schafhaltung. Symbole wie das Osterlamm oder der gute Hirte spiegeln die kulturelle Bedeutung des Schafs – dessen erklärter Feind seit jeher der Wolf war. „Der Mensch konnte ihm damit nicht freundlich gesonnen sein“, sagt Wotschikowsky.

Entsprechend wurde das Raubtier hochstilisiert zum Satansersatz auf Erden, lebenden Wölfen im Mittelalter gar der Prozess gemacht. Tatsächlich dezimierten Wölfe in vergangenen Jahrhunderten nicht nur massiv Wild- und Viehbestände und bedrohten die Existenzgrundlage vieler Bauern, sie setzten auch den Menschen zu. Vor allem Kinder waren immer wieder betroffen, wurden sie doch früher gerne auf die Weide geschickt, um das Vieh zu hüten – für die Wölfe eine weitere leichte Beute.

Eine Studie des Norwegischen Instituts für Naturforschung listet weltweit zwischen 1557 und 2001 mehrere hundert menschliche Todesfälle durch Wolfsattacken auf, erst im 20. Jahrhundert nimmt die Zahl dramatisch ab. Eine Folge vor allem der veränderten Lebensbedingungen, aber auch der Ausrottung des Wolfs in vielen Regionen. Heute leben wieder rund 15.000 Wölfe in europäischen Kulturlandschaften, in der Regel nicht allzuweit entfernt von Siedlungsgebieten. Angriffe auf Menschen: keine. In Nordamerika, wo rund 70.000 Wölfe leben, hat es seit 2005 zwei tödliche Attacken gegeben. „Weißwedelhirsche erschlagen in den USA jedes Jahr mehrere Jäger“, sagt Wotschikowsky, „und es gibt jedes Jahr alleine in Deutschland statistisch bis zu sechs von Hunden tot gebissene Menschen.“ Heißt: Die Perspektive des Menschen auf den Wolf ist stark von Irrationalität geprägt.

In Wolfsländern gerissene Schade werden finanziell ersetzt

Dennoch, das bestätigen auch Umfragen, will eine Mehrheit den Wolf und andere bedrohte Tierarten gerettet wissen – eine Folge des wachsenden Naturschutzbewusstseins. Wotschikowsky findet es beglückend, dass diese Kreaturen zurückkehren. Ihnen das Lebensrecht streitig zu machen, darüber hätten wir nicht zu befinden. Gleichwohl gilt es, eine Balance herzustellen, die Rückkehr des Räubers und das Zusammenleben mit den Menschen zu managen.

Das geschieht, der Erfolg ist Ansichtssache. In den Wolfsländern, zu denen nun auch NRW gehört, werden gerissene Schafe finanziell ersetzt und präventive Herdenschutzmaßnahmen wie die Errichtung von Elektrozäunen zu 80 Prozent vom Land bezuschusst. Erfahrungen aus anderen Bundesländern hätten gezeigt, heißt es aus dem NRW-Umweltministerium, wie sinnvoll solche Zäune seien – mehr als 90 Prozent seines Nahrungsbedarfs decke der Wolf dort über Wild.

Ortrun Humpert, Vorsitzende des Schafzuchtverbands NRW, sieht dennoch erheblichen Verbesserungsbedarf. Nicht nur Material müsse ersetzt werden, sondern die investierte zusätzliche Arbeitskraft, sagt sie – und zwar vollständig. Außerdem müsse auch über Abschüsse geredet werden, gerade bei Wölfen, die es gelernt hätten, sich beim Menschen zu bedienen. Auch Wildbiologe Wotschikowsky plädiert dafür, die Kosten der Tierhalter zu 100 Prozent zu ersetzen. „Die Gesellschaft will die Wölfe haben“, sagt er, „dann soll sie auch dafür aufkommen.“

Das Problem ist aber nicht das Geld, sondern, aus gesellschaftlicher Sicht, Wunsch und Wirklichkeit in Einklang zu bringen. Denn selbst wenn die Wahrscheinlichkeit, bei einem Spaziergang jemals einem Wolf zu begegnen, extrem gering ist, so muss doch ein Umdenken stattfinden. In der Ko-Existenz mit dem Räuber gilt es Regeln zu beachten. Vom Anleinen der Hunde in Wolfsgebieten bis zum eigenen Verhalten. Ein Wolf ist kein Kuscheltier.

35 illegale Wolfs-Abschüsse

Das sagt auch Torsten Reinwald, Sprecher des Deutschen Jagdverbands. Er kritisiert, dass der Räuber zu sehr romantisiert worden sei, als Botschafter der Wildnis. Hauptproblem: Der Wolf suche die Nähe des Menschen. „Da dessen Sicherheit oberste Priorität hat, darf es auch kein Tabu sein, auffällige Tiere zu töten“, sagt Reinwald. Für Wotschikowsky ist das vorgeschoben, er spricht von bislang 35 illegalen Wolfs-Abschüssen – trotz höchstem Schutzstatus. Wotschikowsky hat Jäger in Verdacht, die mit dem Wolf ein Problem haben. Reinwald weist das zurück. „Jemand, der sich Jäger nennt, wird keinen Wolf meucheln. Er gehört zur Artenvielfalt in Europa.“

Dies alles zeigt: Die Beziehung zwischen Mensch und Wolf ist – und bleibt – arg fragil. Wotschikowsky ist der Ansicht, dass die Konflikte lösbar und zumutbar sind. Um es plakativ zu sagen: Der Wolf ist nicht gratis zu haben. Das gilt aber auch für reine Luft, saubere Flüsse und biologisch angebaute Kartoffeln. Alles hat seinen Preis. Am Ende steht damit die Frage, wieviel der Wolf uns wert ist. Und das ist nicht nur eine Frage des Geldes.

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