Tierschützer gehen auf die Barrikaden Tausende Hunde in Russland sollen vor WM sterben

Moskau · Rechtzeitig zur Fußball-Weltmeisterschaft in Russland sollen die Städte sich schön, sicher und sauber präsentieren. Das geht zulasten der zahlreichen streunenden Hunde. Sie sollen zu Tausenden sterben. Tierschützer gehen auf die Barrikaden.

 Herrchen- und frauchenlos – nicht nur in Moskau: Bis zu 400 000 Hunde leben laut Zoologen in den russischen Städten.

Herrchen- und frauchenlos – nicht nur in Moskau: Bis zu 400 000 Hunde leben laut Zoologen in den russischen Städten.

Foto: picture-alliance / dpa

Das Plansoll ist grausam: 4500 streunende Hunde sollen in Jekaterinburg 2018 eingefangen werden, 4050 von ihnen sterben. „Laut Plan werden die Hunde zehn Tage in Quarantäne gehalten, zehn Prozent gesunde und gutmütige Tiere ausgesondert, die übrigen 90 Prozent eingeschläfert“, berichtet Anna Waiman, Leiterin der Tierschutzstiftung Soosaschtschita. „Die zehn Prozent werden sterilisiert und gegen Tollwut geimpft, bekommen noch 20 Tage Gnadenfrist. Wenn sie danach niemand aufgenommen hat, tötet man sie auch.“

Waiman und ihre Freiwilligen suchen nicht nur für diese zehn Prozent neue Halter und Unterkünfte, sondern auch noch für andere gesunde und friedliche Streuner. „Ohne uns wäre das ein Fließband des Todes.“ Die Stadtverwaltung reagiert ungerührt: „Priorität hat die Sicherheit und Gesundheit der Bürger“, sagte der Jekaterinburger Rathaussprecher Anatoli Karmanow der britischen BBC: „Weil auch sterilisierte Hunde keine Streichelhündchen werden.“

In Russland herrscht Hundekrieg. Ausgerechnet vor der Fußball-Weltmeisterschaft, die im Juni beginnt, häufen sich Meldungen über einen Feldzug gegen streunende Vierbeiner. „Fußball wird gegen Hunde geschützt“, so die Zeitung „Kommersant“.

„Elf russische Städte werden mit dem Blut herrenloser Tiere überschwemmt“, schimpft die Facebookgruppe BloodyFifa2018. „So sind die Nazis im Zweiten Weltkrieg mit Menschen umgegangen.“ Mehr als 1,6 Millionen Menschen haben eine Protesteingabe auf change.org unterschrieben.

Töten sei einfach einträglicher als Versorgen

Eigentlich ist Hundemord auch in Russland inzwischen verpönt. In Sankt Petersburg, in Kaliningrad, Nischni Nowgorod oder Rostow am Don behandeln die Kommunalverwaltungen streunende Hunde nach dem FSIF-Prinzip: fangen, sterilisieren, impfen, freilassen. Aber nach Angaben der Zeitschrift „Sobesednik“ entdeckten im Herbst Tierschützer auf dem Gelände des Rostower „Zentrums für herrenlose Tiere“ Tausende Hunde- und Katzenkadaver. Mitarbeiter behaupten, die Videos mit den in Kühlhallen gelagerten Tierkörpern seien gefälscht.

Aber tatsächlich scheint Massentötung viel häufiger praktiziert zu werden als die viel kostspieligere medizinische Versorgung der Hunde. Der Duma-Abgeordnete Wladimir Burmatow klagt, Töten sei einfach einträglicher als Versorgen. Und die Moskauer Tierschützerin Jekaterina Dmitrijewa, eine der BloodyFifa-Initiatorinnen, erzählt, Hundefänger kurvten mit Kühlwagen voller toter Hunde von einer Kommunalverwaltung zur nächsten, um mehrfach Kopfgeld zu kassieren.

Der Astrachaner Stadtrat Oleg Schejn rechnet vor, die Stadt habe vergangenes Jahr umgerechnet gut 280.000 Euro für die FSIF-Versorgung von 6000 streunenden Hunden ausgegeben. Aber laut Behörden seien für dieses Geld nur drei Prozent der Tiere sterilisiert, die übrigen vernichtet worden.

Hunde mit Giftpfeilen abgeschossen

Dabei gehört Astrachan gar nicht zu den WM-Spielorten. Und Tierschützerin Waiman aus Jekaterinburg sagt, in den ebenfalls WM-freien Kleinstädten der Region würden die Hunde aus Kostengründen erst gar nicht eingefangen, sondern mit Giftpfeilen abgeschossen, die qualvolle Erstickungskrämpfe hervorriefen. „Die Fußball-WM bietet uns vor allem den Anlass“, sagt ihre Moskauer Kollegin Dmitrijewa, „auf die haarsträubende staatliche Politik gegenüber den herrenlosen Haustieren aufmerksam zu machen: fangen und töten.“

Das Sportministerium hat die Austragungsstädte inzwischen angewiesen, gegenüber den Streunern möglichst human vorzugehen. Dazu sollen eigens neue Tierheime eingerichtet werden – ein Auftrag, bei dem sich auch wieder viel Geld verdienen lässt. Vizepremier Witali Mutko, nicht erst seit dem Dopingskandal von Sotschi als Schlitzohr bekannt, hat schon gezählt, in den WM-Städten seien insgesamt zwei Millionen Streuner zu versorgen. Das sind fünfmal so viele herrenlose Hunde, wie nach Schätzung von Experten in ganz Russland unterwegs sind.

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