Zur Vollversammlung der katholischen Bischöfe Studie untersucht Missbrauch in der katholischen Kirche

Fulda · Das Interesse an der Bischofskonferenz in dieser Woche ist groß. Am Dienstag erscheint eine Studie, die den sexuellen Missbrauch in der katholischen Kirche erstmals systematisch untersucht hat.

Das Fuldaer Priesterseminar ist dieses Mal zu klein: Wenn sich die 67 Mitglieder der katholischen Deutschen Bischofskonferenz vom heutigen Montag an zu ihrer traditionellen Herbstvollversammlung am Grab des Heiligen Bonifatius, des Apostels der Deutschen, in Fulda treffen, wird man für einen Termin in das örtliche Parkhotel ausweichen. Denn am Dienstag wird nun auch offiziell die sogenannte „MHG-Studie“ veröffentlicht, in der der sexuelle Missbrauch in der katholischen Kirche in den Jahren seit dem Zweiten Weltkrieg erstmals systematisch untersucht wurde. Und das öffentliche Interesse daran ist groß.

Denn dank einer Vorabveröffentlichung im Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ und in der Wochenzeitung „Die Zeit“ sind bereits erschreckende Details bekannt geworden: Mindestens 3677 Kinder und Jugendliche sind seit 1946 zu Missbrauchsopfern innerhalb der katholischen Kirche geworden. Mindestens 1670 Kleriker oder 4,4 Prozent aller katholischen Priester, die es in dieser Zeit in der katholischen Kirche gab, waren Missbrauchstäter. Doch nur in 122 Fällen, also bei knapp sieben Prozent der Beschuldigten, habe die Kirche Strafanzeige gestellt. Oft sind die Täter lediglich versetzt worden. Das Wegschauen hatte System. Und auch die Studie, die am Dienstag in Fulda vorgestellt wird, wird keine vollständigen Zahlen nennen. Denn die Akten der katholischen Orden, die laut Kirchenrecht keinem Bistum unterstehen, wurden für die Studie nicht untersucht. Die Fälle am Berliner Canisius-Kolleg, im Godesberger Aloisiuskolleg, im Kloster Ettal oder im sächsischen Kloster Wechselburg sind deswegen in den Zahlen nicht enthalten. Von einer großen Dunkelziffer wird man weiter ausgehen müssen.

Viele Bischöfe haben Stellung bezogen

In den letzten Tagen hat bereits eine ganze Reihe katholischer Bischöfe Stellung bezogen. So bat der Passauer Bischof Stefan Oster die Missbrauchsopfer in einer zwölfminütigen Videobotschaft um Vergebung. „Wir brauchen eine radikale Form der Selbstkritik im Blick auf die Institution“, sagte Oster. Die bekannt gewordenen Ergebnisse der Studie seien „verheerend für die Kirche, für unsere Glaubwürdigkeit, aber mehr noch natürlich für die Menschen, die durch Verantwortliche der Kirche großes Leid erlitten haben“.

Auch der katholische Ruhrbischof Franz-Josef Overbeck erklärte auf einer Tagung aller Seelsorger seines Bistums: „Ich bin gespannt, ob wir uns in der Bischofskonferenz auch bei Themen wie Hierarchie, Macht und Sexualmoral in der Kirche verständigen können“, sagte Overbeck. „Denn es reicht nicht, nur das zu wiederholen, was wir schon gesagt haben.“ Um der Opfer willen „dürfen wir uns nicht selbst rechtfertigen, sondern müssen wirklich neue Wege gehen“.

Und das wird auch nötig sein. Denn betrachtet man, was seit 2010, als die ersten Missbrauchsfälle öffentlich wurden, in der katholischen Kirche geschehen ist, wird man feststellen, dass die Kirche ein starkes Engagement in Sachen Prävention auf der Habenseite vorzuweisen hat. Als der frühere Kölner Generalvikar und heutige Erzbischof von Hamburg, Stefan Heße, beispielsweise sein Amt in der Hansestadt antrat, musste er ein erweitertes polizeiliches Führungszeugnis vorlegen, wie er kürzlich auf dem Medienempfang seiner Erzdiözese berichtete – denn seit dem Missbrauchsskandal müssen alle Priester und alle fest angestellten Mitarbeiter dieses Dokument bei ihrer Einstellung in der Kirche vorweisen. Im Unterschied zur Evangelischen Kirche, die ein entsprechendes Gremium erst noch erarbeiten will, gibt es in der katholischen Kirche mit Bischof Stefan Ackermann bereits einen zentralen Missbrauchsbeauftragten. Und am Dienstag soll in Fulda auch eine zentrale Hotline für Missbrauchsopfer geschaltet werden.

Kritik von Opfervertretern

Doch allein die Tatsache, dass die Forscher der MHG-Studie eben nicht alle Akten aller Bistümer und auch nicht die Akten der Orden einsehen durften, zeigt, dass sich das Klima in der Kirche noch nicht vollständig gewandelt hat. „Eine Organisation von Tätern und Vertuschern kann sich nicht selbst aufarbeiten“, sagt der Sprecher des Eckigen Tischs der Missbrauchsopfer, Matthias Katsch. Opfervertreter kritisieren zudem die bescheidenen Anerkennungsleistungen der Kirche für Missbrauchsopfer, die oft bis heute traumatisiert sind: Sie betragen im Mittel gerade einmal rund 3000 Euro.

Die katholische Reformgruppe „Wir sind Kirche“ mahnte in der vergangenen Woche auch eine „grundlegende theologische Aufarbeitung“ des Missbrauchsskandals an. „Denn nicht nur die rigide Sexualmoral, sondern auch die theologische Selbstüberschätzung eines männerbündischen zölibatären Priesterstandes haben diese Verbrechen und deren Vertuschung begünstigt und tun dies immer noch.“

Und auch die Politik übte deutliche Kritik an der katholischen Kirche. Bundesjustizministerin Katarina Barley (SPD) sagte in der aktuellen Ausgabe des „Spiegels“, die Kirche müsse nun „umfassend mit der Justiz zusammenarbeiten und jede bekannt gewordene Tat anzeigen, damit Staatsanwaltschaften diese verfolgen können“.

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