Sexuelle Vergehen von Prominenten Sind Filme mit Kevin Spacey noch vertretbar?

Würden Sie sich noch Filme mit Kevin Spacey anschauen? Oder brauchen Künstler mittlerweile ein Führungszeugnis, bevor man sich ihrem Werk widmet? Über die Schwierigkeit moralischen Handelns in einer komplexen Welt.

In Zeiten der Verallgemeinerung muss man sich als Mann in diesen Tagen fast schämen. Immer wieder neue Nachrichten von den kleinen und großen Prominenten lassen einen erschaudern. Vom Herrenwitz bis zum Schwerstkriminellen - die ganze Bandbreite wird abgedeckt. Bill Cosby war der Beginn einer sich langsam auftürmenden Welle aus sexueller Belästigung bis hin zu Vergewaltigung, die mit Harvey Weinstein und Kevin Spacey (hoffentlich) ihren Höhepunkt erreicht hat und nun langsam gischtbeladen anbrandet - mit allerlei weiterem Schmutz im Gepäck. Was ist nur mit diesen Typen los?

Nicht wenige Schauspielstars und viele andere prominente Künstler besitzen übersteigerte Egos - wer stellt sich sonst schon freiwillig vor ein Weltpublikum und sagt: Seht her, was ich mache, ist ganz schön super! Dass solche Menschen sich im Privatleben unauffällig zeigen, kommt vor, scheint aber eher die Ausnahme zu sein.

Wobei es nicht nur die ganz Großen der Branche trifft: Für kleinere Meldungen in Deutschland sorgten die unschönen Enthüllungen über den US-Komiker Louis CK, der Frauen in diversen Fällen gezeigt hat, was er mit seinem Gemächt so anstellen kann - ohne dass die Frauen das sehen wollten. Ähnlich wie Spacey ist der Mann zunächst kaltgestellt: Auftritte abgesagt, Filmstart zumindest verschoben.

"Sollte bis auf Weiteres kein neues Material mehr von ihm zu sehen sein, wäre das auch für deutsche Komiker bitter - sie wären plötzlich gezwungen, eigene Ideen zu entwickeln", schrieb Spaßmacher Micky Beisenherz in einer "stern"-Kolumne, um dann aber, vor allem in Bezug auf den komplett geächteten Spacey, einen zentralen Punkt zu erwähnen: "Die Gründe für diese förmliche Auslöschung sind natürlich weniger im Moralischen, denn Monetären zu suchen: Kevin Spacey ist Stand jetzt absolutes Kassengift. Mit dem Mann ist so kein Geld mehr zu verdienen."

Moral ist in Hollywood weniger zu erwarten

Hinter der Entrüstung stecken natürlich auch knallharte Geschäftsinteressen Einzelner, Moral ist da eher weniger zu erwarten. Doch viel wichtiger ist die gesellschaftliche Debatte, die diese Vorgänge ausgelöst haben. Und dabei spielt Moral natürlich eine Rolle.

Nun stellt sich für jeden Cineasten, Musikfan oder Literaturfreund die Frage, was die von ihm favorisierten Künstler denn abseits der Bühne so treiben. Oder? Kürzlich schickte mir ein Freund einen Artikel aus einem Musikmagazin. Darin wurden Vorwürfe gegen den

Sänger der Band Brand New beschrieben, deren neuem (großartigen) Album wir zuvor noch entgegenfiebert hatten. Nun wird bekannt: Der Frontman soll psychische und sexuelle Gewalt gegen damals minderjährige Frauen persönlich und über das Internet ausgeübt haben. Klare Straftaten. "Darf/kann/will man denn jetzt noch Brand New hören?", lautete die Frage des Freundes. Sie lässt sich universell auf jede Art von Kunst übertragen: Lässt sich Kunst unabhängig vom Künstler konsumieren?

Es kann darauf keine Antwort geben, nur individuelle Überlegungen und daraus folgende Konsequenzen. Das Dilemma ist die Grenzziehung. Schon in der Schule lernt man, dass Romanautor und Protagonist eines Romans nicht dieselbe Person sind. Das Werk ist getrennt von seinem Schöpfer zu sehen. Ein Schauspieler verkörpert eine Rolle - er stellt sich nicht selbst als Person dar.

Ab wann wird es kritisch?

Bei der Musik wird es da teilweise schon schwieriger, denn viele Texte sind durchaus persönlich und auf die Person, die sie geschrieben hat, zu beziehen. Doch auch hier hat man es letztlich mit Künstlern zu tun, die ein Werk erschaffen, das nicht deckungsgleich mit ihrer Person ist. Gerade im Bereich der Rock- oder auch Rapmusik blieben wohl viele Hallen leer, wenn die Fans nicht ihrem Geschmack folgten, sondern ein moralisches Urteil über die Musiker darüber entscheiden ließen, ob sie das Konzert nun besuchen oder nicht.

An welchen Kriterien sollte sich solch ein moralisches Urteil überhaupt ausrichten? Welche Schwere der Tat (ob vermutet oder erwiesen) ist nicht mehr hinnehmbar, welche noch tolerabel? Da wird es schwierig.

Ein Werk des (zugegebenermaßen eher mittelmäßigen) Malers Adolf Hitler würde sich wohl niemand über den Buffettisch hängen - aus nachvollziehbaren Gründen. Der Musik von Menschen aber, die einen Großteil ihres Lebens Drogen genommen haben, etwa Keith Richards von den Rolling Stones, jubeln die Massen zu. Das sind ungefähr die Enden der Skala, auf der wir uns bewegen. Ab wann wird es kritisch?

Frank Sinatra hatte Kontakte zur Mafia - legen wir ihn zu Weihnachten noch auf? Harvey Weinstein sieht sich zahlreichen Vorwürfen von sexueller Belästigung, Nötigung und Vergewaltigung ausgesetzt. Er hat unter anderem "Pulp Fiction", "Der Englische Patient" oder "Der Herr der Ringe" produziert - verbrennen Sie nun die DVDs, oder dürfen die Filme weiter im Regal stehen? Tom Cruise ist in den USA ein Aushängeschild der Sekte Scientology - boykottieren? Schalten Sie um, wechseln Sie das TV-Programm, wenn Kevin Spacey auftaucht, der beschuldigt wird, seine Machtposition ausgenutzt und nach allem gegrapscht zu haben, was jung, männlich und attraktiv war?

Wer moralisch urteilt, muss sich selbst hinterfragen

Fakt ist: Das Verhalten dieser Menschen macht ihre Kunst weder besser noch schlechter. Es macht von Fall zu Fall vielleicht einfach keine Freude mehr, Brand New zu hören oder "House of Cards" zu schauen, weil man in Spacey nicht mehr den skrupellosen US-Präsidenten Underwood sieht, sondern einen schauspielernden Widerling.

Im Internet wurde Spacey übrigens bereits ironietriefend empfohlen, sich aufgrund gestiegener Chancen für das Amt des realen Präsidenten zu bewerben - nachdem wenige Wochen vor der jüngsten Wahl eine Tonbandaufzeichnung enthüllte, dass Donald Trump meint, sich jederzeit sexuell vergreifen zu dürfen.

Zoomen wir von der Showbranche weg und betrachten kurz das gesamte Bild: Wer moralisch urteilt, sollte gleichzeitig sich selbst hinterfragen. Ist es redlich, Künstler wegen ihrer moralischen Vergehen zur Persona non grata zu erklären, während man selbst, überspitzt formuliert, durch Kinderarbeit gefertigte Kleidung achtlos an einem Obdachlosen vorbeiträgt, um im Supermarkt Fleisch einer durch Massentierhaltung geschundenen Kreatur zu kaufen? Dieses persönliche Handeln zu ändern, würde mehr Einfluss nehmen als der Boykott von Kunst - das scheint sicher.

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