Spekulationen um kommenden US-Wahlkampf Oprah Winfrey für viele Wunschkandidatin

Washington · Eine Neun-Minuten-Rede macht die Entertainerin für viele Amerikaner zur Wunschkandidatin. Der amtierende Präsident Donald Trump gibt sich unbeeindruckt.

Wer 2020 Donald Trump besiegen will, muss einen "furchtlosen Star" aufbieten, der sich nicht "einschüchtern" lässt - jemanden wie Oprah Winfrey. Als der wortgewaltige John Podhoretz Ende September in der "New York Post" durchdeklinierte, warum die Beichtmutter der amerikanischen Fernsehnation bei den nächsten Wahlen für die Demokraten die "größte Hoffnung" gegen den Amtsinhaber sei, nahm davon noch kaum jemand Notiz.

Drei Monate später hat eine neun Minuten lange Rede der 63-jährigen Entertainerin bei der Verleihung der Golden Globes alles verändert. Winfrey sprach tief bewegt und bewegend von einer "Zeitenwende" bei der Geschlechtergerechtigkeit im Gefolge des durch den Hollywood-Mogul Harvey Weinstein ausgelösten Skandals um Sex- und Machtmissbrauch. Aber das Publikum hörte weit mehr heraus. Via Twitter sehnen seither Tausende eine Kandidatur der ersten afroamerikanischen Milliardärin für das höchste Staatsamt herbei. Leitartikler wägen ernsthaft die Chancen einer Bewerbung. Sie raten der Multi-Geschäftsfrau zu oder, was häufiger vorkommt, leidenschaftlich ab. Tenor: Klar sei Winfrey eine begnadete Interviewerin, Schauspielerin, Geschäftsfrau, moralische Instanz und "ein besserer Mensch" als Trump. In Fragen, die über Krieg und Frieden entscheiden (Nordkorea, Iran, Welthandel) sei sie aber ebenso unbeleckt und daher ungeeignet wie der Amtsinhaber.

Weil Winfreys Lebensgefährte Stedman Graham die Spekulationen zusätzlich anheizte ("Sie würde es machen, wenn die Leute sie wollen"), wartet Amerika nun auf ein klärendes Wort der Frau, die unlängst vor laufender Kamera sagte: "Ich werde nie für das Präsidentenamt kandidieren."

In einem Interview mit dem Washingtoner Milliardär David Rubinstein legte Winfrey ausführlich dar, dass sie sich nicht für politikerfahren genug hält. "Ich weiß zu wenig." Einschränkung: Nach Trump, dessen Unbedarftheit globaler Gesprächsstoff ist, sei sie ins Grübeln gekommen. Dass diese Nachdenkphase anhält und mit einem "Ich kandiere!" endet, wünschen sich viele Amerikaner, die unter Entzugserscheinungen leiden und Würde, Stil und erwachsene Besonnenheit im Weißen Haus vermissen. Werte, die die in der Kleinstadt Kosciusko in Mississippi geborene Winfrey für Millionen glaubhaft verkörpert, wie ein Blick in ihre Vita erklärt: Vater Soldat, Mutter Putzfrau. Oprah wächst bei den Großeltern auf. Ärmste Verhältnisse. Statt mit Haustieren spielt sie mit den Küchenschaben "Melinda" und "Sandy". Kerle aus der Nachbarschaft vergehen sich an ihr. Fehlgeburt mit 15. Flucht ins Kokain. Später studiert sie Theater. 1985 gibt Steven Spielberg ihr in die "Die Farbe Lila" eine oscarnominierungsreife Rolle. Zur gleichen Zeit startet sie von Chicago aus die "Oprah Winfrey Show", in der von Fettleibigkeit bis Inzest, von Michael Jackson bis Bill Clinton nahezu jedes Thema verhandelt werden sollte. Anfangs sehen zwölf Millionen zu. Täglich. Als sie im Mai 2011 aufhörte, hatten sich 144 Länder zugeschaltet. Dazwischen liegt ein Vierteljahrhundert TV-Geschichte.

Aber Oprah Winfrey wollte nie nur "reden". Die Hohepriesterin der verständnisvollen Gerechtigkeit wollte "Menschen besser machen". Daraus ist ein hübsches Beratungsimperium geworden, das der Chefin ein Vermögen von drei Milliarden Dollar einbrachte, inklusive höchster Beliebtheit und bester Kontakte.

Dass 2008 Barack Obama erster schwarzer Präsident Amerikas wurde, geht auch auf Winfrey zurück, die dem damals unbekannten Senator aus Illinois und nicht Hillary Clinton ihre Popularität borgte. Heißt es 2020 umgekehrt Obama für Oprah?

Bei den Demokraten, die sich nach Clintons Niederlage gegen Trump nichts sehnlicher wünschen als eine(n) parteiübergreifend magische(n) Kandidatin/Kandidaten, hat die Promipersonalie zwiespältige Reaktionen ausgelöst. 34 Monate vor dem nächsten Wahltermin laufen sich mit Ex-Vizepräsident Joe Biden, den Senatoren Elizabeth Warren, Kamala Harris, Cory Booker, Bernie Sanders und Kirsten Gillibrand erste potenzielle Trump-Herausforderer mit Parteistreifen vorsichtig warm. Aber auch Schauspieler wie George Clooney, Tom Hanks, Dwayne "The Rock" Johnson und der ehemalige Starbucks-Kaffeemagnat Howard Schultz halten sich dem Vernehmen nach für latent präsidiabel. Ergebnis: völlig offen.

Fragte man Donald Trump, wäre sein Rat an die Demokraten wohl klar. Vor genau 30 Jahren wurde er in der Sendung der Talkmasterin erstmals gefragt, ob er sich eine Präsidentschaftskandidatur vorstellen könne. "Ich würde es niemals ausschließen", dröhnte Trump, "denn ich bin es leid, mit anzusehen, was mit unserem Land passiert." 1999 ging Trump noch einen Schritt weiter. Träte er an, würde er sich Oprah Winfrey als Vizepräsidentschaftskandidatin wünschen. "Wir würden mit Leichtigkeit gewinnen." Das "wir" soll Frau Winfrey bis heute wurmen.

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