Tödlicher Irrtum Neue Hinweise nach Massaker in Mexiko

Puebla · Als vor dreieinhalb Jahren in Mexiko 43 Lehramtsstudenten verschwanden und später klar wurde, dass sie ermordet worden waren, herrschte weltweites Entsetzen. Nun gibt es neue Erkenntnisse zu der Tragödie.

 Protestmarsch für Aufklärung und Gerechtigkeit: Angehörige der verschwundenen Lehramtsstudenten am zweiten Jahrestag deren Verschwindens im September 2016.

Protestmarsch für Aufklärung und Gerechtigkeit: Angehörige der verschwundenen Lehramtsstudenten am zweiten Jahrestag deren Verschwindens im September 2016.

Foto: dpa

Dreieinhalb Jahre nach dem Verschwinden von 43 Lehramtsstudenten in Mexiko deuten neue Indizien auf eine tragische Verwechslung im Streit um eine der wichtigsten Drogenhochburgen des Landes hin. Rückblick: Am Abend des 26. September 2014 kaperten linksradikale Lehramtsstudenten in Iguala im Bundesstaat Guerrero mehrere Busse, um zu einer Protestveranstaltung in die Hauptstadt zu fahren. Daraufhin begann eine blutige Verfolgungsjagd, an der Killer von Drogenkartellen und Polizisten beteiligt waren und die mit dem Tod von neun Studenten und Passanten und dem Verschwinden von 43 endete.

Wie die Zeitung „Reforma“ berichtete, wurde die Operation in der Tatnacht durch mexikanische Drogenbosse der Gruppe Guerreros Unidos von den USA aus gesteuert. Einer von ihnen wurde 2013 bei einer Routinekontrolle in Chicago mit Waffen, Drogen und Bargeld festgenommen – und verwandelte sich vor einem US-Gericht in einen Kronzeugen.

Den „Reforma“ vorliegenden Zeugenaussagen und beschlagnahmten Handykonversationen zufolge kontrollierten die Guerreros Unidos in Iguala die Produktion und den Transport von Drogen nach Chicago. Letzterer fand zweimal täglich in Geheimfächern in Überlandbussen ihrer Linie „Monarca“ statt. In einem der von den Studenten gekaperten Busse befand sich demnach eine Ladung Heroin, ohne dass die Studenten dies wussten – eine Hypothese, die schon internationale Ermittler aufgeworfen hatten, bevor die mexikanische Regierung sie aus dem Land warf.

Die Drogenbosse in Chicago und ihre Killer vor Ort hielten die Studenten für Angehörige des gegnerischen Kartells der Rojos und ihre Aktion für den Versuch einer feindlichen Übernahme. Deshalb ordneten sie die brutale Jagd an – mit Hilfe staatlicher Stellen, darunter den Polizeitruppen dreier Gemeinden, die vom Kartell kontrolliert wurden. Hilfeersuchen des Kartells waren auch an den Bürgermeister von Iguala, José Luis Abarca, sowie an den Staatsanwalt von Guerrero, Iñaki Blanco, gerichtet. In einer Nachricht heißt es: „Die Nutte von Staatsanwalt ist auf der Seite der Scheißer, das haben sie uns gesungen“, so alias „Romeo“ an die Chefs in Chicago.

Guerrero als Hochburg des Heroinanbaus

Guerrero ist einer der gewalttätigsten Bundesstaaten Mexikos und Hochburg des Heroinanbaus und -schmuggels. Die mexikanische Regierung und die Armee stellten 2006 die Besprühung der Drogenfelder ein; seither explodierte die Anbaufläche laut dem Drogenexperten José Reveles von 12.000 auf 35.000 Hektar. 90 Prozent der Opiate in den USA stammen ihm zufolge aus Mexiko.

Die Enthüllungen werfen ein Schlaglicht auf die Verwicklung staatlicher Stellen in das Drogengeschäft und die Vertuschung des Tathergangs. Aufgrund internationalen Drucks präsentierte die mexikanische Staatsanwaltschaft damals die „historische Wahrheit“, die nach Ansicht der internationalen Ermittler jedoch lückenhaft ist und größtenteils auf erpressten Geständnissen rangniedriger Helfershelfer der Kartelle beruht. Der Staatsanwaltschaft zufolge handelte es sich um einen Racheakt des Bürgermeisters von Iguala, der mit den Guerreros Unidos liiert war und den die Kritik der linksradikalen Studenten störte. Offenbar sollte der Heroinschmuggel um jeden Preis vertuscht werden.

Unklar ist weiterhin der Verbleib der vermutlich noch in der Tatnacht ermordeten Studenten. Laut Staatsanwaltschaft wurden sie auf einem Müllplatz verbrannt und ihre Überreste anschließend in Plastiksäcken verpackt in den Fluss geworfen. Später deckten die internationalen Ermittler jedoch auf, dass Angehörige der Staatsanwaltschaft die Müllsäcke in den Fluss geworfen hatten.

Eine Spur führte in die örtliche Kaserne der Streitkräfte, die in der Tatnacht ab einem bestimmten Zeitpunkt die Kontrolle über das Geschehen übernahmen. Die Ermittler durften aber weder die Protokolle einsehen noch die Uniformierten vernehmen. „Anhand der neuen Beweise muss jetzt dringend die Verwicklung des kompletten Staatsapparats untersucht werden“, forderte nun Carlos Beristain, Ex-Mitglied der internationalen Ermittlergruppe.

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