Prozessauftakt in Koblenz Hells Angel belastet seinen Ex-Boss

KOBLENZ/Bonn · Die Staatsanwaltschaft wirft dem Bonn-Charter der Gang die Bildung einer kriminellen Vereinigung vor. Mit Nötigung, räuberischer Erpressung und Körperverletzung soll sie versucht haben, zwischen Bonn, Westerwald und dem nördlichen Rheinland-Pfalz andere Motorradclubs (MC) zu kontrollieren oder zu verdrängen.

Eine eingeschworene Bruderschaft, die keine Konkurrenz duldet, keine Gesetze respektiert und kein Wort mit dem Staat wechselt – so sieht das Selbstbild der Hells Angels aus. Seit gestern bekommt es Risse: Thomas P. (41) aus dem Bonn-Charter der Rockergang hat vor dem Koblenzer Landgericht ausgepackt, weil er von seinen früheren Komplizen enttäuscht ist (siehe rechts). Es ist einer der äußerst seltenen Fälle, in denen ein Vollmitglied der Hells Angels Einblick ins Innere der regional gegliederten Gang gewährt.

Mit eisigen Mienen verfolgen der langhaarige Charter-Präsident Karl-Heinz B. (49), dessen Bruder Stefan (39) und vier weitere Hells Angels im Saal 102, wie Thomas P. zwei Stunden lang in weiten Teilen die Anklage stützt. Er wird wohl nicht der Einzige bleiben: Ein weiterer Angeklagter neben ihm, offenbar 2014 bei den Hells Angels ausgestiegen, will ebenfalls aussagen. Der neunte Angeklagte, der frühere Charter-Boss Uwe „Lobo“ W., fehlt krankheitsbedingt; sein Verfahren wird abgetrennt.

Die Staatsanwaltschaft wirft der Gang die Bildung einer kriminellen Vereinigung vor. Mit Nötigung, räuberischer Erpressung und Körperverletzung soll sie versucht haben, zwischen Bonn, Westerwald und dem nördlichen Rheinland-Pfalz andere Motorradclubs (MC) zu kontrollieren oder zu verdrängen. Das Charter sei bereit gewesen, Waffen einzusetzen. Bei seinen Treffen im Hauptquartier in Unterelsaff bei Neustadt-Wied seien Schusswaffen zur Verteidigung an die draußen wartenden „Prospects“ (Mitglieder auf Probe) verteilt worden.

Bei einer Razzia im April 2015 seien neben Schlagstöcken, Messern, Stahlruten und Armbrüsten mehrere Schusswaffen gefunden worden, darunter ein Repetiergewehr. Im Haus von Charter-Boss Karl-Heinz B. entdeckten die Polizisten eine illegale Browning-Pistole. Genau dort hatte B. im Jahr 2010 durch seine geschlossene Haustür einen SEK-Beamten erschossen, als der das Gebäude stürmen wollte. Der Hells Angel wurde damals vom Bundesgerichtshof freigesprochen, weil er sich bedroht gefühlt und in irrtümlicher Notwehr gefeuert habe.

Um kleinere Motorradclubs in der Region zu kontrollieren, sollen die Hells Angels zu einem regelmäßigen „Bonner Treff“ geladen haben. Wer nicht kam, riskierte Prügel, so die Ankläger. Das Charter habe ein Netz von Informanten gepflegt, zu dem ein Justizvollzugsbeamter gehört habe.

Auto des Outlaws in voller Fahrt gerammt

Am heftigsten setzte es dem MC Outlaws Ahrweiler zu. Einige Outlaws hatten Karl-Heinz B. 2013 auf dem Weg zu einer Party attackiert und sein Motorrad beschädigt. Der Anklage zufolge beschlossen die Hells Angels Vergeltung, spähten die Outlaws systematisch aus und überfielen sie. Laut Thomas P. war B. dabei die treibende Kraft. Eines der Opfer, so die Staatsanwaltschaft, sei im Auto gestoppt und mit einem Stromkabel und einem mit Quarz gefüllten Handschuh so schwer misshandelt worden, dass er mit Schädel-Hirn-Trauma operiert werden musste. Einem anderen Outlaw hätten sie einen GPS-Sender ans Auto gehängt, um ihn aufzuspüren. Sie sollen den Mann in voller Fahrt gerammt haben. Er sei entkommen. Den Chef der Ahrweiler Outlaws bedrängten die Hells Angels laut Anklage auf einer Autofähre bei Bad Hönningen und erpressten 2000 Euro für das Motorrad des Charter-Chefs.

Auch auf Bonn erstreckt sich der „Machtanspruch“ der Hells Angels, die den Stadtnamen auf ihren Kutten tragen. Kaum hatten die Bandidos 2013 die Gründung eines Bonn-Ablegers verkündet, fuhren sie demonstrativ im Motorradkorso durch die Stadt – begleitet von der Kampfsportgruppe „Fist Fighter“, die laut Anklage mit den Hells Angels „befreundet“ ist. Als die „Fighter“ aber im Internet prahlten, ihnen „gehöre“ Bonn, intervenierten die Hells Angels sofort. Mit Erfolg, wie die Staatsanwaltschaft vermerkt. Sie wirft dem Charter zudem vor, im Januar 2015 sein Waffenarsenal ins Hauptquartier eines Motorradclubs in Bad Godesberg geschafft zu haben, um diesen vor einem befürchteten Angriff durch die Bandidos zu schützen. Ein Polizeieinsatz verhinderte den Zusammenstoß offenbar.

Auch Normalbürger wurden laut Anklage zu Opfern. Als ein Gang-Mitglied sich über einen Autofahrer ärgerte, ließ er ihn über das Kennzeichen ausfindig machen und seinen Arbeitgeber ermitteln. Dort stellte das Charter den Dachdecker nach Feierabend zur Rede. Einer der Angeklagten, so die Staatsanwaltschaft, versetzte dem Mann eine schmerzhafte Ohrfeige. Der Prozess geht weiter.

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