Ein Wort macht Karriere Heimat – die Geschichte eines Leitbegriffs

Politischer Kampfslogan, menschliches Grundbedürfnis, romantische Vorstellung: In den vergangenen 200 Jahren war der Begriff Heimat einem kontinuierlichen Wandel unterworfen. Besonders populär war er stets in unübersichtlichen Zeiten.

Heimat ist einfach nicht totzukriegen. Das Wort gehört zu den Leitbegriffen der politischen Debatte in Deutschland seit dem 19. Jahrhundert. Es hat eine wechselvolle Karriere hinter sich, und seine Zukunft hat in Form von Heimatministerien in Bund und Land gerade erst neu begonnen.

Viele Linke mögen es nicht und wundern sich, dass es trotz aller historischen Belastung immer wieder auftaucht. Die konservative Rechte kommt mit Heimat gut zurecht, passt sie doch in ihr Konzept einer eher gefühlig begründeten Politik. Heimat und Politik, ein Spannungsverhältnis.

Die politische Renaissance begann 2013 in Bayern. Das Land vergab ein Ministerium mit dem Titel Heimat. Der Ansatz wirkt pragmatisch und setzt doch voll auf die Ambivalenz des Wortes: Der ländliche Raum im größten deutschen Bundesland leidet seit Jahren an Auszehrung, die Menschen auf den Dörfern werden immer älter und die Bevölkerung schrumpft. Die Arbeitsplätze verschwinden und aus sanften Hügeln werden Industrielandschaften, wenn Windräder den Wald verdrängen.

Heimat ist, was Gemeinschaft fördert

Das kann eine Partei wie die CSU nicht hinnehmen. Ihre Macht stützt sich wesentlich auf diesen ländlichen Raum und die Pflege seiner Traditionen. Heimat ist daher in Bayern alles, was andernorts Landesentwicklung heißt oder Raumordnung. Das Thema Heimat erweitert das Finanzministerium. Nordrhein-Westfalen ging nach der Wahl 2017 einen ähnlichen Weg.

Die Definition von Heimat sparte man sich einfach: Heimat ist, was Gemeinschaft fördert. Horst Seehofer nahm den Begriff mit ins neu geordnete Bundesinnenministerium. Dort ist Heimat mit dem Thema Integration verknüpft. Heimat soll offenbar etwas liefern, das kalte und technokratische Begriffe nicht schaffen, sie soll Vertrauen schaffen, Distanz abbauen.

Linke politische Denker stoßen sich an der historischen Belastung des Begriffs. Dabei ist Heimat vermutlich gar nicht zu definieren, weil das Wort in den rund 200 Jahren seines politischen Daseins immer wieder etwas Neues meinte. Am Anfang steht immer ein Verlust, der die Frage aufwirft, nach dem, was immer bleibt.

Als die Industrialisierung begann, die Eisenbahn erstmals fuhr, die Menschen auswandern mussten, um der Armut in Deutschland zu entgehen, und die Städte ihre Mauern verloren, prägten die Romantiker ihn: Aus dem Heimatrecht wurde Heimat, das gefühlige Zuhause, der Ort, aus dem man stammt. Vor allem war es Landschaft. Das war noch nicht sehr politisch.

Kaiserreich und Erster Weltkrieg

Das änderte sich mit dem Kaiserreich, als sich nach der Reichsgründung eine Heimatbewegung zusammenfand, die all das bewahren wollte, was das rasant wachsende junge Deutsche Reich gerade mit Macht veränderte: Das Dorf mit seiner traditionellen Landwirtschaft und seiner sozialen Ordnung, der Wald und die ganze Natur, das Brauchtum mit Riten, Liedern und Tänzen, die Dialekte und die Bauweise der Häuser.

In dieser Gegenbewegung wurzeln solch moderne Dinge wie der Umweltschutz, das Naturschutzgebiet oder die Vorstellungen einer gesunden Landwirtschaft, auch die Wanderbewegung, die heute als Outdoor-Leidenschaft weiterlebt.

All das war politisch zunächst unschuldig, verband sich dann aber rasch mit nationalistischen Vorstellungen von Vaterland und Weltgeltung. Heimat half, die bestehenden Verhältnisse zu bewahren. Schnell war klar, wer nicht zur Heimat gehören sollte: Die vaterlandslosen Gesellen der SPD zum Beispiel. Die bauten sich daraufhin ihre eigene Heimat mit sozialistischen Vereinen, Verbänden und Gewerkschaften. Das klassische Milieu entstand und mit ihr eine tiefe Spaltung der Gesellschaft.

Blut, Boden und Rasse

Irgendwann um den Ersten Weltkrieg herum änderte sich die Tonlage der Heimatbewegung. Statt nur zu bewahren, was unrettbar zu verschwinden drohte, machten die tonangebenden Professoren, Pfarrer und Volksschullehrer daraus ein politisches Programm. Der Staat sollte sich bei seinem Handeln an der Bewahrung des Bestehenden orientieren.

Wer sich nicht daran hielt, wurde ausgegrenzt. Heimat und Identität flossen in eins: Nur wer auf einem bestimmten Boden geboren war, durfte sie Heimat nennen und war damit Mensch gewordener Ausdruck einer Region. Das passte perfekt mit Blut, Boden und Rasse zusammen. Die Heimatschützer machten in der Kulturpolitik, in Schulen und Hochschulen, beim Bauen oder in der Kunst allen anderen Vorschriften, was Heimat genannt werden durfte und welchen Ausdruck sie verlangte.

Das eskalierte während der Weimarer Republik zum Streit in der Gesellschaft um den richtigen Weg in die Zukunft. Die NSDAP entwickelte Heimat zu einem aggressiven Programm: Man baute im Heimatstil, man schützte die Heimat militärisch, man wollte zurück zu einem frei erfundenen germanischen Glauben und man ermordete alle, die angeblich mit der Heimat nicht zusammenpassten.

Heimatverlust war die Folge, denn Millionen Deutsche wurden vertrieben: Erst die Juden aus Deutschland, dann die Deutschen aus den Provinzen im Osten, aus Ost- und Südosteuropa. Später machten sich weitere Millionen aus der DDR auf der Suche nach einem besseren Leben auf den Weg. Zu keiner Zeit in der deutschen Geschichte war häufiger und sehnsuchtsvoller von Heimat die Rede als in den Jahren nach 1945.

Nachkriegsjahre und Globalisierung

Heimat im Schlager, Heimat im Film, Heimat im Roman, in Bildbänden und mit Hirschen vor Gebirgsstöcken auf Gemälden. Verlogen, sagten viele, und verkitscht – aber Ausdruck des unermesslichen Verlustes an persönlicher Geborgenheit.

Die Verbände der Vertriebenen postulierten ein Recht auf Heimat und verfolgten damit erneut eine politische Agenda. Sie versuchten ganz im Stil der Heimatbewegung, Brauchtum zu pflegen und die Bindung an die verlorene Heimat sogar vererbbar zu machen.

Der Publizist Christian Graf von Krockow, selbst aus Pommern vertrieben, hat das zu Recht als schlichte Unmöglichkeit beschrieben. Ein politischer Fehler war es am Ende auch, denn alle sprachen von Heimat, aber niemand hatte ein Interesse, den Vertriebenen tatsächlich den Weg dorthin zurück zu ebnen oder ihnen beim Lastenausgleich weiter als nötig entgegenzukommen.

Die Parteien ließen wohl auch deshalb lange die Finger von diesem belasteten Begriff – außer in Sonntagsreden. Mit Heimat war keine erfolgreiche Politik mehr zu machen. Heimatvereine führten all das weiter, was sie schon immer getan hatten. Eine politische Bewegung waren sie nicht mehr.

Irgendwann gab es eine erste Renaissance, die etwas Neues brachte. Sie setzte in den 1970er Jahren ein und hatte mit den sozialen Bewegungen zu tun, die bei den Grünen mündeten. Der meist lokale Kampf gegen Atomkraftwerke, Endlager oder Raketen ließ sich leicht als Schutz der Heimat verstehen.

Orientierung und Sehnsucht

Der Deutsche Heimatbund machte sich Gedanken, was in einer Gesellschaft wie der deutschen mit so vielen Zuwanderern denn in Zukunft Heimat sein könnte. Es kam etwas Privates dabei heraus, kein geschlossenes Konzept. Heimat ist, was Heimat sein will. Jeder darf das für sich selbst bestimmen, politische Folgerungen sind damit nicht mehr verbunden.

Und der aktuelle Heimatbegriff? In Zeiten der Globalisierung ist die Sehnsucht nach Heimat besonders groß. Viele verlassen sie, um in der Stadt zu arbeiten, sie müssen pendeln. Die Bindung von Familien nimmt ab, wenn Menschen immer häufiger umziehen. Landschaft gerät in Zeiten intensiver Landwirtschaft, Windrädern und Flächenverbrauch immer stärker unter Druck.

Der Klimawandel gibt den Jahreszeiten den Rest und die Zuwanderung von Millionen Flüchtlingen bringt das Sicherheitsgefühl vieler Menschen ins Wanken. Gefühle von Bedrohung und Verlust stellen sich ein. Viele Politiker machen sich Sorgen, dass Extremisten dieses latente Gefühl von Heimatverlust für sich instrumentalisieren.

Niemand hat das klarer formuliert als der Grüne Robert Habeck, der vor allem der politischen Linken rät, die Scheuklappen abzulegen und sich einem modernen Heimatbegriff und seinen Möglichkeiten zuzuwenden. Bodo Ramelow von der Linken pflichtet ihm bei.

Heimat ist ein privates Gefühl, eine individuelle Sicht auf die Welt. Sie kann in einer unübersichtlichen Welt Orientierung geben. „Mit der Heimat im Herzen die Welt umfassen“, dichtete der Hamburger Johann Wilhelm Kinau alias Gorch Fock vor über 100 Jahren. Umarmen nicht erobern. So einfach ist das eigentlich.

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