70 Jahre Vespa Freiheit auf zwei winzigen Rädern

Im April 1946 meldete der Italiener Enrico Piaggio ein ebenso neuartiges wie eigenartiges Gefährt zum Patent an. Seine „Wespe“ trat alsbald einen Siegeszug um die Welt an.

 Weltweite Faszination: Eine Ausstellung in der südkoreanischen Hauptstadt Seoul im vergangenen Jahr zeigte die Vespa, mit der Audrey Hepburn und Gregory Peck im Hollywood-Film „Ein Herz und eine Krone“ (1953) durch Rom kurvten. Die Schauspielerin erhielt für ihre Rolle den Oscar als beste Hauptdarstellerin.

Weltweite Faszination: Eine Ausstellung in der südkoreanischen Hauptstadt Seoul im vergangenen Jahr zeigte die Vespa, mit der Audrey Hepburn und Gregory Peck im Hollywood-Film „Ein Herz und eine Krone“ (1953) durch Rom kurvten. Die Schauspielerin erhielt für ihre Rolle den Oscar als beste Hauptdarstellerin.

Foto: picture alliance / dpa

Auf die Idee muss man erst mal kommen. Bislang hatte sich das 1884 gegründete italienische Familienunternehmen Piaggio ausschließlich mit dem Bau von schwerem Gerät beschäftigt: Schiffe, Eisenbahnwaggons, Straßenbahnen und Flugzeuge; zunächst in der norditalienischen Hafenstadt Genua, später im Städtchen Pontedera in der Toskana. Als Enrico Piaggio die Firma von seinem Vater Rinaldo übernahm, lag die Fabrik in Pontedera in Schutt und Asche, zerstört bei den Luftangriffen der Alliierten im Zweiten Weltkrieg, denn Piaggio hatte auch für Mussolinis Militär produziert.

Nach Kriegsende verboten die Siegermächte die Produktion von rüstungsrelevanten Gütern. Was tun, um die Firma zu retten? Enrico Piaggio erkannte die Zeichen der Zeit – und die Sehnsucht seiner Landsleute nach bezahlbarer Mobilität. Sein genialer Ingenieur Corradino D’Ascanio (dessen Traum es eigentlich gewesen war, Hubschrauber zu konstruieren) setzte die unternehmerische Grundidee des Dottore Piaggio in nur sieben Wochen in die Tat um: Ein völlig neuartiges, preiswertes, wendiges, kinderleicht zu bedienendes, einfach zu reparierendes Fortbewegungsmittel, für die engen Gassen italienischer Städte bestens geeignet, auch für junge Frauen in engen Röcken oder katholische Priester in langen Talaren sittsam besteigbar.

Der Ingenieur konstruierte eine Maschine um den Menschen herum. Es gibt einen Filmschnipsel aus jener Zeit, der zeigt, wie Corradino D’Ascanio tatsächlich zuerst einen sitzenden Menschen im Profil zeichnet und ihn nach und nach mit zweirädriger Technik umgibt.

70 Jahre Vespa
8 Bilder

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Am 23. April 1946 meldete Enrico Piaggio die „Vespa“ (ital.: „Wespe“) in Florenz zum Patent an und startete die Produktion mutig mit 2500 Exemplaren – auf die Akzeptanz der künftigen Kundschaft hoffend, aber keineswegs ahnend, welchen Siegeszug um die Welt das neuartige Gefährt auf den zwei winzigen Rädern antreten und unter dem Gattungsbegriff Motorroller von anderen Herstellern rund um den Globus unzählige Male kopiert werden würde. Bis 1956 hatte Piaggio bereits eine Million Exemplare der „bella macchina“ verkauft, bis 1965 waren es weltweit schon mehr als drei Millionen.

Das erste Modell (bis 1953) brachte es mit 3,2 PS auf 60 km/h Spitze. Aber das war nicht so wichtig. Was damals schon zählte, gilt bis heute: An der Ampel zischte die Vespa aus dem Stand jedem Auto davon. Wichtig war aber auch, dass sich Fahrer oder Fahrerin nicht in eine robuste Lederkombi zwängen mussten und dennoch weder der dunkle Anzug des Bürovorstehers auf dem Weg zur Arbeit noch die blütenweiße Caprihose der Blumenhändlerin auf dem Weg ins Kino Schaden nahm.

Deshalb ließ Ingenieur Corradino D’Ascanio den Zweirad-Motor komplett unter einer selbsttragenden, für damalige Verhältnisse geradezu futuristisch wirkenden Karosserie verschwinden – die aerodynamische Linienführung war ihm beim Flugzeugbau in Fleisch und Blut übergegangen. Corradino D’Ascanio hasste herkömmliche Motorräder. Deshalb rückte er den Motor (zunächst verwendete er Anlasser-Motörchen zum Starten von Flugzeug-Triebwerken) weit nach hinten, so dass vorne Platz für einen breiten, bequemen Durchstieg blieb.

Der und die kleinen Rädchen sorgten dafür, dass auch unterdurchschnittlich groß geratene Italiener und zierliche Italienerinnen den Roller mühelos bändigen konnten. Die (öligen) Antriebsketten der konventionellen Motorräder ersetzte er durch einen Direktantrieb, die bei Motorrädern übliche Fußschaltung durch eine Handschaltung. Die Beine waren während der Fahrt vor Wind und Regen geschützt – und damit der Radwechsel bequemer als bei herkömmlichen Motorrädern funktionierte, nutzte der Ingenieur statt der üblichen Gabel eine Tragarm-Technik, die er ebenfalls noch aus dem Flugzeugbau kannte.

Die Vespa war für Italien, was der Käfer für Deutschland war: die Inkarnation des Wirtschaftswunders. Mehr noch: die Vespa war in der europäischen Nachkriegszeit eines der wenigen Unisex-Produkte auf dem Markt, für Frauen wie Männer gleichermaßen attraktiv. Und sie wurde nach ihrer Markteinführung rasch zum Synonym für das, was sich die Menschen nördlich der Alpen sehnsüchtig unter „Dolce Vita“ vorstellten. Offenes Hemd, zerzauste Haare und Sonnenbrille – statt Vollvisierhelm.

Befeuert wurde dieses Bild schon früh von Hollywood: 1953 kurvten Audrey Hepburn und Gregory Peck in „Ein Herz und eine Krone“ auf einer Vespa durch Rom. Von „American Graffiti“ (1973) und „Quadrophenia“ (1979) über „Der talentierte Mr. Ripley“ (1999) bis „Die Dolmetscherin“ (2005): Der Roller aus Italien blieb eine beliebte Requisite der Filmindustrie.

Selbst als nach der Blütezeit der 50er und 60er Jahre das Interesse in Europa abebbte, weil zunehmend bezahlbare Automobile für breite Bevölkerungsschichten auf den Markt drängten, konnte sich der Hersteller über mangelnden Absatz nicht beklagen: Die Vespa wurde in großen Teilen Asiens zum wichtigsten Transportmittel – zumal Piaggio der „Wespe“ ein Schwesterchen schenkte: „Ape“ (ital. für „Biene“), ein dreirädriger Miniatur-Lastwagen mit Roller-Lenkstange im winzigen Führerhaus. Eine echte Arbeitsbiene.

Ein cleveres Retro-Design, wachsende Parkplatznöte und chronisch verstopfte Straßen in den europäischen Städten sorgten schließlich für eine regelrechte Renaissance. Der Käfer ist längst vom Markt verschwunden. Die Wespe gibt's immer noch.

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