"The Wolf of Wall Street" Film erregt die Gemüter in den USA

WASHINGTON · Natürlich kann Joel Cohen zwischen Wirklichkeit und Fiktion unterscheiden. Und er weiß von der Notwendigkeit, im Kino die Dinge handwerklich so zu verdichten, dass nichts die Spannungskurve krümmt. Trotzdem war der Strafverteidiger der weltweit agierenden Kanzlei Gibson, Dunn & Crutcher entsetzt, als er nach drei aufreibenden Stunden aus einer saftigen Geschichte über Gier, Leichtgläubigkeit und Schamlosigkeit kam: dem neuen Martin Scorsese-Film "The Wolf of Wall Street", der ab 16. Januar auch über deutsche Leinwände schleichen wird.

Was nicht an Hauptdarsteller Leonardo DiCaprio lag, wie Cohen sagt. Der spielt die Schlüsselfigur Jordan Belfort, ein bemerkenswert schmierlappiges Individuum, das mit auf Schwindel gründenden Finanzgeschäften Millionen scheffelte, mit einer Berserkerhaftigkeit, die oscarreif ist.

Der ehemalige Staatsanwalt, der die Untersuchungen gegen den echten Belfort Ende der 90er Jahre in New York leitete, wirft dem Film und seinen Machern in einem Zeitungsbeitrag Kumpanei mit einem abgefeimten Gauner vor. Belfort habe Hunderte Menschen ins Verderben gestürzt hat, ohne bis heute die verlangte Wiedergutmachung zu leisten. Er selber sei glimpflich davon gekommen und diene heute, Zynismus dieser Zeit, als hoch dotierter Motivations-Guru einfach gestrickten Seelen eben jene Verkaufsmethoden an, mit denen er damals unsagbaren Reibach machte.

Der Vorwurf hat was für sich. In der Schlussszene im Kino darf der echte Belfort den Hollywood-Belfort ankündigen, der, man ahnt es schon, als Motivations-Guru einem stummen Publikum gerade das Blaue vom Himmel lügt. Im Hintergrund lugt das Logo der Firma hervor, mit der der echte Belfort, ein gedrungen gebauter New Yorker, Jahrgang 1962, neuerdings sein Einkommen erzielt. Er gibt Kurse, modulartig für rund 2000 Dollar übers Internet zu buchen, in denen man mit einer "wissenschaftlich erprobten Methode" lernt, wie man "Weltklasse" im Verkauf wird.

Um zu verstehen, warum das selbst in den USA, wo Scheitern und Wiederaufstieg honoriert wird, viele widerwärtig finden, muss man sich sein Missetaten-Register vergegenwärtigen. Der echte Jordan Belfort, ein in Washington mit Uni-Abschluss in Biologie registrierter Prahlhans aus Queens, hat mit Hilfe seines Partners Donny Porush (im Film der phänomenale Jonah Hill) und ihrer Firma Stratton Oakmont einen Schaden von gut 200 Millionen Dollar erzeugt.

Belforts Bluthunde am Telefon, dagegen war jede Drückerkolonne eine Mietzekatzenveranstaltung, quatschten Kleinbürgern große Investments in windige Firmen (penny stocks) auf. War der Preis einmal aufgebläht, verkauften Stratton-Leute einen Großteil der Aktien, die von der Firma und ihren Partnern gehalten wurde. So wurden sie steinreich und führten ein obszön dekadentes Leben, in dem ein Zuvielvonallem (Sex, Suff, Drogen, Gier) die Konstante wurde. Die Geprellten gingen leer aus.

Nachdem das FBI ihm auf die Schliche gekommen war und Belforf seine Mitarbeiter verraten hatte, bekannte er sich 2003 des Betruges und der Geldwäsche schuldig. Andernfalls wären 25 Jahre Knast fällig geworden. Die Strafe wurde auf vier Jahre beschränkt. Schon nach 22 Monaten kam Belfort frei.

Mit der Auflage, 110 Millionen Dollar an die Opfer zurückzuzahlen. Staats- und Rechtsanwälte haben nach Recherchen diverser Medien nun herausgefunden, dass der Mann, der noch heute mit einer ekligen Selbstbewunderung auf eine zerstörerische Karriere zurückblickt, seinen Verpflichtungen den 1500 Geschädigten gegenüber bis heute nicht nachkommt. Knapp zwei Millionen Dollar Einnahmen aus dem gleichnamigen Buch, aus dem Scorsese die Idee für seinen Streifen schöpfte, und aus den Filmrechten, stünden in den vergangenen vier Jahren 243.000 Dollar Entschädigungszahlungen gegenüber, heißt in einer offiziellen Beschwerde.

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