Indianerproteste in North Dakota Etappensieg im Kampf gegen die Pipeline

Washington · Indianer im US-Bundesstaat North Dakota atmen auf: Armee-Ingenieure legen die Routenführung durch ihr Reservat auf Eis. Die Pipeline, so ihre Gegner, werde das Wasser des Missouri River verseuchen. Doch der jetzt erreichte Friede könnte brüchig sein.

 Triumph in Cannon Ball: An der Demonstrationsfront in North Dakota feiern Indianer einen zwischenzeitlichen Erfolg: Die Pipelineplanung durch ihre Reservat liegt auf Eis, ihr Protestlager wird nicht gewaltsam geräumt.

Triumph in Cannon Ball: An der Demonstrationsfront in North Dakota feiern Indianer einen zwischenzeitlichen Erfolg: Die Pipelineplanung durch ihre Reservat liegt auf Eis, ihr Protestlager wird nicht gewaltsam geräumt.

Foto: AFP

Was mit bangen Gebeten und der Furcht vor Zusammenstößen mit der Polizei begann, endete mit Freudentänzen in der Eiseskälte von North Dakota. Nach monatelangem Protest gegen den Bau einer gewaltigen Ölpipeline in der Nähe des Standing-Rock-Indianer-Reservats nahe Cannon Ball haben die Nachfahren der Ureinwohner, die um die Reinheit ihrer einzigen Wasserquelle fürchten, einen unerwarteten Sieg eingefahren.

Unmittelbar vor der für Montag von der Polizei geplanten Räumung des von Tausenden Demonstranten bewohnten Protestcamps hat die scheidende Obama-Regierung dem Stammesführer der Sioux, David Archambault II., einen großen Gefallen getan. Das zuständige Army Corps of Engineers, eine Einheit von Bauingenieuren der Armee, hat die bisherige Streckenführung der insgesamt 1900 Kilometer langen Röhre, durch die ab 2017 täglich 500.000 Barrel Rohöl aus dem ergiebigen Bakken-Feld von der kanadischen Grenze bis nach Chicago geschleust werden sollen, auf Eis gelegt. „Wir werden nach alternativen Routen suchen“, erklärte Army-Corps-Ministerin Jo-Ellen Darcy.

Die Indianer hatten das vier Milliarden Dollar teure Infrastrukturprojekt von Beginn an abgelehnt. Es drohe die Wasserläufe des Missouri River zu verunreinigen und werde die heiligen Stätten in der Umgebung entweihen, hatte Archambault mehrfach betont. Der Bauherr Energy Transfer Partners lehnt eine Überarbeitung des letzten Teilstücks des Projekts aus Kostengründen ab. Störversuchen der Obama-Regierung begegnete die Firma mit Gerichtsverfahren. Auch diesmal rechnen Beobachter damit, dass die Texaner mit Rückenwind der Republikaner im Kongress von Washington gegen den Bescheid der Armee-Ingenieure Einspruch einlegen.

In den vergangenen Wochen gab es immer wieder brutale Einsätze von Nationalgardisten und Polizei, die in Kampfmontur mit Schlagstöcken, Pfefferspray, Dumdumgeschossen, Lärmkanonen, Hunden und Hubschraubern gegen die Demonstranten vorgegangen sind, die mit den harten Winterbedingungen ( minus 20 Grad Celsius) zu kämpfen haben. An einem Tag wurden mehr als 150 Protestler verhaftet. Viele davon waren Tausende Kilometer weit angereist. Via Facebook hatten Hunderttausende weltweit die hässlich Szenen in Echtzeit mitverfolgt.

Weil die konservative Regierung des Bundesstaates, allen voran Gouverneur Jack Dalrymple, uneingeschränkt hinter der Pipeline steht, wuchs zuletzt die Ungeduld der Investoren. Die Behörden setzten den Umweltschützern eine Frist zum freiwilligen Verlassen des Areals, die am Montag ablief. Danach müsse mit einer Räumung, sprich mit weiterer Eskalation gerechnet werden, schrieb die Zeitung „Bismarck Tribune“. Am Wochenende trafen fast 2000 Militärveteranen im Lager am Oahe-See ein. Ihre Absicht war es, zwischen Polizei und Protestierenden als Schutzschild zu fungieren und das Ansinnen der Indianer zu unterstützen.

Blutige Szenen zwischen Polizei auf der einen und den Nachfahren der Ureinwohner sowie ehemaligen Irak- und Afghanistan-Soldaten auf der anderen Seite wollte das Weiße Haus unbedingt vermeiden. Mit der Entscheidung der Armee-Ingenieure ist nun ein Moratorium entstanden. Wie lange es reicht, ist ungewiss.

Präsident Obama verliert in sechs Wochen die Entscheidungsgewalt. Sein designierter Nachfolger ist völlig anderer Meinung. Donald Trump unterstützt den Bau der Pipeline. Sein Firmenkonsortium hält Aktien der Betreiberfirma Energy Transfer Partners. Trump kann den Baustopp mit einem Federstrich aufheben. Ob die „schwarze Schlange“ (Indianerslang für die Pipeline) endgültig besiegt ist, steht darum noch in den Sternen.

Stammesführer Archambault und seine Mitstreiter, darunter Führungsfiguren traditionell verfeindeter Stämme, wollen das Momentum nutzen. „Wir wollen nicht mehr betrogen werden“, sagt er, „wirtschaftliche Interessen dürfen nicht mehr wichtiger sein als wir.“

Die Gründe liegen weit zurück. In den beiden Abkommen von Fort Laramie, unterzeichnet 1851 und 1868, hatten die USA den Indianern die riesigen Weiten westlich des Missouri „für alle Zeiten“ als Heimat versprochen. Der Goldrausch in den Black Hills von South Dakota und der Druck der Siedlerströme legten den Grundstein für einen historischen Wortbruch. Vom großen Reservat blieben nur kleine, oft unbrauchbare Landfetzen übrig. Das Bewusstsein um diese kolossale Täuschung war rund um die Ölpipeline die eigentliche Triebfeder für das größte indianische Aufbäumen in den USA seit der militanten Besetzung von Wounded Knee 1973.

Tausende Indianer kamen seit Frühjahr per Auto, Pferd oder zu Fuß nach Standing Rock. In Zeltdörfern hielten sie Wache. Retha Henderson, Enkelin eines Oglala- Lakota-Indianers, war am Sonntagabend (Ortszeit) wie Hunderte andere überglücklich. „Wir sind unserem Ziel ein Stück näher gekommen.“ Das Ziel heißt „Mni Wiconi“. Übersetzt: Wasser ist Leben. Weil sie nicht abschätzen kann, wie Donald Trump nach der Amtseinführung Ende Januar entscheiden wird, bleibt Retha Henderson trotz der unwirtlichen Temperaturen, wo sie ist. „Ohne Geduld und Ausdauer werden wir nicht bekommen, was uns zusteht.“

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