Dokumentation "Leaving Neverland" Erschütternde Berichte über Michael Jackson

Washington · Zwei Männer berichten im Dokumentarfilm "Leaving Neverland", wie sie als Kinder zu lebenden Sexspielzeugen des verstorbenen Musikers Michael Jackson wurden. Dafür erhalten sie nun Morddrohungen. Und Jacksons Familie reagiert empört.

Altgediente Filmkritiker gaben nach der Premiere von „Leaving Neverland“ zu Protokoll, sie seien „zutiefst erschüttert“ gewesen. Andere Besucher im Ägyptischen Kino von Park City im US-Bundesstaat Utah hielten sich während der 236 Minuten langen Vorführung wie in einem Kettensägenmassaker-Film immer wieder die Augen zu. Manche standen mittendrin auf, weil sie es nicht mehr aushielten. Auslöser der extremen Emotionen war ein toter Mann: Michael Jackson.

Knapp zehn Jahre nach seinem durch eine Überdosis des Betäubungsmittels Propofol ausgelösten Ableben liefern Wade Robson (36) und James Safechuck (40) die bisher dröhnendste Sex-Missbrauchs-Anklage gegen den „King of Pop“. In schmerzhafter Länge und Detailtreue lässt der renommierte Dokumentarfilmer Dan Reed die jungen Väter erzählen, wie sie im Kindesalter, (der eine war sieben, der andere zehn) zu Jacksons lebenden Sexspielzeugen wurden. Obwohl ihre Mütter, die den Sänger verherrlichten oder wie einen weiteren Sohn behandelten, oft in unmittelbarer Nähe gewesen seien.

Streicheleinheiten, Zungenküsse, Masturbation, Analverkehr, trickreiche Verschleierung: Die Schilderungen der Opfer von ihren Erlebnissen auf Jacksons Luxusanwesen „Neverland“ bei Los Angeles sind so unerbittlich, dass die Macher des Sundance Festivals, wo Reeds Film den diesjährigen Reigen der Dokudramen anführte, vorsorglich Seelsorger bereithielten. In einer Szene rekapituliert James Safechuck eine Scheinhochzeit mit Jackson. Den „Ehering“, den er heute noch besitzt, hält er in die Kamera.

Die „Hauptdarsteller“, die nach dem Abspann minutenlang mit Ovationen bedacht wurden, mussten in Park City mit Bodyguards geschützt werden. Wütende Jackson-Fans hatten via Internet Todesdrohungen ausgestoßen. Nicht minder drastisch fiel die Antwort des Jackson-Clans aus, dem posthum noch immer millionenschwere Tantiemen aus dem künstlerischen Erbe des Sängers zufließen. Die Nachlassverwalter geißelten den Film als „reißerische Charakterzerstörung“. Jacksons Tochter Paris (20) soll nach Angaben von britischen Medien wegen des Films einen Zusammenbruch erlitten haben.

"Erbärmlicher Versuch"

Der Jackson-Clan wirft Filmemacher wie Protagonisten, die lange über Depressionen und Beziehungsstörungen klagten, „öffentliches Lynchen“ vor. „Leaving Neverland“ sei der erneute „erbärmliche Versuch, Michael Jackson auszubeuten“, der zu „100 Prozent unschuldig ist“. Eine Behauptung, der sich in Internetnetzwerken Tausende anschlossen, die ihr Denkmal nicht beschmutzt sehen wollen.

Tatsächlich hatten Robson und Safechuck nach Jacksons Tod im Juni 2009 vor Gericht Schadensersatz in Höhe von 1,5 Milliarden Dollar erstreiten wollen. Vergeblich. Den Männern, die Jackson im Kindesalter über einen Tanzwettbewerb und beim Dreh für einen Pepsi-Cola-Werbespot kennenlernte, wurde auch zum Verhängnis, dass sie sich 2005 in einem Prozess auf die Seite des Poptitanen geschlagen hatten. Damals war Jackson angeklagt, sich den Teenager Gavin Arvizo sexuell gefügig gemacht zu haben. Das Verfahren endete mit Freispruch.

Missbrauch erst spät realisiert

Zwölf Jahre zuvor hatte der Superstar ähnliche Vorwürfe mit Zahlungen in Höhe von 22 Millionen Dollar aus der juristischen Welt schaffen lassen. Damals tauchten Akten der Bundespolizei FBI auf, die in den Besitz von Unterlagen eines von Jackson angeheuerten Privatdetektivs gekommen war. Inhalt laut US-Medien: die Namen von 17 Jungen, mit denen „MJ“ sexuelle Beziehungen unterhalten haben soll und die Schweigegelder in Höhe von insgesamt 35 Millionen Dollar bekommen haben sollen.

Im Film, der aus der Perspektive der Opfer erzählt wird, und nach der Premiere erklärten Safechuck und Robson, dass sie im Kindesalter zum Teil wahre Liebesgefühle für Jackson empfanden. Den Missbrauch wollen sie erst viele Jahre später realisiert haben. Beide, wie auch Regisseur Dan Reed, betonen, dass es nicht um Geld gehe. Sondern darum, den Opfern von Missbrauch ein Gesicht und eine Stimme zu geben. „Ich will die Wahrheit genauso laut benennen, wie ich die Lüge ausgesprochen habe“, sagt Wade Robson am Ende des Films.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort