Zipp und zu Der Reißverschluss feiert 125. Geburtstag

Bonn · Jeder kennt ihn. Er ist eine der meistgenutzten Erfindungen der Neuzeit. Jetzt feiert der kleine Helfer mit den vielen Zähnen Geburtstag: Seit 125 Jahren geht der Reißverschluss auf und zu.

 Großbritannien, Ashford: Der Künstler Alex Chinneck steht vor einem riesigen Reißverschluss, der die Wände eines leeren Bürogebäudes öffnet, im Rahmen seines neusten Kunstwerks "Open to the public".

Großbritannien, Ashford: Der Künstler Alex Chinneck steht vor einem riesigen Reißverschluss, der die Wände eines leeren Bürogebäudes öffnet, im Rahmen seines neusten Kunstwerks "Open to the public".

Foto: dpa

Für Kurt Tucholsky blieb das gezackte Wunderwerk der Ingenieur-Technik zeitlebens ein Mysterium: „Kein Mensch kann sich erklären, warum der Reißverschluss funktioniert!“, schrieb er 1928 unter seinem Pseudonym Peter Panter in der „Vossischen Zeitung“. „Ich weiß es nicht, du weißt es nicht, wir alle wissen es nicht.“ Auch Bundespräsident Theodor Heuss gab sich ahnungslos: Als er in den 1950er Jahren eine Ausstellung im Deutschen Museum in München eröffnete, brummte er den Kuratoren ins Ohr: „Meine Herren, das interessiert mich hier eigentlich alles gar nicht.“ Aber wie ein Reißverschluss funktioniert, das wüsste er schon gerne.

Vorsicht vor dem Klauenschließer! Er hat so seine Tücken: Er klemmt, wenn er nicht klemmen sollte. Er öffnet sich, wenn er sich nicht öffnen sollte. Jeans rutschen, Anoraks flattern im Wind, durch Hosentüren zieht es. Schlimmer noch: Mehr als 81 000 männliche Patienten landeten zwischen 2002 und 2010 in den USA wegen einer Reißverschluss-Verletzung an ihrem besten Stück in der Notaufnahme.

„Zwei Drittel davon waren Kinder“, so Forscher der University of California. „Einfach besser aufpassen!“ resümierten die Urologen simpel und rieten den Eltern, ihre Kinder lieber in Hosen mit elastischem Bund zu stecken, bis die Kleinen mit dem Reißverschluss umgehen können. Deutschen Medizinern war das schmerzhafte Problem 1999 sogar ein Fachbuch wert: „Reißverschlussverletzungen – Tipps und Tricks für den Urologen“.

Derart schräg, amüsant und manchmal auch tragisch sind viele Geschichten und Überlieferungen, die sich um den Ritsch-Ratsch-Apparat ranken. Das geniale Ding hat viele Väter: Ein gutes Dutzend Erfinder hat sich jahrzehntelang an seiner Technik abgearbeitet. Wann endlich vermochte ein flinkerer Ersatz die umständlichen Schnürsenkel, Bänder, Knöpfe oder Knebel ersetzen? Nicht wenige Tüftler verzweifelten darüber. Einer starb verkannt und bettelarm. Ein anderer wurde am Lebensende sogar für geisteskrank erklärt.

Reißverschluss zunächst Erfindung für Schuhe

Aber der Reihe nach: Die Geburt des Reißverschlusses beginnt ganz unten – an den Füßen. In hoch geknöpften Schuhen stolzieren die Bürger im 19. Jahrhundert über das Pflaster. Und es braucht viel Geschicklichkeit, die Galoschen mit Stiefelknöpfern zu bändigen. Ob Hosen, Jacken, Kleider, Korsetts – alles wird umständlich und zeitraubend zugeknöpft oder verhakt.

Das will ein Amerikaner ändern: Vor etwa 170 Jahren lebt in Boston ein sonderbarer Kauz, der, so die Überlieferung, „trotz seines Alters noch läppisch und kindisch und vor allem ein Feind jedweder anstrengenden Arbeit war“: Elias Howe, eine „Stadtmerkwürdigkeit“. Nächtelang hockt der Grübler in seinem elenden Dachstübchen und weiß oft nicht, wie er seine hungernde Familie ernähren soll. 1851 meldet der dreifache Familienvater ein Patent für seinen „automatischen, ununterbrochenen Kleiderverschluss“ an. Howes Idee ähnelt einem Kordelzug, der durch eine Reihe von Klämmerchen läuft. Ein Konstrukt, das es nie zur Marktreife brachte. Der späte Ruhm kommt dennoch: Als Howe 1867 nur 48-jährig in Brooklyn stirbt, hinterlässt der inzwischen zum Fabrikanten aufgestiegene Kauz ein großes Vermögen: Howe ist der Erfinder der Nähmaschine!

Erst der Geistesblitz eines ehemaligen Leutnants der 22. Illinois US-Kavallerie führt zur Entwicklung des ersten echten Reißverschlusses: Um einem an Arthritis leidenden Freund das Schließen der Stiefel zu erleichtern, tüftelt Whitcomb Leonard Judson (1846-1909), Maschinenbau-Ingenieur und Handlungsreisender für Kornwaagen, an einer revolutionären Konstruktion: Am 29. August 1893 meldet er seinen auf Haken und Ösen basierenden Verschluss mit dem klangvollen Namen „Klemmöffner und Klemmschließer für Schuhe“ zum Patent an. Noch im selben Jahr präsentiert Judson auf der Weltausstellung in Chicago seine bahnbrechende Idee. Doch die Präsentation gerät zum Desaster: Die 21 Millionen Besucher der gigantischen Leistungsschau interessieren sich mehr für das weltweit erste elektrische Riesenrad und Amerikas Bauchtänzerin „Little Egypt“ als für seine Erfindung.

Judson ist untröstlich. Sein vollmundiges Werbe-Versprechen „Ein Zug und fertig!“ kann das kleine Wunderwerk nie einlösen: Allzu oft klemmt der Verschluss, oder er öffnet sich bei den unpassendsten Gelegenheiten. Den Siegeszug seiner Erfindung hat der Ur-Vater des Reißverschlusses nicht mehr erlebt. Judson stirbt 1909 verarmt in dem traurigen Glauben, dass seine Erfindung niemals einen praktischen Nutzen finden wird.

Maschinenbau-Student gelingt Weiterentwicklung

Ein Trugschluss. Einem ehemaligen Maschinenbau-Studenten am Rheinischen Technikum in Bingen gelingt acht Jahre später die entscheidende Weiterentwicklung von Judsons Lebenswerk: Mit dem „Seperable Fastener“ ertüftelt 1917 der gebürtige Schwede Otto Frederik Gideon Sundbäck (1880-1954) den ersten serienreifen Reißverschluss. Der Ingenieur, der 1905 in die USA emigriert war, ersetzt die Haken und Ösen bisheriger Modelle durch ineinandergreifende Klemmbäckchen und Kügelchen. Das US-Militär ist begeistert: Noch im selben Jahr werden die wetterfesten Uniformen der Navy mit Sundbäcks Reißverschlüssen ausgestattet, ebenso die Gummistiefel für die kämpfende Truppe in Europa zum Ende des Ersten Weltkrieges. Zur zivilen Anwendung kommt es erst später.

1923 bietet Sundbäck seine Erfindung in der Schweiz feil. Die Stickereibarone in St. Gallen amüsieren sich über den Amerikaner. Sie schicken ihn zum Bruchbandhändler Martin Othmar Winterhalter, den sie für ebenso durchgeknallt halten. Winterhalter, der sein Jura-Studium mit der Produktion von Bändern zur Heilung von Bauchhöhlen-Brüchen finanziert hatte, erkennt den unschätzbaren Wert dieser visionären Erfindung sofort. Der Eidgenosse schwatzt Sundbäck für einige zehntausend Franken das Patent ab und entwickelt aus dem amerikanischen Urtyp ein Verschluss-System aus Rippen und Rillen, kurz „Riri“ genannt. Eine Revolution! Schon 1925 produzieren 1000 Arbeiter in Winterhalters erster Fabrik in Wuppertal zehn Kilometer „Riri“ täglich.

Eine Erfolgsstory, die privat in einer Katastrophe endet: Nach dem Zweiten Weltkrieg beginnt der Unternehmer damit, religiöse Scharlatanerie zu sponsern. Der einstige Klosterschüler fantasiert von wundersamen Steinchen und Wässerchen, die er entdeckt habe. Schlösser, Viadukte und Straßen aus Rippen und Rillen sollen entstehen. Der kinderlose Millionär dreht durch, veranstaltet rauschende Feste, verschleudert sein märchenhaftes Vermögen. 1961, zum 25. Firmenjubiläum, stirbt Winterhalter in der Irrenanstalt. Diagnose: Paranoide Schizophrenie.

Auch für den rastlosen Querkopf Winterhalter gestaltete sich die Vermarktung des Reißverschlusses anfangs schwierig. Die konservative Kundschaft gab sich zugeknöpft: „Zu vulgär!“ Erst in den 30er Jahren wird der „Zipper“ salonfähig. 1935 stattet erstmals in Deutschland das Münchner Modehaus Hirmer seine Herrenhosen mit Reißverschlüssen aus. Die eigenwillige Modedesignerin Elsa Schiaparelli (1890- 1973) baut ein Jahr später knallrote Reißverschlüsse in Kleider aus Zellophan.

Der Reißverschluss wird immer beliebter

Bald will alle Welt einen Reißverschluss haben, für Tabaksbeutel und Damenhandtaschen, Koffer und Ministerportefeuilles. Zahlreiche Knopf-Fabriken treibt das „infernalische Produkt“ in den Abgrund, wie der Hollywood-Film „Der seltsame Fall des Benjamin Button“ mit Brad Pitt erzählt. Heute, 125 Jahre nach Judsons „Klemmöffner und Klemmschließer“, werden allein in Deutschland jährlich um die 70 Millionen laufende Meter Reißverschluss produziert. Soviel, dass man ihn zweimal um den Erdball wickeln könnte.

Auch in der DDR ratschten die Schieber unermüdlich auf und zu. Vor allem für die „Jugend- und Freizeitmode mit Jeans-Charakter“. 800 Arbeiter produzierten bis 1990 im Thüringer Kombinat VEB Solidor Heiligenstadt am Fließband pro Jahr 60 000 Kilometer Reißverschluss. „Wir benutzen sie mit mehr oder weniger Freude täglich“, schreibt 1977 der Schweriner Schriftsteller Jürgen Borchert. „Leider hat noch niemand den Schlafanzug mit Reißverschluss gefunden; welche ungeahnten Möglichkeiten der Kooperation böten sich da...“

Ein Leben ohne Reißverschluss? Undenkbar. Längst finden wir die geniale Erfindung, die unseren Alltag erleichtert und beschleunigt, nicht nur bei Kleidern, Hosen, Taschen, Geldbeuteln und Bettwäsche. Sie verschließt auch Zelte, Tauchanzüge und feuerfeste Formel-1-Fahrerkombis, verriegelt Ölsperren, Fischernetze, rindslederne Bibeln, Leichensäcke, künstlichen Rasen auf Fußballfeldern und Patienten-Bäuche nach Operationen. Einer der größten Reißverschlüsse dümpelt in ewiger Dunkelheit: Das Monstrum liegt auf dem Grund des Atlantiks und hält die Schutzhülle eines Telefonkabels zusammen, 632 Meter lang und 43 Kilogramm schwer.

Die Produktion brummt. Heute verbraucht ein Mensch in den Industrieländern zu Lebzeiten im Schnitt mehr als 20 Meter Reißverschlüsse. Global Player ist ein japanischer Konzern. Die drei Buchstaben YKK zieren Reißverschlüsse in aller Welt. Der Gigant, seit 50 Jahren auch hierzulande einsamer Marktführer, produziert etwa die Hälfte des weltweiten Bedarfs. Besuche in der deutschen Zentrale in Mainhausen sind unerwünscht. Keine Fotos, keine Infos aus dem Reißverschluss-Imperium. Alles zu. „Wir zeigen nichts aus der Produktion!“ sagt die japanische Marketing-Mitarbeiterin Naomi Kotani.

Kurt Tucholsky hatte wohl Recht, als er vor 100 Jahren scherzte: „Keiner weiß, warum der scheinbar so einfache, welterobernde Reißverschluss funktioniert ... Die Fabrikanten können ihn herstellen, aber sie wissen eigentlich auch nicht ganz genau, was sie da fabrizieren...“

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