Nach den Erdbeben in Italien Der Albtraum kehrt zurück

Rom · Weniger als eine Woche nach zwei starken Erdbeben wird Mittelitalien erneut von schweren Erschütterungen heimgesucht. Dieses Erdbeben gilt als eines der stärksten seit Jahrzehnten. Die Regierung sagt Hilfe zu. Und die Menschen in der Region müssen weiter bangen.

 Ein Auto ist in Norcia von herabfallenden Steinen zerstört worden.

Ein Auto ist in Norcia von herabfallenden Steinen zerstört worden.

Foto: Matteo Guidelli

Wer schon länger in der italienischen Hauptstadt lebt, der weiß, wie sich Erdbeben anfühlen. Als 2009 die Erde in L'Aquila in den Abruzzen bebte, konnte man im etwa 100 Kilometer entfernten Rom meinen, eine U-Bahn donnere durch die eigene Behausung. Einen ähnlichen Eindruck hatten die Römer vor zwei Monaten, als in Mittelitalien die Erde bebte und fast 300 Todesopfer forderte. Bei den jüngsten Erdstößen vom Mittwochabend fühlte es sich in oberen Stockwerken in der Hauptstadt an, als befinde man sich auf einem Schiff auf hoher See, so stark wankten die Gemäuer.

Diesmal versetzten die Erdstöße vor allem die Bevölkerung in Mittelitalien zwischen Perugia und Macerata in Panik. Nur etwa 40 Kilometer vom Epizentrum des Erdbebens vom 24. August um Amatrice und Accumoli entfernt, waren nun zahlreiche Dörfer in der Region Marken an der Grenze zu Umbrien betroffen.

Vor allem ein zweiter, schwerer Erdstoß am Mittwochabend mit einer Stärke von 6,1 auf der Richterskala in der Umgebung des Dorfs Ussita richtete schwere Schäden an. Dass die Zahl der Opfer und Verletzten bislang gering ausfiel, ist wohl vor allem dem Umstand zu verdanken, dass bereits bei einem ersten Erdstoß um 19.11 Uhr mit Stärke 5,4 viele Menschen ihre Häuser verließen.

Schwere Erdbeben in Mittelitalien
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Schwere Erdbeben in Mittelitalien

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In Tolentino starb ein 73-jähriger Mann an einem Herzinfarkt infolge des Erdbebens. Nach offiziellen Angaben gab es bislang vier Verletzte, ein Kind in der Kleinstadt Camerino wurde schwer verletzt. Der italienische Zivilschutz berichtete von mindestens 3000 Menschen, die ihre Behausung verloren hätten. Die italienische Regierung versprach am Donnerstag 40 Millionen Euro Soforthilfe.

Auch im etwa 150 Kilometer entfernten Rom waren nach den Erdstößen am Abend viele Menschen auf die Straße gelaufen. Mehrere Gebäude, darunter auch das italienische Außenministerium, wurden vorsorglich evakuiert. Nicht nur in Neapel oder Florenz, sogar bis nach Südtirol und Österreich waren die Ausläufer des Erdbebens zu spüren. Auch am Donnerstagmorgen wurden noch mehrere schwerere Erdstöße gemessen.

Der Corriere della Sera schrieb von der „Rückkehr des Albtraums“. In Dörfern wie Ussita seien 80 Prozent der Gebäude nicht mehr begehbar, hieß es. Sergio Pirozzi, Bürgermeister der Gemeinde Amatrice, in der beim Beben vom 24. August die meisten Menschen ums Leben kamen, sagte: „Wir haben seit 64 Tagen versucht, unsere traumatischen Erfahrungen beiseite zu schieben, jetzt ist die Angst wieder da.“ Auch in der gesperrten Zone von Amatrice stürzten am Mittwoch mehrere Gebäude ein. Die Bilder glichen erneut einer Apokalypse. In Camerino stürzte ein alter Kirchturm auf ein Wohnhaus, viele ältere Gebäude wurden beschädigt.

Für Geologen ist es ein bekanntes Phänomen, dass sich auch einige Zeit nach schweren Erdstößen in der Nähe erneut ähnliche Phänomene ereignen. Bei dem schweren Erdbeben im Friaul 1976 war dies der Fall, ebenso beim Erdbeben in den Marken 1997 oder in der Emilia-Romagna 2012. Die 1500 Kilometer lange Bergkette des Apennin stellt dabei die am meisten von Erdbeben gefährdete Zone in Italien dar. „Der Apennin bewegt sich ständig, die meisten Erdstöße werden von der Bevölkerung gar nicht bemerkt“, sagte Daniela Pantosti, Geologin am Italienischen Institut für Geophysik und Vulkanologie. Seit dem Beben vom 24. April seien 18 000 Erdstöße gemessen worden.

Wie am Donnerstag bekannt wurde, gab es auch Nutznießer der Katastrophe. Von den 39 Gefangenen, die in der Nacht wegen des Bebens aus dem Gefängnis in Camerino in die römische Haftanstalt Rebibbia verlegt wurden, konnten drei entkommen. Die Häftlinge, darunter ein wegen Mordes zu lebenslanger Haft Verurteilter, seilten sich mit Hilfe von Bettlaken ab und flüchteten.

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