Interview mit Lucian Hölscher Bochumer Historiker spricht über die Erfindung der Zukunft

Der Bochumer Historiker Lucian Hölscher spricht im GA-Interview über die Zukunft und den Spagat zwischen Angst und Sorglosigkeit.

 Zukunfts-Experte Lucian Hölscher.

Zukunfts-Experte Lucian Hölscher.

Foto: privat

Was ist Zukunft?
Hölscher: Ein Konzept für die Zeit, die vor uns liegt. Der Zukunftsbegriff, wie wir ihn kennen, entstand aber erst in der Aufklärung.

Inwiefern?
Hölscher: Früher war Zukunft vorherbestimmt. Man prognostizierte mittels Orakeln oder es galt die Bibel. Heute geht man davon aus, dass die Zukunft beeinflussbar ist. Es gibt wissenschaftliche Methoden zur Prognose von Wetter, Bevölkerungsentwicklung und vielem mehr. Ich denke, unsere heutige Vorstellung von Zukunft ist deutlich leistungsfähiger.

Trotzdem machen sich viele Menschen Sorgen...
Hölscher: Ja, die Beschäftigung mit Zukunft nimmt teilweise überhand. Sie wird von allen möglichen Experten besetzt. Wir sprechen von einer "Kolonisierung der Zeit". Zukunft selbst wird zu einer knappen Ressource: Wenn nämlich schon alles festgelegt ist, wenn wir bei Strafe unseres Untergangs nur noch vollziehen dürfen, worauf uns unsere Vorfahren festgelegt haben, dann verliert die Zukunft ihre Offenheit. Zukunft ist aber der Raum der Freiheit.

Sie plädieren für mehr Sorglosigkeit?
Hölscher: Ich plädiere für einen vernünftigen Mittelweg zwischen Planung und dem Vertrauen auf Selbstregulierung. Viele Prognosen, etwa zu negativen Auswirkungen des Bevölkerungswachstums, sind nicht eingetreten.

Was bringt die Zukunft?
Hölscher: Jedenfalls einen anderen Zukunftsbegriff. "Die" Zukunft im Singular als Vision einer gemeinsamen Zeit für alle Menschen wird wohl nicht zu halten sein. Wir befinden uns in einer Phase der Ernüchterung. Die Annahmen auch der Geschichtswissenschaft vom durchgehenden Zusammenhang allen Lebens, von der Einheit der Wirklichkeit, lösen sich auf.

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