Auschwitz-Befreiung Auf den Spuren von Opa Bruno

AUSCHWITZ/OSWIECIM · Mit zwölf Schülern ist Lehrer Jürgen Seitz aus der Willy-Brandt-Gesamtschule aus Kerpen in Auschwitz. Für einen der Jugendlichen ist es eine ganz besondere Reise: Mirco Dreier, 16 Jahre alt, aus der 10d. Sein Urgroßvater war ein Jahr im KZ Auschwitz-Birkenau inhaftiert.

 Lebendige und persönliche Geschichtsstunde: Mirco Dreier besucht das Konzentrationslager Auschwitz, wo sein Urgroßvater gefangen war.

Lebendige und persönliche Geschichtsstunde: Mirco Dreier besucht das Konzentrationslager Auschwitz, wo sein Urgroßvater gefangen war.

Foto: SEPP SPIEGL

"Ich wollte mir ein eigenes Bild der Nazi-Zeit machen", sagt er zu seinen Beweggründen, warum er an der Reise nach Auschwitz teilnehmen wollte. Denn sein Uropa Bruno musste etwa ein Jahr als politischer Häftling dort leben. Wie lange genau und was er dort erlebt hat, weiß Mirco nicht, denn er selbst war noch zu jung, um mit seinem Uropa darüber zu reden. Dieser starb, als Mirco sieben Jahre alt war. Was er weiß, hat er aus Erzählungen seines Onkels.

Opa Bruno, wie Mirco seinen Urgroßvater genannt hat, stammte aus der polnischen Stadt Lodz und hatte sich gegen die Nazis eingesetzt. Das brachte ihm 1943 die KZ-Haft in Auschwitz ein. 1944 konnte Opa Bruno allerdings fliehen. Wie ihm das gelang, weiß Mirco nicht. Sicher ist wiederum, dass er auf der Flucht seine Frau kennenlernte, die aus Schlesien stammte. Gemeinsam kamen sie 1945 nach Düren und gründeten dort eine Familie.

Und wie hat Mirco den Besuch im Lager empfunden? Er könne sich jetzt gut vorstellen, was die Häftlinge und auch sein Uropa über sich ergehen lassen mussten. Schon allein das Aufnahmeritual an der Rampe in Birkenau hat ihn schaudern lassen. Nur rund 20 Prozent der Neuankömmlinge seien als arbeitsfähig registriert worden. "Wer dann aber zum Beispiel beim Springen oder Abrollen Fehler gemacht hat", sprich: vor den Wächtern körperliche Defizite gezeigt hat, musste wie die mindestens 80 Prozent der Neuen damit rechnen, zu Todeskandidaten zu werden, hatte ihnen ihr Führer am Wochenende erzählt.

"Da ist mir ganz schwummrig geworden", sagt Mirco. Dabei hat er selbst ganz andere Erinnerungen an ihn - viel schönere. "Wir haben oft auf dem Sofa zusammengesessen und Spiele gespielt, was Kinder mit Großeltern halt so machen", fügt Mirco noch hinzu.

An diesem Montag ist er noch einmal in die Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau gekommen. Mit weit über 1000 anderen Menschen - zur offiziellen Feier aus Anlass der 69. Wiederkehr der Befreiung des Konzentrationslagers. Das gesamte israelische Parlament ist dabei, ebenso Vertreter des polnischen, aus Deutschland sind unter anderem NRW-Schulministerin Sylvia Löhrmann und Bundestagsvizepräsidentin Edelgard Bulmahn gekommen. Besonders begrüßt werden die ehemaligen Häftlinge.

Schon am frühen Morgen hatten Vertreter der Gedenkstätte, der Stadt Oswiecim, der Häftlinge und auch Löhrmann Kränze an der sogenannten Todeswand im Stammlager Auschwitz I niedergelegt. Die Ministerin hatte dazu die 16-jährige Nina Mainusch und den 18-jährigen Lorenz a Campo an ihrer Seite, zwei Schüler, die mit dem Geschichte-Leistungskurs einer Viersener Schule nach Auschwitz gekommen waren. "Man spürt eine große Verantwortung gegenüber den ehemaligen Häftlingen, wenn man hier teilnimmt", sagt Lorenz hinterher.

Jahr für Jahr werden es weniger, die gesundheitlich in der Lage sind, die Strapazen einer Reise nach Auschwitz auf sich zu nehmen. Vor der Todeswand sind es an diesem Morgen rund 40 alte Menschen, die durch ihr blau-weiß-gestreiftes Halstuch als ehemalige Gefangene erkennbar sind.

An dieser Stelle waren zwischen 1940 und 1945 nach Schätzungen mindestens 4500 Menschen exekutiert worden. Nebenan lag der berüchtigte Block 11, in dem die SS den inzwischen heiliggesprochenen Maximilian Kolbe mit zahlreichen anderen Personen verhungern ließ. Hier führte die SS regelmäßig kurze Prozesse durch, zwei, drei Minuten lang, bis sie die Menschen vor die Wand stellte und erschoss.

Ein Grund für die Exekutionen, erzählt Führer Przemyslaw Dybata: Wenn ein Häftling aus dem Lager geflohen sei, hätten zehn andere das mit dem Leben bezahlen müssen. Ob auch die Flucht von Mircos Uropa eine solche Folge nach sich gezogen hat, das wird wohl für immer ein Rätsel der Geschichte bleiben.

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