Literatur-Nobelpreis für Bob Dylan Willy Shakespeare mit Gitarre

Er hat den Literatur-Nobelpreis verdient. Denn dieser Robert Allen Zimmerman aus Duluth/Minnesota hat als Bob Dylan pure Poesie geschrieben: rätselhaft, magisch, schillernd und suggestiv.

Dürfen die Schweden das? Den wertvollsten Literaturlorbeer einfach so einem Popsänger verleihen, den Verächter als nölende Sphinx oder kryptischen Nervbarden abkanzeln? Ja, sie dürfen – und müssen sich nicht einmal auf die antike Patenschaft der Gesänge Homers berufen. Denn dieser Robert Allen Zimmerman aus Duluth/Minnesota hat als Bob Dylan pure Poesie geschrieben: rätselhaft, magisch, schillernd und suggestiv.

„Yippee! I'm a poet, and I know it. Hope I don't blow it“ (Juhu! Ich bin ein Dichter, und ich weiß es. Hoffe, dass ich es nicht vermassele“), wusste er schon 1964. So wurde er es bald leid, neben Joan Baez nur auf moralischer Mahnwache die Folk-Klampfe zu halten. Schon auf dem zweiten Album mutierte er mit „A Hard Rain's A Gonna Fall“ zum apokalyptischen Orakel. Spukt hier Walt Whitman durch die geheimnisvollen Verse, hat Dante mal eben bei der Anlage des surrealen Irrgartens „Tangled Up In Blue“ vorbeigeschaut?

Ganze Heere selbst ernannter Dylanologen haben sich inzwischen mit mehr oder minder stringenten Exegesen die Finger blutig getippt und von der Bibel über Verlaine bis Rimbaud oder Kafka schon so gut wie jedes große Vorbild in Dylans 492 Songs (Stand November 2015) aufgespürt. Mit „Es war einmal...“ beginnt „Like A Rolling Stone“, dieses als bester Song aller Zeiten gehandelte Märchen von einer Prinzessin, die vom hohen Ross in die Gosse stürzt und in der Unsichtbarkeit verschwindet.

Klar, dass der rotzige Sarkasmus dieses Titels durch die raue Rockmusik effektvoll verstärkt wurde, doch der Text hält auch auf dem Papier stand. Denn man spürt diesen dunklen Zauber zwischen den Zeilen, diesen unerklärlichen Rest, der gute Gedichte ausmacht. Solche, deren Worte eben nicht beliebig collagiert, sondern bewusst komponiert sind und einen mysteriösen Resonanzraum eröffnen. U2-Frontmann Bono rühmte den Kollegen ob dieses Songs als „Willy Shakespeare unserer Zeit in einem gepunkteten Hemd“.

Zu hoch gegriffen? Mag sein. Aber Dylan selbst hat einmal bekannt: „Ich sehe alles, was ich tue, als Schreiben an.“ Und wie er durch all die Jahrzehnte seiner durchaus wechselvollen Karriere geschrieben hat: Da kondensiert er das authentische Boxer-Kriminaldrama „Hurricane“ in einen fiebrigen Song von achteinhalb Minuten, dreht einen atmosphäresatten Kopfwestern („Romance In Durango“) oder weint auf dem meisterhaften Album „Blood On The Tracks“ einer verlorenen Liebe nach: „If You See Her, Say Hello“.

Bob Dylans Auftritt beim Bonner Kunstrasen 2012

Kein Zweifel, wie allen passionierten Vielschreibern sind auch dem heute 75-Jährigen schwächere Texte (wie die populäre Hippie-Hymne „Blowin' In The Wind“) unterlaufen. Doch gerade abseits offener Gesellschaftskritik („Masters Of War“) glücken ihm hypnotische Poeme: So spuken Aschenputtel, Ophelia und Einstein im Robin-Hood-Kostüm durch „Desolation Row“, ohne dass man diesen gewaltigen Monolithen mit solchen Hinweisen je wirklich knacken könnte.

Dylan selbst, auf seiner endlosen Tournee durch die Clubs und Hallen dieser Welt ohnehin für Selbstauskünfte kaum zu haben, weist literarische Vorbilder meist entrüstet von sich. Nein, sein spätes Album „Tempest“ habe mit Shakespeares „Sturm“ fürwahr nichts zu tun! Stimmt nicht, weist Heinrich Detering kundig nach, der in diesem „Titanic“-Todeswalzer einen hochintelligenten Gegenentwurf zum elisabethanischen Drama sieht. Edgar Allan Poe und Samuel Beckett lassen grüßen. Gewiss multipliziert der fast monotone Moritatenrhythmus die grimmige Wirkung, doch auch bei der Lektüre spürt man die virtuos entfesselte Schicksalsmacht.

So sehr Bob Dylans Texte die Schriftgelehrten anziehen, so hartnäckig bringen sie Übersetzer in Nöte: „Darkness at the break of noon/ Shadows even the silver spoon/ The handmade blade, the child's balloon/ Eclipses both the sun and moon...“ heißt es in „It's Alright Ma,...“ Wer dies für symbolschwangeren Schwulst hält, darf die Stockholmer Jury schelten. Wer die funkelnde Schönheit dieser Verse erkennt, freut sich über die Wahl. Zwar tritt die Schwedische Akademie so bewusst aus dem Elfenbeinturm der Eingeweihtenkunst aufs weite Feld der Populärkultur. Dass sie den Literatur-Nobelpreis damit verramscht,kann man ihr nicht vorwerfen. Ja, Bob Dylan ist ein Dichter. nein, er hat es nicht vermasselt.

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