Der Patron der Pole Wie ein Extremschwimmer die Welt verändert

Mit Wladimir Putin verhandelte Lewis Pugh die russische Unterschrift unter dem Rossmeer-Vertrag. Vor einem Jahr entstand in antarktischen Gewässern das größte ausgewiesene Meeresschutzgebiet der Erde. Die künftigen Ziele des Extremschwimmers sind indes genauso ambitioniert.

 Die Eckdaten einer schier übermenschlichen Anstrengung: Temperaturen um null Grad Celsius, ein Kilometer in 17 Minuten. Lewis Pugh will mit solchen Aktionen die Welt wachrütteln.

Die Eckdaten einer schier übermenschlichen Anstrengung: Temperaturen um null Grad Celsius, ein Kilometer in 17 Minuten. Lewis Pugh will mit solchen Aktionen die Welt wachrütteln.

Foto: Kelvin Trautman

Montag, 12. Dezember 2016. Half Moon Island, Südliche Shetland-Inseln, nahe der Antarktischen Halbinsel. Luft- und Wassertemperatur liegen bei null Grad Celsius. Nur weil es sich um Salzwasser handelt, ist das Wasser noch flüssig. Doch die Atmosphäre ist eisig, als Lewis Pugh zum Hechtsprung ansetzt. Kopfüber stürzt sich der Extremschwimmer in die schwarzen Fluten.

Erst einen Kilometer später wird er sie wieder verlassen – nach mehr als 17 Minuten. Unterkühlt, mit krebsroter Haut – und dennoch glücklich. „Wir müssen Aufmerksamkeit schaffen, damit die Menschen begreifen, dass diese wunderbare Naturlandschaft auf dem Spiel steht. Und mit ihr so viel Anderes.“

Aufmerksamkeit zu schaffen für die Gefahren des Klimawandels, für den Schutz der Polargebiete – das ist Lewis Pughs Mission. Sein Lebenswerk, das ihn zum Botschafter macht, zum Patron of the Oceans der UNEP, des Umweltprogramms der Vereinten Nationen. Nicht nur an diesem Tag, auch schon vor zehn Jahren, am 15. Juli 2007 bei minus 1,7 Grad Wassertemperatur: Ein russisches Schiff am Nordpol, dort, wo kein normaler Mensch zum Schwimmen gehen würde. Doch Lewis Pugh ist vor-bereitet. Sechs enge Vertraute bilden sein Team, darunter ein Arzt. Nummer 26, nachdem Lewis Pugh von zwei Dutzend Ärzten Absagen einstecken musste.

Niemand könne am Nordpol einen Kilometer weit schwimmen, hatten sie ihm gesagt. Absolut niemand. Doch Lewis Pugh bleibt standhaft: „Menschen können Tagträumer sein, Optimisten, Realisten, Zyniker oder Pessimisten. Was ich in meinem Team brauche, sind optimistische Realisten“, sagt er, bevor er ins Wasser steigt und in 18:50 Minuten 1000 Meter über den eisfreien Nordpol schwimmt. Er ist der erste Mensch der Welt, der dieses Wagnis auf sich nimmt. Er ist damit erfolgreich.

Die Extreme treiben Lewis Pugh an. Im britischen Plymouth geboren, zieht es ihn früh mit seinen Eltern, die beide bei der britischen Marine beschäftigt sind, nach Südafrika. Er besucht Nationalparks, studiert Politik und Recht in Kapstadt und kehrt schließlich nach London zurück, wo er als Anwalt für Seerecht arbeitet.

Ein Pionier mit Badehose und Schwimmhaube

Fünf Jahre lang ist Lewis Pugh an der juristischen Aufarbeitung der Exxon-Valdez-Katastrophe beteiligt, bei der 1989 vor der Küste Alaskas rund 2000 Kilometer Küste vom auslaufenden Öl verseucht wurden. Für Lewis Pugh ein Job, mehr nicht. Die wahre Leidenschaft findet er erst, als er dem Rat eines Freundes nachgeht und seine Anwaltsstelle kündigt. „Dieser Freund sagte mir: Folge deinen eigenen Träumen, denn wenn du dies nicht tust, folgst du nur den Träumen Anderer. Damit hatte er Recht.“

Lewis Pugh schlägt seinen eigenen Weg ein – und wird mit Badehose und Schwimmhaube zum Pionier der Weltmeere. In Nordnorwegen schwimmt er als erster Mensch rund um das Nordkap, für die Durchquerung des 204 Kilometer langen Sognefjords benötigt er 21 Tage. 2006 schließlich ist Lewis Pugh der erste Mensch, der in allen fünf Weltmeeren – im Atlantik, im Pazifik, im Arktischen, im Indischen und im Südlichen Ozean – eine Schwimm-Langstrecke hinter sich gebracht hat.

Lorbeeren, auf denen sich der Extremschwimmer nicht ausruht. Nach seiner Nordpol-Querung 2007 zieht es ihn 2010 in eisige Höhen: Im Himalaya durchschwimmt Lewis Pugh den zwei Grad kalten Lake Pumori, einen Gletschersee am Fuße des Mount Everest. Die Schwimmstrecke – ein Kilometer lang – bringt ihn in der dünnen Höhenluft der höchsten Bergkette der Welt auf 5300 Metern über dem Meeresspiegel an seine Grenzen. Doch am Ende meistert Lewis Pugh auch diese Herausforderung.

Vor einem Jahr also der Süden. In einem Jahr, das für Lewis Pugh aus sportlicher Sicht nicht zu den sehr guten Jahren gehörte. Eine Rückenoperation im Frühsommer machte dem Extremschwimmer das Training für sein Antarktis-Abenteuer fast unmöglich. Und ohnehin versank die Vorbereitung für das Schwimm-Abenteuer in den finalen Verhandlungen für eine andere Mission, an der Lewis Pugh seit einiger Zeit an vorderster Stelle beteiligt ist. Eine Mission, die genau das mit sich bringt, wofür Lewis Pugh seit Jahr und Tag steht, für die er wieder und wieder in eiskalte Gewässer steigt und sein Leben aufs Spiel setzt.

Das letzte intakte Meeresökosystem der Erde

Denn seit 2012 bemüht sich die Mehrheit der 25 Mitglieder der „Kommission zur Erhaltung der lebenden Meeresschätze der Antarktis“ (kurz: CCAMLR), eine 1,5 Millionen Quadratkilometer große Fläche im antarktischen Rossmeer – laut Biologen das letzte intakte Meeresökosystem der Erde – in ein maritimes Schutzgebiet zu verwandeln. Zwei Staaten jedoch, Russland und China, sperren sich gegen das Abkommen. Es geht um den Riesen-Antarktis-Dorsch, der von beiden Staaten im Rossmeer mit Industrieflotten befischt wird, ferner auch um den Fortbestand der Wale in dieser Region, die mit den Fischfangflotten konkurrieren.

„Dass die USA einer der Initiatoren des Abkommens waren, hat die Sache nicht einfacher gemacht“, blickt Lewis Pugh zurück auf die Verhandlungen, bei denen er eine Schlüsselrolle einnahm. Seine Aufgabe war es, die Verhandlungen mit Russland zu einem gütlichen Ende zu führen, während parallel US-Außenminister John Kerry als Verhandlungsführer in China agierte.

Lewis Pugh begibt sich also nach Russland, ausgestattet mit dem Rat eines weiteren Freundes, mit dem des südafrikanischen Bischofs und Friedensnobelpreisträgers Desmond Tutu: „Wir mussten nach dem Ende der Apartheid lernen, uns gegenseitig zuzuhören“, gibt der ehemalige Vorsitzende der südafrikanischen Wahrheits- und Versöhnungskommission dem Extremschwimmer mit auf den Weg. Zuhören statt dem Verhandlungspartner mit ausgestrecktem Zeigefinger begegnen.

Lewis Pugh beherzigt den Ratschlag seines Freundes und tourt zunächst als Interviewpartner durch russische TV-Studios. Schließlich erreicht ihn in seinem Moskauer Hotel ein Anruf. Eine Botschaft wie aus einem Agententhriller: Ein dunkler Wagen warte vor dem Hotel auf ihn. Lewis Pugh steigt in den Wagen, der ihn in ein leeres Eishockeystadion bringt. Es ist der private Eishockeyclub, in dem Staatspräsident Wladimir Putin regelmäßig seinen innersten Machtzirkel versammelt, um nach dem Training beim Lunch in vertrauter Atmosphäre bedeutende politische Entwicklungen zu diskutieren.

Banges Warten nach den Verhandlungen

„Alles, wirklich alles basiert in diesem Kreis auf persönlichem Vertrauen“, stellt Lewis Pugh in den Minuten fest, in denen er den mächtigsten Männern Russlands erklärt, warum die Unterschrift ihres Landes unter dem Rossmeer-Abkommen eine solch enorme Bedeutung für den Fortbestand der natürlichen Lebensräume und für den Schutz der Artenvielfalt im sensiblen Ökosystem Antarktis hat.

„Nach diesen Gesprächen bin ich in den Stand-by-Modus gefallen“, blickt Lewis Pugh zurück auf das bange Warten und die Anspannung nach den Verhandlungen. „Ich habe noch nie solche Momente gehabt wie in den Minuten, in denen mir klar wurde, dass alle 24 Staaten und die EU kurz vor der Unterschrift unter dem Rossmeer-Abkommen stehen“, bekennt der Umweltaktivist, als endlich klar ist, dass sich alle Beteiligten auf einen gemeinsamen Plan zum Schutz des Rossmeeres haben einigen können. Ab Ende 2017 gilt das Rossmeer-Abkommen für die kommenden 35 Jahre. Die kommerzielle Fischerei auf einer Fläche viermal so groß wie die der Bundesrepublik Deutschland wird nahezu vollständig untersagt.

Ein Meilenstein im Bestreben, natürliche Lebensräume der Tierwelt in der Antarktis und im Südlichen Ozean langfristig zu schützen. Doch Lewis Pugh will mehr: „Jetzt muss es darum gehen, bis 2020 weitere große Meeresflächen im antarktischen Raum unter Schutz zu stellen“, denkt der Aktivist schon einen Schritt weiter – und blickt voraus auf die Verhandlungen, die auch mit der deutschen Bundesregierung geführt werden. Dann geht es unter anderem um den Schutz des Weddell-Meeres, des größten der 14 der Antarktis vorgelagerten Randmeere im Südlichen Ozean.

Lewis Pugh wird sich auch bei dieser Schutzmaßnahme an vorderster Stelle mit einbringen. Als Diplomat, wie bereits beim Rossmeer-Abkommen, oder aber mit weiteren spektakulären Schwimmaktionen und seiner Mission, Aufmerksamkeit zu erregen für die Gefahren des Klimawandels und für den Schutz der Polarregionen.

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