Fotoband "The Living and the Dead" Totentänze mit der Kamera von Anton Corbijn

Seine Schwarz-Weiß-Fotografien haben den Rockstars eine ganz besondere Aura gegeben. Nun ist der eindrucksvoller Fotoband "The Living and the Dead" von Anton Corbijn erschienen.

 Aus der Serie „Cemeteries“, Italien 1982. FOTO: ©ANTON CORBIJN 2018

Aus der Serie „Cemeteries“, Italien 1982. FOTO: ©ANTON CORBIJN 2018

Foto: Corbijn

Niemand mochte dieses Foto: vier Musiker im Eingang zur Londoner U-Bahnstation Lancaster Gate, nur einer dreht sich zum Betrachter um. Doch als Ian Curtis, Leadsänger von Joy Division, einige Monate später Selbstmord beging, wurde Anton Corbijns Bild symbolschwer aufgeladen: Orpheus' letzter Blick an der Schwelle zur Unterwelt, die ihn verschlingen wird. Für den niederländischen Fotografen war dieser Schnappschuss von 1979 die Eintrittskarte in die Musikwelt.

Später bekam er sie alle vor seine Hasselblad: Annie Lennox, verfroren auf einer Parkbank, Marianne Faithful in Unterwäsche, Bono im Gangsterlook, Frank Sinatra als einsamer Trinker in Edward Hoppers „Nighthawks“-Stil oder Dave Gahan, der wie ein Zuhälter an einer Stripbar-Reklame auf St. Pauli lehnt. Auch Startenor Luciano Pavarotti ließ sich ablichten und gleicht dabei dem irren Jack Nicholson in „Shining“.

Grobkörniges Schwarzweiß und radikale, oft fast brutale Nahaufnahmen wurden Corbijns Markenzeichen. Sie prägen auch den Bildband „The Living and the Dead“, der die gleichnamige Retrospektive im Hamburger Bucerius Kunst Forum begleitet. Zwar machen dort die Promi-Porträts einen Großteil der Exponate aus, doch Corbijn variierte seine Methode stets. Sein Grönemeyer-Bild, in dem nur Mund, Nase, Stirn und Haare aus dem vorherrschenden Schatten hell herausgemeißelt werden, erscheint beinahe altmeisterlich gegenüber dem radical chic seiner sonstigen Musikerdarstellungen.

Balance zwischen Authentizität und Image

Besonders apart wirken seine „33 Still Lives“, leicht blaustichig in der Manier hastiger Paparazzifotos inszeniert. John Lee Hooker winkt aus der abfahrenden Limousine, Kylie Minogue fühlt sich offenbar beim Telefonieren in durchsichtigen Dessous unbeobachtet, während Joni Mitchell fasziniert den Möwen am Strand von Santa Monica nachschaut. Hier wie bei vielen anderen Werken hält Corbijn bei aller Nähe zur Musikindustrie – er drehte Videos für The Killers, Arcade Fire oder Depeche Mode – eigenwillige Balance zwischen Authentizität und Image.

Der Künstler wurde 1955 in Strijen geboren und war als Pastorensohn früh mit den Fragen von Leben und Tod konfrontiert. Die beiden interessantesten Serien von Ausstellung wie Buch kreisen denn auch um diese Themen. 2001 kehrte der inzwischen weltbekannte Lichtbildner in sein holländisches Heimatdorf zurück und porträtierte sich selbst im Look früh gestorbener Rockstars: Janis Joplin, Jimi Hendrix, Freddie Mercury oder Sid Vicious. In dieser Schar darf Ian Curtis nicht fehlen. Ihn verewigte Corbijn noch dazu in seinem Film „Control“, für dessen Finanzierung er sein Londoner Haus verpfändete – und verlor. Die Toten haben ihm in seiner Karriere also nicht nur Glück gebracht.

Doch sie ziehen sich als Leitmotive durch diesen Bildband. Wie Menetekel schieben sie sich zwischen die Stars, die steinernen Gestalten seiner zuvor unveröffentlichten Serie „Cemeteries“. Schon 1982/83 fand er diese zum Teil ruinösen Grabmonumente auf Friedhöfen in Frankreich, Österreich und Italien. Und vielleicht hat er nie ein schöneres, dunkleres und anrührenderes Foto gemacht als das vom Tod, der eine junge Schöne in ihrem letzten Tanz hält.

Anton Corbijn: The Living and the Dead. Schirmer/Mosel, 220 S., 119 Bildtafeln, 48 Euro. Die Ausstellung im Hamburger Bucerius Kunst Forum läuft noch bis 6. Januar 2019.

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