Nachruf auf George Michael Stil und Substanz

Bonn · Der britische Popsänger George Michael ist an Weihnachten gestorben. Zum Tod des Sängers und Komponisten blickt GA-Kulturchef Dietmar Kanthak zurück auf ein Leben mit Triumphen und Tragödien.

George Michael war mehr als Wham!, mehr als "Wake Me Up Before You Go Go", "Careless Whisper" und "Last Christmas". Der englische Sänger und Komponist belieferte zuerst mit seiner Band Wham!, danach als Solokünstler Diskotheken und Clubs mit unwiderstehlichen, endlos tanzbaren Songs.

Auch visuell setzte er Maßstäbe. Im Video zu "Freedom" traten die Supermodels der Neunziger Christy Turlington, Cindy Crawford, Linda Evangelista und Naomi Campbell auf.

Michael schuf aber auch Stücke von unübertroffener Eleganz und Balladen, die klangen wie kostbare Elegien. Er hat es mit den Jahren immer besser verstanden, Stil mit Substanz zu vereinen. Wie kaum ein anderer Sänger konnte seine seelenvolle Stimme Gefühle von Zerbrechlichkeit und Desorientierung ausdrücken. Immer spielten in seinen Liedern Verlust, Vergänglichkeit und Tod tragende Rollen.

Michael, der am ersten Weihnachtstag im Alter von 53 Jahren gestorben ist, war auf vielen Bühnen zu Hause. Man konnte ihn sich in einem intimen Jazzclub ebenso vorstellen wie in einer New Yorker Kirche mit Gospelchor, ihm war es aber auch gegeben, Zehntausende zu begeistern. Seine Interpretation des Queen-Songs "Somebody To Love" beim Gedenkkonzert für Freddie Mercury 1992 im Londoner Wembley-Stadion war der Triumph eines geborenen Entertainers. 72.000 begeisterte Zuhörer sangen mit.

Als Kind wusste Michael, 1963 als Georgios Kyriakos Panagiotou in London geboren, eines ganz sicher: Er wollte berühmt werden, ein Star. Wenn die Götter uns strafen wollen, erhören sie unsere Gebete. Michael erreichte 1987 mit dem legendären Album "Faith" einen der vielen Höhepunkte seiner Karriere. "Faith" verkaufte sich 20 Millionen Mal weltweit, George Michael war 24. Danach blieb er berühmt, ein Weltstar. Aber sein Glücksgefühl hielt nicht Schritt mit dem Ruhm. Zahllos waren die Berichte über Abstürze, Drogen, Probleme mit der Justiz.

2013 hatte er das "half century" geschafft: Er wurde 50. Danach hatte es eine Zeit lang gar nicht ausgesehen. Ende 2011 wurde George Michael aufgrund einer Lungenentzündung in ein Wiener Krankenhaus eingeliefert; die Sache war lebensbedrohlich, es dauerte lange, bis der Sänger wieder bei Gesundheit war. Eingerahmt war die Krankheit von der "Symphonica"-Tour, auf der Michael eigene Songs und Stücke von Kollegen wie Elton John und Rufus Wainwright mit Sinfonieorchester interpretierte. "Symphonica" ließ den Zuhörer an vergangenen Triumphen teilhaben: mit Stücken wie "A Different Corner" und "Praying For Time". Bekannte Songs von George Michael

Michael war einer der Chefmelancholiker des Pop. Seine Lieder muten an wie edle Schmuckstücke, die im Kern stets vom Zerfall bedroht erscheinen. In samtigem Moll kann Michael die große Liebe besingen und gleichzeitig eine Ahnung von ihrem Scheitern vermitteln. 1996 brachte er ein Album mit einem programmatischen Titel heraus. "Older" verband Pop auf der Höhe der Zeit mit ungewohnt ernsten Tönen. Michael, damals 32, hatte nach dem Tod eines engen Freundes das Pathos der letzten Dinge für sich entdeckt.

Danach kam, abgesehen von einem Versuch mit Swingklassikern, nicht mehr viel. Doch 2004, acht Jahre "older", kehrte Michael mit dem Album "Patience" zurück. Und die Rückkehr - bei den leidgeprüften Fans bedankte er sich für ihre Geduld - war glanzvoll.

Dabei hatte Michael nicht nach den Sternen gegriffen, hatte gleichsam "Older" 2004 geschaffen, ebenso perfekt und traumsicher produziert, nur eben im zeitgemäßen musikalischen Outfit. Doch das glamouröse Äußere sollte nicht über die psychischen Verletzungen hinwegtäuschen, von denen Michaels Stücke handelten. Da berichtete ein Mann davon, wie er ganz unten war und schon gar nicht mehr zu hoffen wagte, dass die Liebe ihm noch einmal begegnen könnte; sie erschien in Gestalt eines Texaners. So besaß "Patience" Züge einer Konfession: das öffentliche Bekenntnis eines Popromantikers. George Michael ist tot

George Michael war der Sohn einer Britin und eines griechisch-zypriotischen Vaters. Seine Karriere startete er mit seinem Schulfreund Andrew Ridgeley. Sie gründeten das Duo Wham!, das 1985 als erste westliche Band in der Volksrepublik China auftrat.

In den 90er Jahren erlebte Michael niederschmetternde Schicksalsschläge. Der Tod der Mutter und der Tod eines Lebensgefährten stürzten ihn in tiefe Krisen. Michael wurde depressiv und konsumierte Drogen.

Er haderte auch lange damit, seine Homosexualität zu verstecken. Nach einer Festnahme in den USA kam es jedoch 1998 endgültig zum Outing. Michael war in einer öffentlichen Toilette in einem Park in Beverly Hills festgenommen worden. Zivilfahnder erlebten ihn dort bei einem - wörtlich - "unanständigen Akt".

Am Sonntagabend erreichte die Nachricht von Michaels Tod die Öffentlichkeit. "Mit großer Trauer bestätigen wir, dass unser geliebter Sohn, Bruder und Freund George während der Weihnachtstage zu Hause friedlich entschlafen ist", teilte Michaels Sprecher mit. Die Polizei war am Sonntagnachmittag in ein Anwesen im Ort Goring-on-Thames in Oxfordshire, etwa 90 Kilometer von London entfernt, gerufen worden. Sie sah keine Hinweise auf Fremdverschulden. Nach Informationen britischer Medien soll Michaels Manager Michael Lippman von Herzversagen gesprochen haben. Die Leiche des Sängers soll obduziert werden.

Musikerkollegen äußerten sich in sozialen Netzwerken. Elton John schrieb auf Instagram: "Ich habe einen geliebten Freund verloren - den nettesten, großzügigsten und einen brillanten Künstler." Madonna ließ die Welt wissen: "Lebewohl mein Freund. Wieder ist ein großer Künstler von uns gegangen. Kann sich das Jahr 2016 jetzt nicht verpissen?"

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