Blutiges Adrenalin Premiere: "Hool" im Kölner Schauspiel

Köln · Schauspiel in Köln: Nuran David Calis macht aus dem Roman „Hool“ packendes Theater. Das ergibt 90 spannende Minuten. Das Stück bietet weitaus mehr als nur "blutiges Adrenalin".

Sie brillieren in „Hool“: Daron Yates (von links), Justus Maier und Simon Kirsch. FOTO: DAVID BALTZER

Sie brillieren in „Hool“: Daron Yates (von links), Justus Maier und Simon Kirsch. FOTO: DAVID BALTZER

Foto: David Baltzer

Von Fangesängen und Bockwurst im Stadion halten sie wenig, denn die Hooligans von Hannover 96 haben Termine. Zum Beispiel mit den Kölnern auf einer abgelegenen Lichtung. Also Zahnschutz anwärmen, „gerade machen, Männer!“ – und los. Wenn dann zwei rasende Wände aus Fleisch und Muskeln aufeinanderkrachen, wenn Nasen brechen und Blut spritzt, dann fühlen sich die Schläger lebendig. Nur dann.

Philipp Winkler beschwört diese brutale Gegenwelt in seinem Roman „Hool“, der es 2016 als Schmuddelkind auf die Shortlist zum Deutschen Buchpreis schaffte. Nuran David Calis hat das Buch nun fürs Schauspiel Köln dramatisiert und die Uraufführung im Depot 2 inszeniert. Statt die knochensplitternde Drastik der Prügeleien nachzuspielen, spiegelt er die Härte in zotiger Sprache, intensiver Mimik und manchmal infernalischer Geräuschkulisse.

Sein dramaturgischer Geniestreich: Er lässt den armseligen „Helden“ Heiko von drei Schauspielern verkörpern: Dem feingliedrigen Justus Maier glaubt man am ehesten den zweimal durchs Abitur gerasselten Versager, der schon den ersten Knacks bekam, als die Mutter den Säufervater und eben auch ihn sitzen ließ: „Mach's gut Heikolein. Hab' dich lieb.“

Simon Kirsch wirkt robuster, auch im hartnäckigen Ringen um die geliebte Yvonne, die er freilich nicht von der Heroinnadel losbekommt. Und dem muskelbepackte Daron Yates ist die nötige Nahkampfhärte auch dann zuzutrauen, wenn die Erzfeinde von Eintracht Braunschweig zuschlagen. Drei Seiten eines Zerrissenen.

Schon Winkler lässt Heikos Schlüsselszenen gegen jede Chronologie getreu einer inneren Albtraumlogik ineinanderfließen. Calis steigert diese formale Finesse noch, wenn sein Mimentrio auch die Randfiguren spielt: Heikos Kampfgefährten Kai und Jojo, seinen Muckibuden-Onkel Axel, die sabbernde Hooliganlegende Dirk, aber eben auch Vater Hans und – meist schemenhaft im Hintergrund – die Frauen, die in dieser verschwitzten Männerwelt Schattenwesen bleiben.

Also Verfremdung statt Milieutreue. Zwar steht auf Anne Ehrlichs Bühne rechts der Ring aus „Wotans Boxing Gym“, links aber sieht man eine Baracke, die Wohn- oder Schlafzimmer sein kann, und in der Yvonne nur als schlanke Schaufensterpuppe anwesend ist. Wenn dazu noch zwei Kameras das Geschehen an den Hallenwänden verdoppeln und verdichten, könnte dies fast zu viel der Regietheatervirtuosität sein.

Doch Calis und seine hervorragenden Schauspieler verzetteln sich nicht in Kunstgewerbe, sondern legen gerade in der Stilisierung die Sehnen und Nerven der Vorlage bloß.

So spürt man Heikos Trostlosigkeit, aus der ihn nur die Hooliganrituale herausziehen. Bis dem Adrenalinkick zwangsläufig der Kater folgt.

In der stärksten Szene des Stücks wird Kai so übel zugerichtet, dass das Wort Blutsbruder makabre Buchstäblichkeit bekommt. Ganz bedächtig schmiert sich Daron Yates dafür rote Schlieren auf den Leib, und in der Beschreibung der Wunden ahnt man, wie unendlich langsam all dies heilt, was da im Rausch kaputt geschlagen wurde.

Dieses Ereignis ist ein Wendepunkt. Für Kai, für Jojo – nur nicht für Heiko, der weit und breit nichts sieht, wofür es sich lohnte, den Teufelskreis der Gewalt zu verlassen. Eigentlich eine Sackgasse von bleigrauer Tristesse, die an diesem gefeierten Theaterabends allerdings erstaunliche Leuchtkraft gewinnt.

90 Minuten ohne Pause. Nächste Termine am 21. und 29. Dezember sowie am 3., 9., 16. und 19. Januar, jeweils 20 Uhr. Karten gibt es in den Bonnticket-Shops der GA-Zweigstellen.

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