Ehrung in der Paulskirche Margaret Atwood nimmt Friedenspreis entgegen

Frankfurt/Main · Das Werk Margaret Atwoods ist von Grimms Märchen beeinflusst. Die Weltsicht ist pessimistisch - mit nur wenig Hoffnung. Auch in Frankfurt setzt die Friedenspreisträgerin aufs Geschichtenerzählen.

 Die kanadische Schriftstellerin Margaret Atwood hält in der Frankfurter Paulskirche ihre Dankesrede.

Die kanadische Schriftstellerin Margaret Atwood hält in der Frankfurter Paulskirche ihre Dankesrede.

Foto: Arne Dedert

Mehr als drei Jahrzehnte ist es her, dass Margaret Atwood den "Report der Magd" geschrieben hat. Auf dem Buchcover der amerikanischen Ausgabe sind zwei rotgewandete Mägde abgebildet, die mit dem Korb über dem Arm an Rotkäppchen erinnern.

Wie im Märchen ist es eine düstere Geschichte. Die Frauen werden im Namen eines totalitären Regimes versklavt und zu Gebärmaschinen gemacht. In den USA ist im Roman eine christlich-fundamentalistische Sekte an die Macht gekommen.

Ein Buch, das nach der Amtsübernahme von Donald Trump derzeit in den USA eine Art Renaissance erlebt. Die auf dem Roman basierende TV-Serie "The Handmaid’s Tale - Der Report der Magd" (Hulu) hat vor wenigen Wochen gleich mehrere Emmys in Los Angeles eingeheimst.

"Es ist nur allzuwahr geworden", sagt die kanadische Schriftstellerin am Sonntag bei der Entgegennahme des renommierten Friedenspreises des Deutschen Buchhandels zu ihrer gruseligen Dystopie. Sie verweist auf die Parlamente in einzelnen US-Bundesstaaten, die die Uhren ins 19. Jahrhundert zurückdrehen wollten, "um Frauen zu kontrollieren".

"Wir wissen nicht mehr genau, wo wir sind", sagt die 77-jährige Atwood, eine scharfe Kritikerin Trumps und der US-Republikaner, in ihrer Dankesrede in der Paulskirche. "Wir wissen auch nicht mehr genau, wer wir sind." Der bisher vermeintliche so sichere Boden schwinde, da Rechtspopulisten Werte wie Freiheit und Demokratie sogar plötzlich auch in Ländern wie den USA und Großbritannien bedrohten.

Auch in Deutschland sei spätestens bei den jüngsten Wahlen "eine verbotene Kammer" wieder geöffnet worden, wie sie sagt.

Die große alte Dame der nordamerikanischen Literatur vertraut auf die Kraft der Poesie, um den 1000 Zuhörern in der Paulskirche den Ernst der Lage deutlich zu machen. Sie erzählt die Fabel vom Wolf im Schafspelz "oder gar dem Wolf im Wolfspelz", der den Kaninchen eine bessere Welt verspreche, unter der Bedingung, dass sie die Zivilgesellschaft abschafften. Erst viel zu spät bemerkten dann die Kaninchen, dass der Wolf alles nur zum eigenen Vorteil einfädelte.

Es ist die alte Geschichte, wie auch Atwood weiß. Früher haben die Menschen unter dem Einfluss der "Wölfe" vermeintliche Hexen oder Leprakranke für die Pest verantwortlich gemacht. Heute gibt es für Atwood andere Herausforderungen wie etwa Klimawandel, die immer größere soziale Ungleichheit in der Welt oder Umweltkatastrophen.

Wie der Mensch mit all seinen Widersprüchlichkeiten damit umgeht, das ist das eigentliche Thema der vielseitigen Kanadierin, die eine Vielzahl von Zukunftsromanen und Essays geschrieben hat. Zu Ihrem Werk gehören aber auch Lyrik, Kinder- und Drehbücher oder Theaterstücke.

Atwood zeige, "wie Literatur sein muss, um auch eine politische Wirkung zu entfalten", sagt die Schriftstellerin Eva Menasse in ihrer klugen Laudatio auf die Preisträgerin. Der Börsenverein des Deutschen Buchhandels hat Atwood für "Humanität, Gerechtigkeitsstreben und Toleranz" in ihrem umfangreichen Schaffen geehrt. Sie habe immer wieder politisches Gespür und Hellhörigkeit für gefährliche unterschwellige Entwicklungen und Strömungen gezeigt.

Atwoods Sicht auf die Welt ist düster. Die Zivilisation scheint bei ihr fast unausweichlich dem Untergang geweiht. Doch da gibt es für die Schriftstellerin glücklicherweise noch das "einzigartige Werkzeug" des Erzählens. Der Mensch habe die Möglichkeit, wichtiges Wissen weiterzugeben, damit man nicht immer erst alles durch Ausprobieren selbst herausfinden müsse.

"Geschichten können das Denken und Fühlen der Menschen verändern", versichert die Erzählerin. Zum Besseren - aber auch zum Schlechteren. Der Autor, der Mensch überhaupt, hat es also in der Hand. Ähnlich, wie bei den Brüdern Grimm das Rotkäppchen am Schluss vom Jäger aus dem Bauch des Wolfs befreit werde, könne auch der Mensch an sich ein positives Ende finden. "Wölfe" dagegen kommunizierten zwar auch, erzählten aber nicht wahrhaftig, etwa die Geschichte vom Rotkäppchen.

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