60 Jahre Radarfallen in Deutschland Kühle Technik und große Emotionen

Seit 60 Jahren wird in Deutschland geblitzt: Am 21. Januar 1957 gingen der Polizei zwischen Düsseldorf und Ratingen die ersten Temposünder ins Netz. So sinnvoll das erste Gerät von Telefunken auch war, so zweifelhaft muten manche Radarkontrollen der Gegenwart an.

 Hamburg, 1958: Die frisch eingeführten Radarfallen waren damals noch recht voluminöse Geräte.

Hamburg, 1958: Die frisch eingeführten Radarfallen waren damals noch recht voluminöse Geräte.

Foto: picture alliance / dpa

Es gibt wohl kaum eine Einrichtung, die kühle, präzise Technik und emotionale Ausnahmezustände derart unmittelbar miteinander verknüpft wie die „Radarfalle“. Seit in Deutschland am 21. Januar 1957 der erste mobile „Blitzer“ zum Einsatz kam, sind seinen Artgenossen und den mittlerweile rund 4300 fest installierten Nachfahren Millionen Menschen in die Falle gegangen – oder zum Opfer gefallen, da kommt es ganz auf die Perspektive an. Letztere ist – wenig überraschend – so alt wie die Kontrollmethode selbst.

Zwar zeigte sich die „Rheinische Post“ nach den ersten Messungen mit dem von Telefunken konstruierten VRG 2 zwischen Düsseldorf und Ratingen voller Begeisterung für die Technik: „Unabhängig von den Beleuchtungsverhältnissen werden Wagen, Kennzeichen, Geschwindigkeitsanzeige und Verkehrssituation unter Ausschaltung aller menschlichen Fehlerquellen festgehalten.“

Doch der „Spiegel“ schrieb wenig später schon: „Die Rolle der Wegelagerer und Raubritter vergangener Zeiten als Bürgerschreck auf deutschen Straßen wird heute von der Polizei wahrgenommen. So wie einst Gesetzesbrecher, so liegen nun Gesetzeshüter, von Busch und Strauch getarnt, im Hinterhalt auf Lauer, um eilig passierenden Steuerzahlern, die in die Falle tappen, Geld abzunehmen.“ Da das von weitem erkennbare, anfangs klobige Telefunken-Gerät nur Heckfotos der Temposünder machen konnte, trug der Artikel die Überschrift „Heimlich von hinten“.

Auch wenn sich die Behörden große Mühe geben, ihre (Achtung, weiteres Synonym) „Starenkästen“ einigermaßen unauffällig zu platzieren, haben die Geräte natürlich längst alles Heimliche verloren: Radiosender, Navigationsgeräte und Apps halten die zu sportlichem Fahren neigenden Verkehrsteilnehmer in Echtzeit auf dem laufenden über alle festen und mobilen Standorte.

Ziel Verkehrssicherheit: 1955 gab es 15.000 Tote auf deutschen Straßen

Rückblende: Als das erste zur Serienreife entwickelte Verkehrsradargerät (VRG) 1956 auf der Polizeimesse in Essen vorgestellt wurde, war es gewissermaßen höchste, nun ja, Eisenbahn. Die Sicherheit der zunehmend autofahrenden Bevölkerung stand bei der Konstruktion von Volkswagen Käfer oder Opel Kapitän (mit für damalige Verhältnisse kraftstrotzenden 90 PS) eher nicht im Vordergrund. Der Mercedes 220 brachte es mit mehr als 100 PS sogar auf rund 160 Stundenkilometer.

Die Folgen von immer schnelleren Fahrzeugen und volleren Straßen wurden bereits statistisch erfasst: 15.000 Verkehrstote wurden 1955 beklagt – bei knapp zwei Millionen Pkw auf den Straßen. Zum Vergleich: 60 Jahre später, 2015, betrug die Zahl der tödlich Verunglückten 3459 – bei rund 45 Millionen angemeldeten Pkw.

Der Wunsch nach mehr Verkehrssicherheit war die Triebfeder der ersten Radarkontrollen. Vor allem, wenn man betrachtet, mit welch simplen, ja ungeeigneten Mitteln Geschwindigkeitsmessungen zuvor abgelaufen waren: Polizisten versuchten etwa, die Geschwindigkeit eines Fahrzeugs durch Zeitnahme per Stoppuhr zu ermitteln oder verfolgten mutmaßliche Raser ohne vorangegangene Messung einfach per Streifenwagen, um die Geschwindigkeit am eigenen Tacho abzulesen.

Was den Hass vieler Autofahrer seit dieser Zeit nach sich zieht, ist eine Entdeckung, die Polizei und Kommunen schnell machten: Mit Radarfallen lässt sich auch Geld verdienen. Der Verdacht der Abzocke steht oft im Raum. Insbesondere im Umfeld des sogenannten Blitzmarathons, erstmals im Februar 2012 in Nordrhein-Westfalen und zuletzt bundesweit durchgeführt, fühlen sich viele Fahrer als unbelehrbare Raser verunglimpft, auch wenn sie nur wenige Stundenkilometer zu schnell waren.

Die Maßnahme, bei der die Polizei einen Tag lang medienwirksam Schwerpunktkontrollen durchführt, stößt auf große Kritik: „Mit solch einer Aktion erzeugt man keine Einsicht, sondern Gehorsam, der schnell wieder weg ist“, beklagt etwa der Duisburger Verkehrswissenschaftler Michael Schreckenberg. Der Verkehrspsychologe Karl-Friedrich Voss hält die derzeitige Praxis der Geschwindigkeitsüberwachung generell für ineffizient: „Radarkontrollen führen, so wie sie aktuell durchgeführt werden, nicht zu einer Verminderung des Unfallrisikos“, sagt Voss.

Der Grund: Die mit Abstand größte Risikogruppe aller Verkehrsteilnehmer, die der 18- bis 20-Jährigen, verursacht zwar die meisten Unfälle. Am häufigsten zur Kasse gebeten werden aber die Fahrer zwischen 25 und 44 Jahren – und damit die Gruppe, die die wenigsten Unfälle produziert. Jüngere Leute seien vor allem nachts und an Wochenenden mit dem Auto unterwegs, sagt Verkehrsexperte Voss. Dementsprechend müsste zu diesen Zeiten mehr überwacht werden.

Bielefelds Blitzer an der A 2 brachte der Stadt inzwischen rund 40 Millionen Euro ein

Die Probleme der anderen, mag man in Bielefeld denken. Dort braucht es gar keinen eigens ins Leben gerufenen Blitzmarathon. Die gern scherzhaft verleumdete Stadt führt ihn auf der A 2 gleich täglich durch und beweist mit jährlich rund 110 000 Knöllchen auch den letzten Zweiflern, dass es die Stadt tatsächlich gibt – per postalischer Überweisungsaufforderung. Schließlich gilt am Bielefelder Berg Tempo 100 – wer zu schnell ist, muss blechen, dank (oder trotz?) Deutschlands bekanntestem Blitzer.

Geschätzte 40 Millionen Euro hat dieser der Stadt seit seiner Installation 2008 eingebracht. Das konnte auch ein Gütersloher nicht ändern, der per Gutachten behauptet hatte, er und alle anderen könnten das Gaspedal an dieser Stelle gefahrfrei ein wenig weiter durchdrücken. Seine Klage gegen die stationären Radarfallen wurde im vergangenen November abgewiesen.

Dem Kläger sei der Blick ins nahe Ausland empfohlen: In den Niederlanden zahlt, wer außerorts 30 Stundenkilometern zu schnell ist, 172 Euro. Wer in Frankreich mehr als 50 Stundenkilometer zu viel hat, egal wo, muss mit einer Strafe bis zu 1500 Euro rechnen. Und in der Schweiz gilt Rasen (ab 50 Stundenkilometer zu viel) sogar als Straftat. Das Auto kann beschlagnahmt werden, dem Besitzer drohen Freiheitsstrafe plus Bußgeld. Also: Nehmen Sie es gelassen, auch den Blitzmarathon, und gönnen Sie an diesem Tag dem NRW-Innenminister, auch mal mit einer Erfolgsmeldung in die Zeitung zu kommen.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Anna Pieri Zuercher (r) und Carol
In Sachen Affenmord
GA-Krimikritik: Der Tatort aus ZürichIn Sachen Affenmord
Aus dem Ressort