Konzert beim Kunstrasen in Bonn Interview mit Max Giesinger

BONN · Max Giesinger eröffnet im Sommer die Festival-Saison auf dem KunstRasen. Im GA-Interview spricht er über die Zeit vor dem großen Erfolg, über einsame Tage in Thailand und ein Leben in geordneten Bahnen.

Man könnte also meinen, der Sänger sei reif für eine Pause, doch mitnichten. Max Giesinger macht auf seinem dritten Album „Die Reise“ mit Volldampf weiter. Es ist ein vielseitiges Werk, auf dem Giesinger musikalisch überrascht und in den Texten persönlicher wird als bisher. Nach einer ausgedehnten Hallentour startet Giesinger im Mai eine lange Festivalrundreise. Am 27. Juni eröffnet er in Bonn die Saison auf dem KunstRasen. Mit dem Sänger sprach Steffen Rüth.

GA: Max, kann es sein, dass Ihre Stimme auf dem neuen Album rauer und männlicher klingt?

Max Giesinger: Und ob das sein kann! Ich habe so unglaublich viel gesungen in letzter Zeit. Das ist nicht spurlos an meiner Stimme vorbei gegangen.

GA: Überhaupt macht „Die Reise“ einen etwas weniger glatten Eindruck als „Der Junge, der rennt“. Wie kommt’s?

Giesinger: Ich wollte mich nicht wiederholen. Ich finde im Nachhinein, dass dem letzten Album ein paar Ecken und Kanten mehr ganz gutgetan hätten. Also habe ich auf „Die Reise“ versucht, nicht den ganz sicheren Weg zu gehen. Ich singe verstärkt über Themen, die mich selbst betreffen. In „Australien“ erzähle ich über meine Reise, die ich vor über zehn Jahren gemacht habe.

GA: Was war besonders daran?

Giesinger: Die Unbeschwertheit. Wir sind im Camper durch die Einöde gefahren und hatten so wenig Kohle, dass ich morgens einen Apfel aß und mir mittags ein Sandwich kaufte, das für den restlichen Tag reichen musste.

GA: Im Song „Wir waren hier“ lassen Sie Ihren Werdegang Revue passieren. Erinnern Sie sich gern an die Fußgängerzonen?

Giesinger: Ich bin damals gern nach Baden-Baden gefahren und habe mich mit der Gitarre in die Fußgängerzone gestellt. Das war ertragreich, denn dort wohnen eine Menge reicher Leute.

GA: Und dann ging es ins Kasino?

Giesinger: Nein, ich bin kein Zockertyp, eher ein Sparfuchs. Mein Auto habe ich meinem Bruder geschenkt, weil ich in Hamburg keines brauche. Ich fahre lieber Bahn als Taxi. Taxi finde ich zu teuer. Materielle Güter machen mich nicht wirklich glücklich.

GA: Was macht Sie glücklich?

Giesinger: Wenn backstage in der Halle, in der wir auftreten, eine Tischtennisplatte steht.

GA: Haben sich die Auftritte in der Fußgängerzone rentiert?

Giesinger: Manche Passanten haben mich direkt als Hochzeitssänger engagiert. Dann kam „The Voice“, ich nahm mein erstes Album per Crowdfunding auf, immer hungrig nach dem Erfolg, der sich lange nicht einstellen wollte, und auf der Suche nach Anerkennung. Und plötzlich erfüllt sich vor zwei Jahren mein Lebenstraum.

GA: Denken Sie jetzt: „Ich habe es geschafft“?

Giesinger: Das ist eine zweischneidige Angelegenheit. Wenn du dir jahrelang den Arsch abarbeitest, damit in der Karriere endlich mal was abgeht, dann bist du glücklich, wenn dein Song im Radio läuft, du in der U-Bahn zehn Selfies pro Fahrt machen musst und in vollen Hallen spielst.

GA: Alles im grünen Bereich also?

Giesinger: Nun, du gewöhnst dich auch schnell daran, erfolgreich zu sein. Wenn du an sieben Abenden pro Woche vor 5000 Menschen spielst, dann empfindest du das als ganz normal. Irgendwann kickt dich das nicht mehr so – und du beginnst, dich nach einer Balance zu sehnen, nach Privatleben, vielleicht mal nach einer Freundin.

GA: Das sollte sich doch machen lassen, oder?l

Giesinger: Aber dann denke ich wieder, ich bin noch weit weg davon, zur Ruhe zu kommen, irgendwo sesshaft zu werden. Letztens hatte ich das Baby von Michael Schulte im Arm, der 2018 sehr erfolgreich für Deutschland beim ESC angetreten ist.

GA: Sind Sie befreundet?

Giesinger: Michael ist ein Jahr jünger als ich, wir haben jahrelang zusammen in einer WG gelebt, doch für ihn war immer klar, dass er schnell eine Frau finden und eine Familie gründen will. Auch von den Leuten, mit denen ich zur Schule gegangen bin, haben einige schon Kinder.

GA: In „Die Reise“ und „Zuhause“ singen Sie darüber, „ankommen“ zu wollen. Andererseits ist Ihnen das Leben in geordneten Bahnen aber nicht ganz geheuer, oder?

Giesinger: So kann man es ausdrücken. Beruflich bin ich angekommen, privat noch nicht. Ich habe seit vielen Jahren dieselben Freunde, mit den Musikern aus der Band bin ich seit acht Jahren befreundet, wir haben alles zusammen erlebt und aufgebaut.

GA: Aber?

Giesinger: Das mit dem „ankommen“ ist so zwiespältig. Was ist das genau? Wird das Leben dann öde? Ist es die letzte Station, bevor du in den Sarg kletterst? Oder lebst du mit Frau, Kindern und Hund in einem Haus am See und bist immer noch der Typ, der auf der Bühne steht und sich beruflichen Herausforderungen stellt?

GA: Ihre Antwort?

Giesinger: Ich weiß es nicht. Vielleicht findet man das Ankommen in den kleinen Dingen.

GA: Welche könnten das sein?

Giesinger: Mit meinem Vater und meinem Bruder war ich auf einer Bergtour, wir sind durchs Karwendel-Tal gewandert, haben in Berghütten geschlafen, es war gigantisch entspannt.

GA: Im Frühjahr 2018 waren Sie sechs Wochen in Thailand. Wie lief das?

Giesinger: Gemischt. In Thailand wollte ich testen, ob ich noch normal bin und ob ich überhaupt noch alleine sein kann.

GA: Und?

Giesinger: Ich glaube, der Kontrast zwischen dem rasanten Leben hier und der Stille in Thailand war zu viel für mich. Das Abschalten von hundert auf null hat nicht so gut geklappt wie erhofft.

GA: Was ging denn ab?

Giesinger: Die erste Woche bin ich mit einem Kumpel gereist, das war schön. Aber die restliche Zeit war ich ganz allein unterwegs, und das ist mir schwergefallen, teilweise war ich echt einsam.

GA: Was war das Problem?

Giesinger: Ich bin einfach nicht runtergekommen, und ich war auch nicht immer in Stimmung, Leute anzusprechen. Viele meiner Begegnungen waren sehr oberflächlich. Manchmal habe ich mich richtig gefreut, wenn andere Deutsche aufgekreuzt sind und mich mit „Hey, Max Giesinger, was geht?“ begrüßten. Oft habe ich abends erst gemerkt, dass ich den ganzen Tag noch nichts gesprochen hatte.

GA: Jan Böhmermann hat Sie einst in einem Beitrag über die deutsche Musikbranche in ein sehr schlechtes Licht. Wie sind Sie damit zurechtgekommen?

Giesinger: Jan Böhmermanns Song „Menschen Leben Tanzen Welt“ und das Video fand ich sehr witzig, das ist mein Humor. Hart war nur, dass er mir praktisch abgesprochen hat, dass ich Songs schreibe und ein Künstler bin.

GA: Was genau hat Sie geärgert?

Giesinger: Er hat mich dargestellt als jemanden, der von der Plattenfirma erschaffen wurde. Das war einfach falsch, und es hat mich getroffen. Die Leute recherchieren das auch nicht nach, und gerade in etwas alternativen Kreisen werde ich jetzt ein bisschen belächelt.

GA: Haben Sie mit Böhmermann darüber gesprochen?

Giesinger: Ja, wir haben gequatscht, und er meinte auch, dass er da vielleicht ein bisschen den Falschen erwischt hatte. Deutsche Musiker reden nicht gern darüber, aber ich kenne keinen, der seine Songs nicht auch mit anderen zusammen schreibt. Das scheint ein Tabu zu sein. Aber wenn an einer Nummer von Beyoncé 16 Leute mitkomponieren, dann stört das keinen.

GA: Politische Themen kommen in Ihren Songs nicht vor. Halten Sie die Politik bewusst raus?

Giesinger: Also, wenn mir etwas extrem Cooles einfallen würde, dann würde ich das auch machen. Ich habe natürlich eine Haltung, bloß sehe ich die nicht so in meiner Musik.

GA: Wo wäre das Problem?

Giesinger: Wenn ich einen politischen Song aufnehmen würde, nur weil das gerade alle machen, dann gäbe es nur wieder einen Shitstorm. Und ehrlich: Ich würde mir ein solches Lied selbst nicht abnehmen. Kann aber sein, dass ich in einigen Jahren anders darüber denke.

GA: Was ist denn Ihre Haltung?

Giesinger: Ich finde Toleranz sehr wichtig und hasse es, wenn Menschen ausgegrenzt werden. Aber wer braucht es denn, dass ihn auch noch ein Max Giesinger mit politischen Inhalten zuballert? Es ist doch schön, auch mal nicht mit Politik behelligt zu werden.

Max Giesinger tritt am 27. Juni um 18 Uhr in Bonn-Gronau beim KunstRasen auf. Im Vorprogramm spielen Namika und die Bonner Liedermacherin Cynthia Nickschas

Karten für Max Giesinger in den GA-Geschäftsstellen, Tel. (0228) 50 20 10 und www.ga.de/tickets

Weitere Infos: www.kunstrasen-bonn.de

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