Neue CDs von Viktoria Tolstoy, Omer Klein und Diazpora Großes Kino und zarte Zwischentöne

Bonn · Ein Vorgeschmack aufs Jazzfest Bonn: Neue CDs von Viktoria Tolstoy, Omer Klein und Diazpora sowie eine Hommage an den großen Jimmy Scott.

 Cover Diazpora "Islands"

Cover Diazpora "Islands"

Foto: Diazpora

Ihr Ururgroßvater schrieb Weltliteratur, Dramen von schicksalsschwerer Tragweite. Die Ururenkelin zieht es ins Kino, wo mitunter nicht minder heftige Tragödien verhandelt werden. Viktoria Tolstoy jedoch gelingt es, diese Geschichten leicht, eingängig zu erzählen. Die Jazzsängerin, die mit ihrer wunderbaren Stimme schon tief in ihr „Swedish Heart“ und noch tiefer in ihre „Russian Soul“ blicken ließ, hat sich mit ihrem neuen Projekt ihrer dritten Leidenschaft gewidmet und ihre liebsten Kinostücke aufgenommen. Und sie ist nicht alleine ins Kino gegangen, sondern hat Spitzenkräfte mitgenommen: Den Posaunisten Nils Landgren, der maßgeblich beteiligt war, Tolstoy in Deutschland bekannt zu machen, den Pianisten Iiro Rantala und ihr hervorragendes Quartett mit Krister Jonsson, Gitarre, Matthias Svensson, Bass, und Rasmus Kihlberg, Drums.

Star von „Meet Me At The Movies“ ist natürlich Tolstoys zarte, einschmeichelnde Stimme, die Nummern wie „As Time Goes By“ aus „Casablanca“, „Calling You“ aus „Bagdad Café“ und das von Björk komponierte „New Worlds“ aus Lars von Triers „Dancer in The Dark“ eine leichte, nie aufdringliche jazzige Note verleiht. Das filigrane Spiel ihrer Musiker unterstreicht die flüchtigen Momente dieser Klassiker. Bombast sucht man hier vergebens, und doch wird eine wachsende Dramatik etwa in Annie Lennox' „Love Song For A Vampire“ aus „Bram Stocker's Dracula“ und in „Kiss for a Rose“ aus „Batman Forever“ spürbar.

Charlie Chaplins herrliche Ballade „Smile“ erinnert noch einmal nachdrücklich daran, dass die Filmerei Produkt einer Traumfabrik ist. „See you soon in a theatre near you“, schreibt Tolstoy auf dem CD-Cover, bis bald in einem Kino in der Nähe. Was nicht ganz stimmt. Denn Viktoria Tolstoy kommt zwar nach Bonn, jedoch nicht ins Filmtheater, sondern im Rahmen des Jazzfests Bonn am 18. Mai mit ihrem Quartett in den Posttower. Und im Gepäck hat sie ihre neue CD.

Viktoria Tolstoy: „Meet Me At The Movies“. (ACT music)

Wenige Tage nach Viktoria Tolstoy wird ein weiterer Topmusiker seine brandneue Produktion beim Jazzfest Bonn vorstellen: Der israelische Pianist Omer Klein kommt mit der CD „Sleepwalkers“ am 26. Maizum Konzert ins LVR-Landesmuseum. Es sei ein Album mit „drei Zentren oder drei großen Themen“, meinte Klein in einem Interview, sie kreisen um den Blick des Musikers auf die Gesellschaft, um das Mythische und das Leben der tourenden Musiker.

Zu welcher Sphäre die Nummer „Don't Be A Zombie“ zählt, ist nicht so ganz klar, „Blinky Palermo“ jedenfalls vermittelt ein quirliges, funky Lebensgefühl. Und das Titelstück „Sleepwalkers“ hat tatsächlich etwas Somnambules, Getriebenes. Kleins Musik reflektiert das pulsierende, faszinierende Leben der Metropolen. Schnelle, jäh abbrechende Pianoläufe charakterisieren diesen urbanen Herzschlag. Mit Haggai Cohen-Milo am Bass und Amir Bresler, Schlagzeug, hat Klein die richtigen Partner, um im Großstadtdschungel zu bestehen. Wunderbar, wie die drei sich die Bälle zuspielen. Ein Klaviertrio mit drei hervorragenden Solisten.

Es ist aber nicht alles quecksilbriges Getriebensein auf diesem schönen Album: „One Step At A Time“ etwa ist eine sehr zarte, den Moment auskostende Ballade. Und „Wonder and Awe“, auf der CD in zwei Versionen zu hören, versprüht einen Hauch Romantik.

Omer Klein: „Sleepwalkers“ (Warner music)

Diese Band würde man gerne einmal beim Jazzfest oder überhaupt in Bonn hören (vergangene Woche war sie in einem Kölner Club zu Gast): „Diazpora“, eine Soul- und Funkgruppierung aus Hamburg. Was diese Formation in ihrem gerade erschienenen Album „Islands“ zeigt, ist schlicht umwerfend. „Zusammen entwickelt das Hamburger Groovekollektiv seit 2002 einen schweißtreibenden Sound zwischen Funk, Soul, Jazz und Hip-Hop. Impro-Power, wilde Virtuosität und kreative Songs pflastern ihren Weg. Die raue Großstadt ist ihr Zuhause, man hört es jedem Ton, jedem Groove, jedem scharfen Bläsereinsatz an“, jubelt das Portal www.laut.de. Und hat mit jeder Zeile recht.

Gerade die Bläsersektion ist hinreißend, das Altsaxofon von Alexander „Kimo” Eiserbeck heizt ein, Jonathan Krauses Baritonsaxofon grummelt, schneidend geht die Trompete von Hans Christian Stephan dazwischen, dazu das fetzige Wah Wah von Legbos Gitarre und das Staccato von Chris Hinrichsens Orgel. Im zweiten Stück „Beast“ kommt Axel Feiges rockige Stimme dazu. Ein Riesentalent. Gerade erst stand Feige auf der Bühne des deutschen Vorentscheids zum „Eurovision Song Contest – Unser Song 2017“. Und unterlag leider. „Kinshasa Strut“ und „Nap Xtra Long“ sind wunderbare Temponummern, „Yaroslava“, zeigt, dass Diazpora auch den Blues kann. Rundum ein großes Hörvergnügen.

Diazpora: „Islands“ (Légère recordings)

Seine Stimme blieb jung, bis in seine hohen 80er hinein – eine seltene Erbkrankheit, das Kallmann-Syndrom, hatte verhindert, dass der kleinwüchsige Jimmy Scott in den Stimmbruch kam. So blieb die Stimme kindlich, doch die Erfahrungen, die der Jazzsänger bei Lionel Hampton und Charlie Parker, mit Ray Charles und Lou Reed machte, ließ sie reifen. 88-jährig ist Scott 2014 gestorben. Der Musikproduzent Ralf Kemper hat dem kleinen Mann mit der unverwechselbaren Stimme eine berührende Hommage ausgerichtet: Die gerade erschienene CD „I Go Back Home“ feiert Scott mit großartigen Kollegen im Duett und mit Swingnummern, Bossa Novas und Balladen aus dem Great American Songbook.

Man hört den Traditional „Mo-therless Child“ mit Joey DelFrancesco und dessen Hammond B 3, Scott singt mit Joe Pesci, und schwelgt mit den Kolleginnen Renee Olstaed (George Gershwins „Someone To Watch Over Me“) und Dee Dee Bridgewater („For Once In My Life“). Prominente Instrumentalisten wie der Trompeter Til Brönner, der Flügelhornist Arturo Sandoval, der Pianist Kenny Barron und Peter Erskine am Schlagzeug sind ebenfalls mit Scott auf dieser CD zu hören, die 2009 in Los Angeles und Las Vegas aufgenommen wurde. Ein würdiges Denkmal für einen großartigen Musiker.

Jimmy Scott: „I Go Back Home“ (Eden River Records)

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