Kaiser Karl IV. Gekrönt in Bonn

Vor 700 Jahren wurde Kaiser Karl IV. geboren. Seine Regentschaft, die in der Münsterbasilika begann, gilt als eine der prägendsten Phasen des Spätmittelalters und als wichtiger Brückenschlag für Europa.

 Im Bonner Münster wurde Karl IV. zum König gekrönt.Am 26. November 1346 zog ein farbenprächtiger Zug durch die Gassen zur Basilika, wo die Zeremonie stattfand.

Im Bonner Münster wurde Karl IV. zum König gekrönt.Am 26. November 1346 zog ein farbenprächtiger Zug durch die Gassen zur Basilika, wo die Zeremonie stattfand.

Foto: picture alliance / dpa

Um es gleich zu sagen: Erste Wahl war Bonn nicht. Genau genommen war die Stadt, die im vierzehnten Jahrhundert in ihren Ausmaßen nur unwesentlich über die Dimension der Römerzeit hinausgewachsen war, nicht einmal Ersatzreserve. Aber irgendwo musste ja der König gekrönt werden. Am 26. November 1346 wurde das betuliche Bonn für einen historischen Augenblick zum Mittelpunkt des Reiches – und zum Ausgangspunkt einer über drei Jahrzehnte währenden Regentschaft Karls IV., die in der Geschichtsschreibung als eine der prägendsten Phasen des Spätmittelalters bewertet wird.

Zum 670. Mal hat sich das Ereignis in der Münsterbasilika dieser Tage gejährt. Dass ein offizielles, publikumswirksames Forum diesmal ausblieb, soll hier zwar nicht überbewertet werden. Als Symptom interpretierbar bleibt es aber womöglich schon – ebenso wie der Umstand, dass auch der 700. Geburtstag Karls in diesem Jahr bemerkenswert wenig Beachtung fand. Anders übrigens in seiner Geburtsstadt Prag, wo seit Beginn des Jahres ein reichhaltiges Sonderprogramm in Museen, auf Burgen und bei Volksfesten andauert. Auch in Nürnberg läuft eine Ausstellung.

1992 hatte sich eigens Petr Pithart, Premierminister der tschechischen Republik, nach Bonn begeben, um den „bedeutendsten Kaiser des späten Mittelalters“ am Originalschauplatz der Krönung in der Münsterbasilika mit einem Blumenstrauß zu würdigen. Pithart ließ nicht unerwähnt, dass die Rezeption Karls IV. einhellig mit keinem geringeren Entwicklungsprozess assoziiert wird als dem langen, steinigen Weg zur europäischen Integration. Und die, so scheint es, bedarf anstelle euphorischer Erfolgsbilanzen derzeit eher verzweifelter Reparaturversuche.

1996 bot der 650. Jahrestag einen Anlass zur Würdigung. Was vor diesem Hintergrund im Festsaal der Universität vorgetragen wurde, stand durchaus noch unter den frischen Eindrücken der Überwindung des Eisernen Vorhangs. Anzumerken war dies beispielsweise dem Vortrag von Rektor Max Huber, der Karl IV. als Mann „von wahrlich europäischer Dimension“ einordnete.

Grüße aus der Heimat

Und nicht nur Bonner Geistesgrößen wohnten der Zeremonie bei: Herzliche Grüße aus der Heimat des als Wenzel von Böhmen aufgewachsenen Karl überbrachte Hubers Amtskollege Karel Maly, Rektor der nach ihrem Gründer benannten Prager Karls-Universität. Luxemburgs damaliger Botschafter Julien Alex fand hinter der von der Friedenskönigin Regina Pacis beschirmten Fassade die Worte: „Es mag gewagt sein, eine Brücke bis heute zu schlagen, aber die Visionen Karls nähern sich ihrer Erfüllung. Und sein tschechischer Amtskollege Jirí Gruša betonte: „Heute wie damals brauchen wir ein europäisches Konzept.“

Womöglich war es im Jahr 2016 die verzweifelte Suche nach jenem „europäischen Konzept“, die den Jahrestag auf höherer Ebene in den Hintergrund geraten ließ. Im Gegensatz zu 1996 ist der Kontinent unvermittelt von ideellen wie politischen Gräben durchzogen – sei es in der höchst unterschiedlich beurteilten Frage, wie den unkontrollierbar erscheinenden Migrantenströmen zu begegnen ist; sei es mit Blick auf die nach wie vor ungelöste Krise der gemeinsamen Währung; sei es im unversöhnlich erscheinenden Konflikt zwischen den Verfechtern von subsidiärer Volksgewalt auf der einen und den Stützen supranationaler Institutionen auf der anderen Seite, wie er in jüngster Zeit als polemischer Schlagabtausch in der wechselseitigen Beschimpfung als „Populisten“ und „Eurokraten“ seine Extreme findet.

Karl und Europa – die inhaltliche Verknüpfung beginnt mit dem Merkmal, dass schon die Fülle seiner Ämter eine eindeutige Zuordnung zu einer bestimmten Nation unmöglich erscheinen lässt: Neben seiner Regentschaft als römisch-deutscher König (ab 1346) war er König von Böhmen (ab 1347), König von Italien (seit 1355) und römisch-deutscher Kaiser (ab 1355). Er stammte aus dem Geschlecht der Luxemburger, wurde aber – getauft auf den Namen Wenzel – in Prag geboren.

In den Geschichtsbüchern verewigt

In seiner Heimatstadt gründete Karl eineinhalb Jahre nach seiner Königskrönung die erste Universität des Heiligen Römischen Reiches nördlich der Alpen und die älteste deutschsprachige Hochschule. In den Geschichtsbüchern verewigte sich Karl IV. aber vor allem durch den Erlass der bis zum Ende des Reiches 1806 Gültigkeit bewahrenden und die Königswahl durch die sieben Kurfürsten regelnden „Goldenen Bulle“ sowie die kulturelle und wissenschaftliche Blütezeit während seiner Herrschaft.

Und bayerische Schulbücher heben bis heute seine Rolle als Brückenbauer zwischen den Bewohnern Bayerns und Böhmens hervor. Doch auch Schattenseiten wie Pestepidemien und Judenverfolgungen gehören zu Karls Amtszeit, wobei sich der Prager Herrscher zugleich als Schutzherr der Juden verstand.

Wie aber verlief die Krönung in Bonn? Eine Vorstellung davon, welches Aufsehen die Zeremonie erzeugt haben muss, lässt sich seit mehr als 100 Jahren in dem Buch „Rheinisch-Historische Festspiele Bonn“ des Bonner Professors Felix Hauptmann nachlesen. Seine Schilderung der Feierlichkeiten aus dem Jahr 1913 mag von zeitgenössischer Kaiserbegeisterung geprägt und von der Belle Époque verschmückt gewesen sein; lebendig ist sie allemal.

„Durch die engen Gassen zwischen der dichten Menschenmenge bewegte sich ein farbenprächtiger Zug. Musikanten und Sänger zogen voran; Diener, Beamte, Geistliche und Würdenträger folgten. Dann kam hoch zu Roß Karl, der erwählte König, in ritterlicher Kleidung. Ihn geleitete Herzog Rudolf und edle Herren in der bunten Tracht der damaligen Zeit. Eine große Ritterschar ritt hinterher. So zog er zwischen dem Münsterplatz mit seinen alten Bäumen und dem Martinsplatz einher, dem uralten Kirchhof der Bonner, auf dem seit der fränkischen Zeit tausende und abertausende von denen bestattet sind, die einst durch unsere Straßen geschritten. Weit geöffnet sind der Münsterkirche Portale. Hier steigen die Berittenen von den Pferden unter dem Festgeläut der Glocken. Sie ordnen sich wieder, um in das Gotteshaus einzuziehen.“

Die "nächstbeste Lösung"

Warum Bonn? Die Antwort fällt für die Stadt am Rhein nicht ganz ohne den Beigeschmack der „nächstbesten Lösung“ aus. Aachen, die „reguläre“ Krönungsstadt, weigerte sich, für Karl IV. ihre Tore zu öffnen. Die Stadt Köln stand ebenfalls nicht zur Verfügung, so dass Bonn bereits weit vor 1949 die Funktion des provisorischen Ausweichquartiers für die „große Politik“ zufiel.

Die Gründe für die schwierige Ortswahl liegen in den politischen Verwerfungen des 14. Jahrhunderts. Denn Ludwig der Bayer, der eigentliche deutsche König, war vom Papst mit dem Bannfluch belegt worden. Auch standen ihm die meisten deutschen Fürsten ablehnend gegenüber. Fünf deutsche Kurfürsten wollten dem Streit im Reich ein Ende bereiten, indem sie mit Zustimmung des Papstes einen anderen König wählten.

Das Oberhaupt der katholischen Kirche indes residierte in Person von Clemens IV. nicht in Rom, sondern in Avignon. Im Juli 1346 schließlich versammelten sich in Rhens am Rhein die Erzbischöfe von Mainz, Trier und Köln, ferner König Johann von Böhmen und der Kurfürst von Sachsen-Wittenberg zur Königswahl. Weil der Pfalzgraf zu Rhein und der Kurfürst von Brandenburg – beide Anhänger Ludwigs des Bayern – dem Treffen ferngeblieben waren, erfolgte die Wahl einstimmig und fiel auf Karl.

Aber die Zustände im Reich blieben kompliziert. Nahezu unmöglich gestaltete sich der Versuch, einen Ort für die Krönung des zukünftigen Königs zu finden. Der eigentliche „rechte Ort“, die Kaiserstadt Aachen, hielt zu Ludwig dem Bayern. Die Stadt Köln, Sitz des Erzbischofs Waltram von Jülich, hatte Differenzen mit ihrem Oberhirten und schied wegen der zu erwartenden Unruhen unter der Bürgerschaft aus. Hilfsweise bot Erzbischof Waltram schließlich Bonn und das Münster an – und das fand allgemeine Zustimmung.

Das Münster hell erleuchtet

Mit Zustimmung des Papstes begannen in Bonn die Vorbereitungen. Überlieferungen zufolge war das Münster mit Gobelins, Fahnen, Blumen und goldenem Schmuck verziert und von zahllosen Kerzen hell erleuchtet. Paul Zurnieden, Autor zahlreicher Beiträge zur Bonner Stadtgeschichte, schrieb 1996: „Als Karl und die Bischöfe auf ihren Thronen Platz genommen hatten, sang der Chor festliche Lieder. Weihrauch stieg zu den Gewölben empor. Bevor aber der Kölner Erzbischof dem König seine Insignien, das Zepter, das Schwert und die Krone überreichte, richtete er mahnende Worte an den künftigen Herrscher.“

Dass Karl IV. auch heute noch Faszination weckt, zeigt die Einschätzung des Bonner Bürgers Wilhelm Hutzler, der sich mit der Frage an den General-Anzeiger wandte, ob der Gedenktag in der Stadt in diesem Jahr nicht gewürdigt werde. Hutzler ist kein Historiker. Dass Karls Regierungszeit unter dem Postulat des Friedens einen Raum vereinte, der von Burgund, Lothringen, Luxemburg und Flandern bis tief nach Litauen und Ungarn und von der Nordsee bis nach Mittelitalien reichte, könne jedoch gar nicht hoch genug eingeschätzt werden, so Hutzler.

Welche Assoziationen zwischen Spaltungstendenz und Einigungsvision der 675. Jahrestag der Bonner Krönung in fünf Jahren wecken wird, bleibt abzuwarten. Womöglich gehen Rückgriffe in die mittelalterliche Geschichte angesichts ganz anderer Probleme nur noch als „Folklore“ durch. Das wäre der schlechteste Fall.

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