Wettlesen in Klagenfurt Ferdinand Schmalz gewinnt Bachmann-Preis

Klagenfurt · Die Texte drehten sich um die Wolfsjagd in Kirgistan, obskure Liebesgeschichten oder schaurige Himbeeren: Das Wettlesen um den Bachmann-Preis ist ein Literaturfest im Pop-Format. Der diesjährige Gewinner passt da ganz ins Konzept.

 Der österreichische Dramatiker Ferdinand Schmalz hat sich beim Wettlesen gegen die Konkurrenz durchgesetzt.

Der österreichische Dramatiker Ferdinand Schmalz hat sich beim Wettlesen gegen die Konkurrenz durchgesetzt.

Foto: Gert Eggenberger

Zunächst zierte sich der österreichische Dramatiker Ferdinand Schmalz noch. Vor drei Jahren lehnte die Kunstfigur, die ansonsten am Theater arbeitet, einen Auftritt im Rennen um den renommierten Ingeborg-Bachmann-Preis noch ab.

"Ich habe ihn damals schon angeschrieben, aber nur einen Korb bekommen", erinnerte sich die Jurorin und Kritikerin Sandra Kegel an ihre erste Annäherung an Schmalz. Drei Jahre später heimste der klarer Favorit des Wettlesens in Klagenfurt den Hauptpreis ein.

"Ich weiß noch nicht so recht, wie ich mich fühle", sagte der 1985 in Graz geborene Schmalz nach seinem klaren Sieg mit einem Grinsen im Gesicht. Mit seinem lebhaften Vortrag, seiner skurril-lustigen Geschichte sowie Schnauzbart und Hut war er in diesem Jahr der ideale Kandidat für das ganz und gar nicht verstaubte Format der Literatur-Casting-Show.

In Schmalz' Geschichte klingelt ein Lieferant von Tiefkühlkost an der Tür eines krebskranken Mannes mit Vorliebe für Rehragout an. Der kündigt ihm ohne jede Verzweiflung, vielmehr in durchdachter Erhabenheit, seinen Suizid an. Er wolle eine Überdosis Schlaftabletten nehmen und dann in die Gefriertruhe steigen, lässt Schmalz seine Figur Dr. Schauer sagen. Einen schöneren Tod könne er sich nicht vorstellen. Der Lieferant möge später seinen eingefrorenen Leichnam in der Morgensonne wieder auftauen lassen, so seine Bitte. Als der Angestellte dem ungewöhnlichen Auftrag nach allerlei philosophischer Überlegungen nachkommen will, ist die Truhe leer. "darin nur nichts. kein kalter schauer. nur kalte luft, die ihm entgegenstürzt", schließt der Text.

Das Stück setzt den Trend für Skurriles und leicht Verständliches fort, das durch vermeintlich profane Alltagsgeschichten Tieferes herausarbeitet. "Manchmal wache ich auf und denke: Heute bin ich ein Ei. Zugegeben: Das passiert mir nicht oft", hieß es etwa im Text der in Berlin lebenden Vorjahresgewinnerin Sharon Dodua Otoo.

Die weiteren Auszeichnungen in diesem Jahr schließen daran an. Die 12 500 Euro des neu gestifteten Deutschlandfunk-Preises gingen an den österreichisch-amerikanischen Autor John Wray für seinen verschachtelten Geschwistertext "Madrigal". Den Kelag-Preis mit 10 000 Euro konnte der Deutsche Eckhart Nickel mit dem Text "Hysteria" über verdächtige Himbeeren für sich entscheiden. Die Auszeichnung von 3sat über 7500 Euro ging an die Schweizerin Gianna Molinari für die Aufarbeitung des Schicksals eines Flüchtlings. Die Zuschauer stimmten am häufigsten für Karin Peschka ab. So ging der mit 7000 Euro dotierte Publikumspreis an die Linzerin für ihren apokalyptischen Text über ein vermeintlich schwaches Kind und starke Hunde.

Während die Prämierten mit Begeisterung oder zumindest andächtigem Wohlwollen von der siebenköpfigen Jury bedacht wurden, fielen auch diesmal wieder einige Texte komplett durch. Die autobiografische Nacherzählung der Beerdigung des Großvaters des ehemaligen Kärntner Tennis-Jugendstaatsmeisters Björn Treber wurde etwa zur Bruchlandung.

Die Veranstaltung im ganz in weiß gehaltenen Landesstudio des ORF in Kärnten gleicht in diesen Momenten mit viel Witz den Castingformaten im Privatfernsehen - allerdings auf hohem intellektuellem Niveau. Autoren können sich medienwirksam einer breiten Öffentlichkeit stellen - Ausgang der Lesung völlig ungewiss. Das jeweils rund 25-minütige Wettlesen der 14 Autoren und die anschließende Jury-Diskussion wurden seit Donnerstag live von 3sat übertragen. Das Publikum im Saal sorgte mit dem Rascheln beim Umblättern der verteilten Manuskripte für atmosphärische Stimmung.

Den literarischen Start machte der Bachmann-Preisträger aus dem Jahr 1995 bei der Eröffnung: Schriftsteller Franzobel ("Floß der Medusa") erinnerte mit Bierflasche in der Hand an die wichtige Bedeutung der Literatur. Sie sei stets im Kampf gegen Verdummung, Herzlosigkeit oder Ignoranz. Der österreichische Autor wies gleichzeitig auf den raschen Wandel hin, dem auch das geschriebene Wort unterworfen ist. "Alles verändert sich. Die Literatur so sehr, dass einem die Augen rausspringen." In 50 Jahren würden Buchhandlungen so verwundert angesehen werden, wie Jugendliche heute ein Tonbandgerät oder eine Steintafel mit sumerischer Keilschrift.

Die 41. Tage der deutschsprachigen Literatur in Kärnten treten seit 1977 gegen das Vergessen von Ingeborg Bachmann (1926-1973) an. Die mit höchsten Preisen ausgezeichneten österreichische Autorin war vor allem für ihre Gedichte bekannt. Das Festival gilt als ein wichtiges Forum der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur.

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